Verschwinden bald die letzten Bäcker und Metzger?
Immer mehr kleine Läden geben auf - auch in der Region. Jetzt machen sie auf ihre Lage aufmerksam. Ein Augsburger Forscher sagt: Sie selbst müssten handeln.
Es könnte sein, dass die nachfolgenden Generationen einen Bäcker, Metzger, Gast- oder Landwirt bald nur noch aus den Erzählungen der Großeltern kennen. Die Entwicklung jedenfalls geht dahin: Immer mehr große Konzerne drängen regionale Anbieter vom Markt, belegen Zahlen des Bundesverbandes der Regionalbewegung. Der setzt sich von der Nordseeküste bis zu den Alpen für eine nachhaltige Regionalentwicklung und die Stärkung ländlicher Räume ein, am Mittwoch machten Mitglieder vor dem Brandenburger Tor in Berlin mit einer bemerkenswerten Aktion auf den Rückgang der Lebensmittelhandwerksbetriebe aufmerksam.
Bundesweit hat schon jedes zweite Geschäft zugemacht
„Die Letzten ihrer Art!“, so das Aktionsmotto, stellten sich in Vitrinen dem Publikum zur Schau. Den Nachbildungen im nahe gelegenen Wachsfigurenkabinett nicht unähnlich, machten eine Bäckerin, ein Metzger, ein Bauer und ein Gastwirt darauf aufmerksam, dass sich ihr Handwerk bald überlebt hat. „Fleischer, Bäcker, Gastwirte und Landwirte, die handwerklich im regionalen Wirtschaftskreislauf arbeiten, sind die Gestalter und Garanten unserer kulinarischen Vielfalt und akut vom Aussterben bedroht“, warnt Verbandschef Heiner Sindel.
Seit 1998 sind bundesweit 49 Prozent der Betriebe im Bäckerhandwerk verschwunden. Die Zahl der Metzger ging um rund die Hälfte zurück. Die Zahl der Wirtshäuser ist seit 1994 um 59 Prozent gesunken, in der bäuerlichen Landwirtschaft schloss fast jeder zweite Betrieb. Der Bundesverband der Regionalbewegung hat die Zahlen des Statistischen Bundesamtes plakativ hochgerechnet. Das Ergebnis: Bäckerhandwerksbetriebe könnten bis 2039 aussterben, Fleischer würde es 2037 nicht mehr geben, 2036 träfe es die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, schon 2034 schlösse die letzte Schankwirtschaft im Dorf.
In Schwaben hat in den vergangenen zehn Jahren jeder dritte Laden geschlossen
Diese Zahlen lassen sich auch auf die Region runterbrechen. Markus Hilpert beschäftigt sich an der Universität Augsburg mit dem Thema Regionalentwicklung. Erst im August hat er eine Studie abgeschlossen, die sich mit dem Zustand der Nahversorgung beschäftigt. Er sagt: „Es gibt immer weniger kleine Lebensmittelgeschäfte.“ Mit klein meint er Läden, die nicht größer als 400 Quadratmeter sind. Ihre Zahl hat in Schwaben in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel abgenommen. Anders: „Jedes dritte kleine Geschäft hat geschlossen“, sagt er. Dagegen ist die Zahl der großen Lebensmittelläden um zehn Prozent angestiegen. Und nicht nur das: „Guckt man sich die Verkaufsfläche der großen Läden an, dann hat die um 25 Prozent zugelegt“, sagt Hilpert. Das heißt aber auch: Die Menschen kaufen eher in großen Läden ein und weniger beim kleinen Geschäft im Ort.
Die Auswirkungen könnten verheerend sein, denn „kleine Lebensmittelhandwerker sind ein unerlässliches Element im regionalen Wirtschaftskreislauf“, betont der Verbandsmann Sindel. „Ohne ihre Arbeit gibt es keine glaubwürdig regionalen Produkte, keine regionalen Verkaufsstellen, keine regionalen Einkehrmöglichkeiten“. Hilpert fügt noch mehr Nachteile hinzu, die mit dem Wegfall kleiner Läden verbunden sind: Im Ort fehle dann der Kommunikationsort. „Beim Bäcker oder Metzger erfährt man ja oft die neusten Dinge“, sagt er. Dazu kommt: Es fallen Steuereinnahmen weg, für Senioren wird es schwerer, sich wohnortnah zu versorgen. „Und es verschwinden Arbeitsplätze“, sagt der Augsburger Forscher.
Forscher: Bürger wollen zwar Läden im Ort, kaufen aber nicht dort ein
Die Regionalbewegung verweist in Berlin auf einen weiteren, aktuellen Aspekt: den Klimaschutz. „Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher sorgen für weniger Verkehrsströme und sparen Energie“, betont der Verband und fordert „ein rigoroses Umdenken in der Förderpolitik“. „Wenn wir uns ernsthaft diesem Strukturbruch und dem Klimawandel entgegenstellen wollen, müssen regionale Wirtschaftskreisläufe sowohl Teil einer zukünftigen Klima- als auch Lebensmittelpolitik sein“, fordert die Regionalbewegung und regt ein „Bundesprogramm Regionale Wertschöpfung“ an, „das nicht nur Lippenbekenntnis für die kleinen Handwerksbetriebe ist, sondern mit Finanzmitteln in Milliardenhöhe ausgestattet ist, um über eine Gießkannenförderung hinaus Teil der Klimaschutzmaßnahmen zu werden“.
Ladensterben: Auch die Kommunalpolitik muss handeln
Hilpert sieht andere Ansatzpunkte: „Der Kunde muss vor Ort kaufen.“ Denn für Bürger bedeuten Bäcker, Metzger und Apotheke im Wohnort zwar Lebensqualität – aber sie handeln nicht ihren Wünschen entsprechend: „Was der Bürger will, macht der Kunde nicht unbedingt.“ Auch die Kommunalpolitik steht in der Verantwortung: Wo weist sie Gewerbegebiete aus? Wer siedelt sich dort an? Das seien Fragen, die die Gremien vor Ort entscheiden müssen. „Sie müssen überlegen, ob nicht ungünstige Konkurrenz entsteht.“ Zudem seien die Läden selbst in der Verantwortung. Für ihre Studie haben die Augsburger Forscher mehrere Läden besucht und festgestellt: „Da gibt es Optimierungsbedarf.“ Etwa wenn es um die Inneneinrichtung oder Servicequalität geht. „Große Ketten schulen ihre Mitarbeiter regelmäßig. Von den kleinen Läden macht das keiner“, sagt Hilpert. Damit es also nicht so dramatisch kommt, wie es vor dem Brandenburger Tor zu sehen war, seien alle gefragt.
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