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Foto: Jochen Aumann
Foto: Jochen Aumann

Varta-Chef Herbert Schein (rechts) und sein Produktionsleiter Simon Ziegler erwarten viel von der neuen Hochleistungsbatterie V4Drive.

Batterien aus Nördlingen
15.08.2021

Wie Varta in Nördlingen die Batterie der Zukunft baut

Von Michael Kerler

Plus Kabellose Haushaltsgeräte, Werkzeug, vor allem aber das E-Auto ist auf leistungsfähige und langlebige Batterien angewiesen. Eine neue Generation kommt von Varta. Was sie leistet und wo sie gebaut werden soll.

Bald werden hier die Maschinen einziehen, erste Geräte stehen bereits verpackt im Erdgeschoss. Läuft man mit Herbert Schein, dem Vorstandsvorsitzenden von Varta, durch das neue Gebäude, bekommt man einen Eindruck davon, wie die Räume bald mit Leben gefüllt sein werden. Noch gibt es viele leere Flächen, große Fenster lassen helles Tageslicht hereinfallen und öffnen den Blick weit in das Ries hinaus. Varta ist in Nördlingen in den vergangenen Jahren rasant gewachsen, nun ist ein Neubau hinzugekommen, der auf zwei Ebenen jeweils 7500 Quadratmeter Produktionsfläche bietet. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Unternehmen besucht, kürzlich kam Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Rund 200 Millionen kleiner Lithium-Ionen-Batterien kann Varta bisher im Jahr in Nördlingen produzieren, die neuen Flächen bieten die Infrastruktur, um daraus bis zu 400 Millionen im Jahr zu machen. Produziert werden könnte hier auch eine Neuentwicklung, auf die man bei Varta mehr als stolz ist. Die neue Batterie könnte die E-Mobilität ein großes Stück voranbringen und zeigt, wohin die Fahrt in der Batterietechnik geht.

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Der Batterie-Boom hat seine Ursache vor allem in einer Entwicklung: dem Ende des Kabels. Kaum ein elektrisches Gerät, das es kabellos gibt, wird noch mit Kabel gekauft. Dies ist eine Grundüberzeugung von Varta-Chef Schein.

„Denken Sie an Werkzeuge, an Gartengeräte. Das, was wir schon seit einiger Zeit bei Kopfhörern sehen - dass kaum mehr kabelgebundene Geräte gekauft werden - wird sich in allen Bereichen durchsetzen“, sagt er.

Varta-Chef Herbert Schein: "Batterie wird zur strategischen Komponente"

Akkuschrauber, Bohrmaschinen, längst auch Staubsauger und Mähroboter werden mit Batterien betrieben. „Die Batterie wird damit zur strategischen Komponente“, sagt Schein. Sie bestimme Form, Größe und die Leistungsfähigkeit des Gerätes. Wie schwer beispielsweise eine Bohrmaschine ist, wie viele Löcher man damit bohren kann, welches Drehmoment die Bohrmaschine hat und ob sie es mit Beton aufnimmt, all das wird von der Batterie bestimmt.

Dies gilt erst recht für die Elektromobilität: „Rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines E-Autos steckt in der Batterie“, sagt Schein. „Die Hersteller werden sich künftig über die Batterie unterscheiden können“, ist er überzeugt. Wie lange hält sie? Wie schnell kann sie Energie aufnehmen? Wie viel Energie kann sie aufnehmen? Diese Fragen werden für Daimler, VW, BMW & Co. entscheidend sein.

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Tourismus, Einzelhandel, Veranstalter - die Corona-Krise hat viele Branchen hart getroffen. Wenn aber etwas in der Krise boomte, dann waren es die Batteriehersteller: Der Absatz von Lithium-Ionen-Batterien hat im Corona-Jahr 2020 um satte 63 Prozent zugelegt, berichtet der Elektroverband ZVEI. „Batterien zählen zu den Schlüsseltechnologien der Zukunft“, sagt Christian Eckert, ZVEI-Fachverbandsgeschäftsführer im Bereich Batterien. Die Batterie sei maßgeblich, um die EU-Klimaschutzziele zu erreichen. Batterien seien die Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors sowie die Speicherung der erneuerbaren Energien. Kein Klimaschutz, keine Elektromobilität also ohne Batterien. „In Zukunft werden wir bessere Batterien brauchen, mit noch mehr Energie, noch mehr Power, so dass der Unterschied , ob ein Gerät an der Steckdose hängt oder an der Batterie, für den Kunden nicht entscheidend ist“, sagt Varta-Chef Herbert Schein.

Bei Varta ist man sich deshalb entschlossen, die Leistungsfähigkeit der Batterien zu erhöhen. Vor allem auf einer Neuentwicklung ruhen große Hoffnungen.

