Warum sind deutsche Schüler Technikmuffel?
Nur jeder siebte 15-Jährige kann sich vorstellen, später in einem naturwissenschaftlichen Beruf zu arbeiten. Woher kommt diese Ablehnung für Mathe, Physik und Co.?
Die Naturwissenschaften erfreuen sich bei Schülern keiner großen Beliebtheit. Das hat auch die jüngste Pisa-Studie wieder gezeigt. Nur knapp jeder siebte der in Deutschland befragten 15-Jährigen kann sich vorstellen, später in einem Beruf zu arbeiten, der mit Naturwissenschaften zu tun hat.
Demnach sind Deutschlands Schüler in Naturwissenschaften und Mathematik zwar überdurchschnittlich gut, von der Spitzengruppe aber dennoch weit entfernt. Die Auswirkungen zeigen sich auf dem Arbeitsmarkt. Laut einer Studie im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fehlen Unternehmen hierzulande 212000 Arbeitskräfte im sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Dabei ist Deutschland doch so berühmt für seine technischen Errungenschaften. Warum also sind die deutschen Schüler derartige Technikmuffel?
Sind MINT-Fächer zu theoretisch?
Das Ergebnis der Pisa-Studie überrascht Jörg Friedrich vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) nicht. Seiner Meinung nach ist der Stoff in den MINT-Fächern einfach zu theoretisch. „Geometrie kann man nicht nur lernen, indem man ein paar Dreiecke zeichnet“, erläutert er. Besser klappe es, wenn man zum Beispiel eine Brücke konstruiert. Außerdem, fügt er hinzu, kämen viele Jugendliche in ihrem Alltag kaum mit technischen Berufen in Berührung. Deshalb fordert er die Industriebetriebe auf, ihre Tore zu öffnen. Sie sollten mit Schulen zusammenarbeiten – und zeigen, welche Rolle ihre Produkte auch im Alltag spielen.
Pisa-Chef Andreas Schleicher sieht die Schuld beim deutschen Bildungssystem. Zwar habe es nach dem Schock des schlechten Abschneidens in der ersten Pisa-Studie 2000 Verbesserungen gegeben. Aber: „Die Position des Lehrers als Einzelkämpfer im Klassenzimmer, die Kreativität im Unterricht – all das blieb unverändert, weil das Bildungssystem weiterhin sehr altmodisch ist. Das Ergebnis: Wo Deutschland sich einbildet, gut zu sein, sind große Lücken.“ Zum Beispiel in den Naturwissenschaften.
Singapur ist Vorreiter - auch dank Investitionen
Nur jeder zweite Neuntklässler in Deutschland lernt laut Pisa gerne Neues in Naturwissenschaften. Die Studie legt nahe, dass mehr Praxisbezug helfen könnte, Begeisterung zu wecken. Schüler lernten durch Experimente oder Exkursionen leichter, komplizierte wissenschaftliche Konzepte zu verstehen und ein eigenes kritisches Denken zu entwickeln. Dazu brauche es allerdings die finanziellen Mittel und die Bereitschaft der Lehrer. Singapur hat es mit entsprechenden Investitionen auf den Spitzenplatz geschafft.
Ingenieure in Schwaben versuchen seit längerem eigenständig, Schüler für Technik zu begeistern. Schon ab vier Jahren könnten Kinder beim Augsburger Ableger des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) mit Experimentierkursen und Ausflügen mehr über Naturwissenschaft und Technik lernen, erzählt der Vorsitzende David Abele. Früh Berührungsängste abzubauen und Begeisterung für Technik zu wecken, sei das richtige Rezept. „Die Region macht da schon viel, wir haben eine tolle Hochschule, gute Technikerschulen und viele bedeutende Unternehmen.“ Der gute Ruf deutscher Ingenieurskunst habe aber seine Tücken, wie die Übernahmen schwäbischer Konzerne durch ausländische Investoren zeige. Deshalb seien Investitionen in den Nachwuchs und Innovationen immer wichtig. „Wir haben nur ein Kapital und das ist die Bildung.“
Bei Pisa 2006 lag der Fokus schon einmal auf den Naturwissenschaften. Das deutsche Pisa-Ergebnis hat sich seither kaum verändert, ebenso das in Mathematik. Führend sind laut der jüngsten Studie neben Singapur auch Japan und Estland. Am Ende der Punktefolge stehen der Kosovo, Algerien und die Dominikanische Republik.
Jungen schneiden weiterhin in Naturwissenschaften besser ab
Pisa 2015 legt für Deutschland altbekannte Probleme offen. Jungen sind in Mathematik und Naturwissenschaften nach wie vor besser als Mädchen, beim Lesen ist es umgekehrt. Es gibt zudem im internationalen Vergleich weiterhin zu viele „Risikoschüler“ aus bildungsfernen Elternhäusern, die früh den Anschluss verlieren. Es gibt wenige Leistungsstarke, die auch überdurchschnittlich komplexe Aufgaben lösen können. Und Kinder von Migranten haben oft massive Probleme, im Unterricht mitzuhalten.
Wie aussagekräftig die Pisa-Studie tatsächlich ist, darüber streiten sich Experten. Kritiker werfen den Machern der Studie vor, nur einen kleinen Teil der Schulbildung abzufragen. Die nächste Pisa-Studie wird 2018 durchgeführt. Dann geht es vor allem um die Lesekompetenz. mit dpa
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