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Aldi setzt auf Tierwohl: Nachhaltigkeitsexpertin Julia Adou im Interview

Interview

Aldi-Nachhaltigkeit-Chefin zum Tierwohl: „Wir meinen es ernst“

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    Schweine liegen in der Bucht eines Tierwohl-Schweinestalls.
    Schweine liegen in der Bucht eines Tierwohl-Schweinestalls. Foto: Marijan Murat, dpa

    Frau Adou, Sie haben zuletzt bekannt gegeben, mit dem geplanten Umbau Ihres Fleisch- und Milchsortiments zu mehr Tierwohl schneller voranzukommen als geplant. Heißt das, die Bereitschaft der Verbraucher, einen Aufpreis für bessere Tierhaltung zu bezahlen, ist größer als oft beklagt?
    JULIA ABOU: Wir kommen unserem Ziel, das Frischfleisch, die Trinkmilch und die gekühlten Fleisch- und Wurstwaren bis 2030 auf die Haltungsformen 3, 4 und 5 umzustellen, Stück für Stück näher. Bei der Eigenmarken-Trinkmilch haben wir zum Beispiel seit dem letzten Jahr bereits ausschließlich die höheren Haltungsformen im Sortiment - gleiches gilt für das Putenfrischfleisch und das Rinderfrischfleisch. Dass wir so gut vorankommen, liegt auch an der steigenden Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden nach Tierwohl-Produkten. Dabei ist es uns in unserer Funktion als Grundversorger wichtig, dass Tierwohl für alle leistbar ist. Das bedeutet gute Qualität zum besten Preis - auch bei Lebensmitteln aus den höheren Haltungsformen.

    Was sind die größten Hindernisse für eine rasche Umstellung?
    ABOU: Wir verstehen uns als engen Partner der deutschen Landwirtschaft. Unsere Eigenmarken-Trinkmilch, die wir bereits komplett umgestellt haben, stammt vollständig aus Deutschland. Auch beim Frischfleisch beziehen wir zu 90 Prozent deutsche Ware. Mit Blick auf die höheren Haltungsformen ist es wichtig, mehr und mehr heimische Landwirte und Landwirtinnen dafür zu gewinnen, ihre Höfe umzustellen. Durch unser landwirtschaftliches Team, das im Jahr viele Betriebe besucht, bekommen wir aber auch mit, welchen Herausforderungen die Bäuerinnen und Bauern dabei gegenüberstehen. Daher ist es essenziell, dass schnellstmöglich verlässliche politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Landwirtinnen und Landwirten Sicherheit bieten.

    Viele Landwirte beklagen, ihnen fehle Planungssicherheit, um die hohen Investitionen für einen Stallumbau zu tätigen. Wie lange können die Bauern mit Ihren Zusagen planen?
    ABOU: Gemeinsam mit Aldi Nord waren wir die Ersten, die sich 2021 verbindliche Ziele für mehr Tierwohl gesetzt haben – das war ein klares Signal an die Landwirtschaft. Wir meinen es ernst und wollen die Nutztierhaltung in Deutschland langfristig verbessern. Mit unserem Vorstoß haben wir auch den Wettbewerb animiert, nachzuziehen – das hat marktseitig Planungssicherheit geschaffen. Zusammen mit unseren Lieferantinnen und Lieferanten arbeiten wir stetig daran, wie wir den Landwirtinnen und Landwirten zusätzliche Sicherheit bieten können, zum Beispiel durch längerfristige Abnahmeverträge von bis zu sieben Jahren. Wichtig ist jetzt, dass die Politik notwendige Rahmenbedingungen für die Umstellung schafft, unter anderem mit einem langfristig angelegten Finanzierungsinstrument. Das Ziel muss sein, dass die Landwirte und Landwirtinnen möglichst einfach und unbürokratisch Unterstützung erhalten.