Voll geladen in sechs Minuten - die Varta V4Drive

Rund, mit einer silbernen Hülle, 7 Zentimeter hoch, 21 Millimeter im Durchmesser. Die neue Batteriezelle aus dem Hause Varta, die Varta-Chef Schein in der Hand hält, sieht vor außen unscheinbar aus - wie eine größere Haushaltsbatterie. Doch die Batteriezelle hat es seinen Angaben zufolge in sich: „Sie kann in sechs Minuten voll geladen werden, in drei Minuten bereits zu 80 Prozent“, sagt Schein. „Und sie hat mehr Power als andere Zellen auf dem Markt.“ Bei vielen Elektrogeräten ist das ein Vorteil. Fantasie aber kommt erst recht auf, wenn man an die Elektromobilität denkt. Nicht ohne Grund hat Varta die Neuentwicklung V4Drive genannt. Bei derart geringen Ladezeiten, wären E-Auto-Interessenten viele Sorgen los. Die Frage ist, ob die Ladesäulen dafür bereit sind? „Der limitierende Faktor ist nicht mehr die Batterie, sondern die Ladesäule“, sagt Schein. Er gibt an, dass die neue Batterie besonders schnell Strom abgeben kann. „Es kommt mehr Power ins Auto“, sagt er. Zudem werde die Batterie während des Ladens und Entladens weniger heiß, „nicht einmal 35 Grad, wenn man sie in 6 Minuten voll lädt". Das verlängert die Lebensdauer.

„Der Trend“, ist der Varta-Chef überzeugt, „geht zu hochwertigen Produkten mit längerer Lebensdauer“. Wer ein E-Auto kauft, will nicht, dass die Batterie nach wenigen Jahren an Kraft verliert.

Für die V4Drive ist das Unternehmen in Gespräch mit Interessenten. Kürzlich war berichtet worden, dass Porsche ein Kunde sein wird. Anwendungen sieht man auch im Bereich von Hybrid-Fahrzeugen. Die neue Batterie könnte als „Booster“ für schnelle Beschleunigung sorgen. Aber auch Antriebe nur mit der neuen Zelle könnten für Autohersteller Vorteile bieten. „Das Interesse an der V4Drive ist sehr groß“, sagt Schein. „Im Herbst werden wir entscheiden, wie groß die Fabrik für die Serienproduktion sein wird. Ein Standort könnte auch Nördlingen sein.“

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Foto: Jochen Aumann
Foto: Jochen Aumann

Bisher stellt Varta in Nördlingen vor allem Mikrobatterien zum Beispiel für Kopfhörer her.

Der Wiederaufstieg von Varta in den letzten Jahren ist eng mit Herbert Schein verbunden. Varta ging es nicht immer gut. Nach einem Verkauf war das Unternehmen Anfang der 2000er Jahre zerschlagen worden. Schein baute in Ellwangen und Nördlingen den Mikrobatterien-Bereich aus, die unter anderem in Hörgeräten eingesetzt werden. Der 56-Jährige stammt ganz aus der Nähe, von einem landwirtschaftlichen Anwesen in Munningen, wo er heute noch mit seiner Familie wohnt. Sein Arbeitstag, sagt er, endet, wenn er zufrieden nach Hause gehen kann. Varta beliefert heute renommierte Hersteller wie den Tech-Giganten Apple, der Aktienkurs ist stark gestiegen. Abgespaltene Bereiche wie die Haushaltsbatterien konnte Schein inzwischen zurück ins Unternehmen holen. Das soll es nicht gewesen sein. Aus dem Bereich der Mikrobatterien heraus dringt Varta mit der V4Drive in den Bereich größerer Lithium-Ionen-Batterien vor. Und auch die Stückzahlen sollen steigen.

Energiedichte der kleinen Zellen soll bei Varta bald nochmals um 20 Prozent steigen

Es zischt leise, ein dezentes Klacken und Klicken erfüllt den Raum. In Nördlingen werden bisher kleine Batterien für Anwendungen in Hörgeräten oder Kopfhörern hergestellt. Die Produktion findet in Reinräumen statt. Besucher ziehen sich Schutzhüllen über die Schuhe. Wer genau hinsieht, erkennt, wie in den Maschinen dünne Metallbänder in großer Geschwindigkeit aufgerollt werden, wie früher das Tonband in einer Kassette. Es sind Anode und Kathode der Batterie, Plus- und Minuspol. Beides wird in ein Gehäuse gelegt, eine Elektrolytflüssigkeit kommt hinzu, dann der Deckel. Im Prinzip entsteht auch die neue, deutlich größere Hochleistungsbatterie V4Drive auf diese Weise. In einem 300-Millionen-Euro-Projekt der EU sammelt Varta Erfahrungen mit der industriellen Produktion von neuen und größeren Batterieformaten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwachen die Maschinen, greifen bei Fehlern ein, auch manuelle Arbeit gibt es noch. Rund 900 Beschäftigte zählt der Standort. Simon Ziegler ist der Produktionsleiter. Da derzeit die neuen Maschinen für den Erweiterungsbau kommen, hat er alle Hände voll zu tun. „Es ist eine einmalige Chance, dabei zu sein, wenn derart viel Neues entsteht“, sagt er. Bis zum Ende des kommenden Jahres wird Varta knapp eine Milliarde Euro in den Standort investiert haben.

