Wirtschaftswachstum dank der Flüchtlinge?
Die EU rechnet, dass bis 2017 mindestens drei Millionen Menschen Europa erreichen werden – und die Konjunktur davon profitieren wird. Wie Flüchtlinge die Wirtschaft beeinflussen.
Wenn Europa so weitermacht, ist die Gemeinschaft auf einem guten Weg. Das ist das Bild, das die Brüsseler EU-Kommission in ihrer Herbstprognose für die wirtschaftliche Entwicklung bis 2017 entworfen hat. Pierre Moscovici, als Währungskommissar für das Zahlenwerk verantwortlich, hatte denn auch im Wesentlichen Positives zu verkünden. „Die EU-Wirtschaft bleibt auf Erholungskurs“, sagte er.
Flüchtlingskrise ändert nichts an Euro-Plus
Nach einem Wachstum von 1,6 Prozent im laufenden Jahr rechnet er für die Eurozone mit einem Plus von 1,8 Prozent im nächsten Jahr und nochmals 1,9 Prozent 2017. Die gesamte EU dürfte mit plus 1,9 Prozent (2015) sowie 2,0 und 2,1 Prozent noch stärker zulegen. Daran ändert auch die Flüchtlingskrise nichts. Die EU-Kommission erwartet bis 2017, dass drei Millionen weitere Flüchtlinge in Europa ankommen. Moscovici geht davon aus, dass der Flüchtlingsandrang eine „schwache, aber positive“ Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in der EU haben wird.
Die EU-Kommission rechnet in ihrer Herbstprognose mit der Ankunft von einer Million Flüchtlingen im laufenden Jahr. 2016 wird mit einem Anstieg auf 1,5 Millionen Flüchtlinge gerechnet, bevor die Zahl im Jahr 2017 auf eine halbe Million zurückgeht. Das Bruttoinlandsprodukt könne infolge der Zuwanderung um „0,2 bis 0,3 Prozent bis 2017 steigen“. Zusätzliche öffentliche Ausgaben würden das Wachstum kurzfristig ankurbeln. Weil mit den Flüchtlingen auch neue Arbeitskräfte in die EU kämen, sei aber auch ein mittelfristiger Aufschwung möglich. Dazu müssten die Mitgliedsländer aber für einen verbesserten Zugang der Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt sorgen.
Deutschlands Wachstum liegt mit 1,7 in diesem und jeweils 1,9 Prozent in den folgenden Jahren im Mittelfeld. Dank der Sparmaßnahmen von Finanzminister Schäuble wird die gesamtstaatliche Verschuldung weiter abgebaut: 60 Prozent darf der Anteil der Schulden an der Jahreswirtschaftsleistung laut EU-Vorgabe höchstens betragen. Nach 71,4 Prozent in diesem Jahr geht dieser Anteil hierzulande auf 68,5 und schließlich 65,6 Prozent (2017) zurück. Der EU-Durchschnitt liegt in zwei Jahren bei 85,8 Prozent. Deutschland gilt zumindest in dieser Hinsicht als einsichtiger Sünder.
Dennoch sind die Wirtschaftsforscher der EU-Kommission nicht zufrieden. „Die temporär guten Rahmenbedingungen müssen genutzt werden, um solide Staatsfinanzen zu erreichen“, betonte der für den Euro und die soziale Integration zuständige Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrowskis mit Blick auf die niedrigen Ölpreise sowie den für den Export günstigen Eurokurs. Moscovici ergänzte, was damit gemeint ist: „Große Herausforderungen bleiben bestehen: unzureichende Investitionen, wirtschaftliche Strukturen, die die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum hemmen, sowie die anhaltend hohe private und öffentliche Verschuldung.“ Nötig sei 2016 „mutiges und entschlossenes politisches Handeln“.
Frankreich hinkt hinterher
Tatsächlich zeigen die Daten das Bild einer zerrissenen Gemeinschaft. Während die Spitzengruppe mit Irland (plus 3,5 Prozent, alle Zahlen für 2017), Lettland (plus 3,4), Litauen (plus 3,3), Malta (plus 3,1) und Luxemburg (plus 3,0) deutlich zulegen und sogar Griechenland nach weiteren Durchhängern 2015 und 2016 mit einem Zuwachs von 2,7 Prozent rechnen kann, hinkt vor allem Frankreich mit lediglich 1,7 Prozent hinterher. Das ist zwar nur unwesentlich weniger, als Deutschland im übernächsten Jahr schaffen wird (1,9 Prozent), doch die Bundesrepublik hat Reformen, Einsparungen und Kurskorrekturen schon hinter sich.
Dagegen dürfte Paris die versprochene Sanierung des Haushaltes erneut verfehlen. Die Drei-Prozent-Hürde werde mit einer Neuverschuldung von 3,8 Prozent in diesem, 3,4 Prozent im nächsten Jahr und 3,3 Prozent 2017 deutlich gerissen, sagt die Kommission. „Dieses Beispiel zeigt, dass die Milde mit notorischen Defizitsündern in der Vergangenheit nur dazu geführt hat, dass es gar keine Anstrengungen gibt, irgendetwas zu verändern und die Neuverschuldung in den Griff zu bekommen“, erklärte der CSU-Finanzexperte und Europa-Abgeordnete Markus Ferber. (mit afp)
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