Wachstum? Die Wirtschaft ist skeptischer als der Wirtschaftsminister
Die Bundesregierung sagt ein höheres Wirtschaftswachstum voraus. Eine neue Stimmungsabfrage bei den Firmen deutet aber auf Stagnation hin. Im Süden lahmt die Industrie.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte gehofft, dass die dunklen Wolken vorbeigezogen sind. Ende vergangenen Jahres drohte das goldene Jahrzehnt Deutschlands zu Ende zu gehen. Doch dann entging die Wirtschaft dem Abschwung und die Konjunkturdeuter sagten ein leichtes Anziehen des Wachstums voraus.
An der Basis der Wirtschaft, bei den Unternehmen, ist die Stimmung aber gedrückt. "Nach wie vor erwarten mehr Unternehmen für dieses Jahr schlechtere Geschäfte als bessere", berichtet der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. Der Verband hat in der gesamten Republik 26.000 Firmen befragt, wie die Geschäfte laufen. Und nach Auswertung der Antworten kommt der DIHK nur auf eine Wachstumsprognose von 0,7 Prozent für das laufende Jahr.
Regierung rechnet mit einem Plus von 1,1 Prozent
Die Regierung rechnet hingegen mit einem Plus von 1,1 Prozent. Dass die Wirtschaft überhaupt zulegt, liegt aber laut DIHK vor allem daran, dass in diesem Jahr vier Tage mehr gearbeitet wird. "Deshalb sehen wir aktuell nur wenig echtes Wachstum", meint Wansleben. Auch im Süden Deutschlands, wo die deutsche Wirtschaft am stärksten ist, fehlt den Firmen der Schwung.
Vor allem die erfolgsverwöhnte Industrie in Bayern und Baden-Württemberg blickt auf ein saftloses Jahr. In Bayern ist die Kapazitätsauslastung beispielsweise so gering wie zuletzt vor sieben Jahren, weil zu wenige Bestellungen eintreffen. "Hieran dürfte sich in den kommenden Monaten nur wenig ändern", stellen die bayerischen Industrie- und Handelskammern fest. Deshalb wollen 28 Prozent der Industriefirmen Stellen kürzen, nur 13 Prozent mehr Personal einstellen. In Baden-Württemberg fällt das Bild ähnlich aus. Die Arbeitslosigkeit steigt. Im Januar waren im Südwesten 20.000 mehr Menschen auf der Suche nach einer Stelle als ein Jahr zuvor. In der Industrie ist der Anteil der Unternehmen, die weniger Geld einnehmen, von 17 auf 44 Prozent angestiegen. Die Zahl der Aufträge sinkt. Deutschlandweit arbeiten nach Jahren des Stellenaufbaus im gesamten produzierenden Gewerbe (ohne Bauwirtschaft) rund 10.000 Beschäftigte weniger als vor 12 Monaten, wie aus den Daten der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht.
Waren die Sorgen der exportstarken deutschen Wirtschaft wegen der unberechenbaren Politik von US-Präsident Donald Trump groß, kommt nun das Coronavirus als neuer Dämpfer hinzu. China ist zum Beispiel für die deutsche Autoindustrie der größte Markt. Der Januar verlief katastrophal, der Absatz brauch um 20 Prozent ein. Bei Adidas ist der Erlös im Reich der Mitte in den zurückliegenden vier Wochen wegen der Seuche sogar um 85 Prozent gefallen.
Schwierigkeiten auf dem Heimatmarkt
Zu den Schwierigkeiten in anderen Erdteilen kommen noch die hausgemachten auf dem Heimatmarkt hinzu. Den Fachkräftemangel sehen die Unternehmen als größtes Hindernis für bessere Geschäfte an. Dicht dahinter folgt die deutsche Wirtschaftspolitik. Die Energiewende führt dazu, dass hierzulande die höchsten Strompreise in Europa bezahlt werden müssen. "Viele Unternehmen bangen geradezu darum, dass die Versorgungssicherheit auf höchstem Niveau erhalten bleibt und zugleich die Strompreise nicht noch weiter steigen", so DIHK-Chef Wansleben. Die Genehmigung für neue Straßen, Schienen und Fabriken dauern außerdem lange und werden fast immer beklagt. Jüngstes Beispiel ist das geplante Tesla-Werk in Brandenburg für Elektro-Autos, das Umweltschützer schwer verzögern könnten.
Die Vertreter der Unternehmen verlangen angesichts der hohen Energiekosten und der gut gefüllten Staatskasse, dass die Steuern gesenkt werden müssen. Während Wirtschaftsminister Altmaier und die Fraktion von CDU und CSU die Sätze reduzieren wollen, sperrt sich in der Großen Koalition die SPD dagegen. Eine Sechser-Arbeitsgruppe arbeitet allerdings daran, Personengesellschaften wie OHGs mit Kapitalgesellschaften wie GmbHs bei einbehaltenen Gewinnen gleichzustellen. Für erstere wäre das eine Entlastung. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) spricht davon, ein "paar Unwuchten" im Steuersystem zu beseitigen. Auf mehr dürfen die deutschen Unternehmer vom Regierungsbündnis nicht hoffen. Anfang März soll die Arbeitsgruppe Vorschläge präsentieren.
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