Das Ende der Fahnenstange ist in der Batterietechnologie längst nicht erreicht, sagt Herbert Schein. Auch wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - auch bei Varta - an Feststoffbatterien und anderen neuen Technologien arbeiten, ist er überzeugt, dass die Lithium-Ionen-Batterie in den nächsten zehn Jahren das Maß sein wird und dabei noch viel Raum für Verbesserungen bietet. „Im Jahr 2019 haben wir gesagt, dass wir in fünf Jahren die Energiedichte der kleinen Lithium-Ionen-Batterien um 50 Prozent erhöhen wollen“, sagt Schein. „30 Prozent haben wir bereits erreicht und bis Ende nächsten Jahres werden wir sie nochmals um 20 Prozent verbessern“, sagt. Das muss es aber noch nicht gewesen sein: „Wir werden die Energiedichte kontinuierlich weiter erhöhen.“ Wie das geht?

Eine Batterie besteht aus drei Komponenten. Einmal Anode, Kathode und einem Separator dazwischen, dann der Elektrolytlösung und schließlich dem Gehäuse. Alle Komponenten ließen sich verbessern. Beispielsweise indem statt Kobalt nickelreiche Materialien in der Kathode verwendet werden. Oder, indem die Gehäusestärke nochmals verringert wird, damit noch mehr aktives Material in die Zelle gebracht werden kann.

Dies alles sind Fakten, die Technikerinnen und Techniker begeistern. Die meisten Menschen dürfte nur interessieren, ob Hörgeräte länger laufen oder E-Autos weiter fahren. „Die Speicherkapazität hat sich seit Einführung der Lithium-Ionen-Batterie praktisch vervierfacht, alleine in den letzten zehn Jahren sanken die Kosten um 90 Prozent“, sagte kürzlich der Ulmer Batterieforscher Maximilian Fichtner unserer Redaktion. „Ich würde sagen, dass in zwei bis drei Jahren Reichweiten von 600 bis 800 Kilometern Standard sein werden.“

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Foto: Jochen Aumann
Foto: Jochen Aumann

Das Hauptgebäude von Varta in Nördlingen.

In der Fabrik sind die Batterien inzwischen eine Station weiter gelangt. Kleine Greifer packen die neuen Batterien, jede wird mit einem Quellcode versehen. Jetzt ist individuell nachverfolgbar, wo und wann sie hergestellt worden ist.

Aber sind die Rohstoffe für die Batteriefertigung nicht begrenzt? Werden sie nicht unter umweltschädlichen Bedingungen abgebaut? Bei Varta hält man die Probleme bereits teilweise für gelöst. Der Einsatz von Kobalt in den Produkten sei um 80 Prozent verringert worden, Lithium stehe in großer Menge zur Verfügung. Die Zukunft sieht man vor allem im Recycling: „Gerade in der E-Mobilität sind Batterien am Ende ihrer Lebensdauer leicht einzusammeln“, ist Schein überzeugt. „Die Zukunft wird es sein, die Batterien komplett zu recyceln und die Rohstoffe dem Kreislauf wieder zuzuführen.“

Derzeit entstehen aber in Deutschland mehrere Fabriken für Batterien und Zellen. Die Autohersteller wie VW und Daimler haben Pläne für Produktionsstätten, auch ausländische Produzenten wie der chinesische Hersteller CATL investieren in Deutschland. Varta will an der Zellherstellung in Deutschland auf alle Fälle festhalten: „Für Varta ist klar: Wir produzieren unsere Zellen in Deutschland“, sagt Schein. „Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort, aber auch eine strategische Entscheidung, denn wir dürfen die Schlüsseltechnologie der Batterieforschung und -produktion nicht dem asiatischen Markt allein überlassen.“

Zum Schluss wird jede Batterie aus dem Varta-Werk in Nördlingen einmal geladen und entladen. Damit erwacht sie zum Leben, bevor sie das Werk verlässt.

Indes forscht Varta bereits weiter an der Batterie von morgen. Die nächste Generation der V4Drive, verrät Schein, soll eine nochmals 20 Prozent höhere Energiedichte besitzen. Auch der Durchmesser wächst - auf bis zu 48 Millimeter. Für noch mehr Power.

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