    Verstehen die Verbraucher wirklich, wofür die verschiedenen Labels stehen? Warum machen Sie das nicht noch deutlicher, etwa mit Fotos aus Ställen?
    ABOU: Viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind mit der Haltungsform-Kennzeichnung vertraut. Beim letzten Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft haben die Befragten die Haltungsbedingungen der Tiere sogar als wichtigste Verpackungsangabe genannt. Dennoch ist klar, dass nicht alle Kundinnen und Kunden im Detail wissen, was die einzelnen Haltungsformen bedeuten oder sich aktiv damit auseinandersetzen. Hier sehen wir uns in der Verantwortung aufzuklären und Themen wie Tierwohl, Bio oder Artenvielfalt eine Bühne zu geben. Das machen wir durch Informationsangebote auf unserer Webseite, im Handzettel oder in der Filiale. Hier arbeiten wir zum Beispiel mit Erklär-Filmen oder Videos zu unseren Lieferantinnen und Lieferanten für einen Blick hinter die Kulissen. Wir probieren auch neue Dinge aus, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen, beispielsweise mit einem YouTube-Format mit Marie Nasemann, das 2024 gestartet ist.

    Im Handel kann der mündige Verbraucher viele tierische Produkte kaufen, die so erzeugt sind, wie er es für richtig hält. Anders sieht es bei verarbeiteten Produkten oder in der Gastronomie aus. Wie konsequent ist das?
    ABOU: Der Lebensmitteleinzelhandel ist beim Thema Tierwohl in den letzten Jahren vorangegangen. Aus unserer Sicht ist absolut wünschenswert, dass auch andere Branchen wie die Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung nachziehen. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher am Kühlregal sofort erkennen können, wie das Tier gehalten wurde, warum sollten sie diese Information nicht auch bei einem Blick in die Speisekarte bekommen? Eine Ausweitung der Haltungsform-Kennzeichnung auf andere Branchen wäre auch für die Landwirtschaft ein wichtiges Signal und könnte zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Bäuerinnen und Bauern schaffen, die ihre Tierhaltung umstellen.

    Weil die Politik lange nicht gehandelt hat, ist die Wirtschaft unter anderem mit der Haltungsform-Kennzeichnung vorangegangen. Nun kommt doch eine eingeschränkte gesetzliche Kennzeichnung. Geht das in Zukunft koordinierter?
    ABOU: Die Einführung der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung war ein wichtiger und folgerichtiger Schritt für mehr Tierwohl in Deutschland. Das Label gilt zunächst aber nur für frische, unverarbeitete Schweinefleischprodukte im Lebensmitteleinzelhandel. Es ist daher wichtig, dass die staatliche Kennzeichnung weiterentwickelt und schnell auf andere Tierarten sowie weitere Bereiche in der Verwertungskette, wie etwa die Gastronomie, ausgeweitet wird. Gleichzeitig braucht es eine stärkere Anlehnung an die im Handel etablierte und bei Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannte Haltungsform.

    Aldi Süd ist inzwischen auch ein großer Bio-Händler. Hat der Bio-Markt aus Ihrer Sicht die Durststrecke überwunden?
    ABOU: Mit Blick auf das eigene Vertriebsgebiet ist Aldi Süd Bio-Händler Nummer 1 sowie Bio-Frischfleisch- und Bio-Wurstwaren-Händler Nr. 1. Wir haben unser Bio-Sortiment in den letzten 20 Jahren immer weiter ausgebaut und bieten aktuell über das Jahr verteilt über 1000 Bio-Artikelsorten an. Ein Wocheneinkauf in Bio-Qualität ist damit bei Aldi Süd problemlos möglich. Die Nachfrage unserer Kunden und Kundinnen nach Lebensmitteln aus ökologischer Erzeugung ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch deshalb haben wir 2023 mit „Nur Nur Natur“ eine neue Bio-Eigenmarke eingeführt, die für hochwertige Bio-Produkte mit besonders reinen Rezepturen und schonenden Herstellungsverfahren steht. Seit 2023 arbeiten wir zudem mit der Naturland Zeichen GmbH zusammen – schon jetzt sind 25 Prozent unseres Bio-Standardsortiments Naturland-zertifiziert. Wir können also durchaus sagen: Bio bei Aldi Süd – das ist eine Erfolgsgeschichte.

    Julia Adou, Direktorin für Nachhaltigkeit bei Aldi Süd.
    Julia Adou, Direktorin für Nachhaltigkeit bei Aldi Süd. Foto: Aldi Süd

    Zur Person

    Julia Adou ist seit 2008 Direktorin für Nachhaltigkeit bei Aldi Süd und damit unter anderem mitverantwortlich für die Umstellung der Sortimente auf einen höheren Anteil an Bio-Produkten.

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