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Warum das alkoholfreie Helle von Augustiner in Getränkemärkten schwer zu bekommen ist

Augustiner

Dieses Bier wird in München gejagt, ist aber schwer zu bekommen

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    Die Kutsche der Augustiner-Brauerei bei einem Trachten- und Schützenumzug auf dem Oktoberfest in München.  Seit März 2024 gibt es auch ein alkolfreies Augustiner.
    Die Kutsche der Augustiner-Brauerei bei einem Trachten- und Schützenumzug auf dem Oktoberfest in München. Seit März 2024 gibt es auch ein alkolfreies Augustiner. Foto: Marc Müller, dpa

    München erzählt nach wie vor Geschichten. Eine der sonderbarsten ist sicher, dass mit dem TSV 1860 München ein Fußballverein, dessen Fans für ausverkaufte Heimspiele sorgen und fleißiger als andere Anhängerschaften zu Auswärtsspielen reisen, immer noch in der 3. Liga herumwerkelt. Logisch lässt sich das nicht erklären. Ein zweites Münchner Mysterium ist selbst für Kenner der Brauerei-Szene des Millionendorfes schwer einzuordnen, herrscht doch neben bezahlbarem Wohnraum in nicht minder extremer Weise auch bei einem anderen Produkt chronischer Mangel, als stünde die DDR-Planwirtschaft mit ihren Waren-Engpässen Pate. Auf für viele unerklärliche Weise gibt es zwar das alkoholfreie Helle in Augustiner-Wirtschaften der Stadt. Allerdings bedarf es detektivischer Fähigkeiten, ja eines guten Informanten-Netzwerkes, in Getränkemärkten das alkoholfreie Bier zu ergattern. 

    Große Nachfragen nach dem alkolfreien Augustiner in Getränkemärkten

    Eine Vorort-Recherche in Münchner Getränkemärkten führt zu Gesprächen mit einem verständlicherweise zum Teil genervten Verkaufspersonal. „Nein, wir haben nix“, „der Augustiner hat kein Alkoholfreies mitgeschickt“, „Vielleicht kriegen wir in ein, zwei Wochen einige Kästen“, „Nix gwiss woas ma ned“. Beschäftigte in solchen Geschäften sind es leid, an einem Tag dutzenden Menschen zu erklären, dass sie ihnen zwar gerne den Gerstensaft verkaufen möchten, es aber schlicht nicht können. 

    Letztlich führt eine heiße Spur nach Sendling. Ein Informant ließ durchblicken, der Augustiner-Laster stelle dort immer dienstagsfrüh vor einem bestimmten Laden auch einige Kästen des seit März 2024 verkauften Bieres ab. Er sollte recht behalten. Neben den vielen Kisten mit normalem Hellem und Edelstoff sind die Etiketten mit dem Paar in Tracht und dem gelben Banner, auf dem in Blau „Alkoholfrei Hell“ steht, für Kenner zu sehen. Leugnen ist zwecklos für das Fachpersonal. Der Stoff ist da. Aber wieder nur Kopfschütteln. Nein, einen ganzen Kasten bekomme man natürlich nicht, sagt der Verkäufer lächelnd. Sechs Flaschen wären möglich, meint er gönnerhaft. Besser als nichts. 

    Der Mann packt die Flaschen sorgsam in einen Papp-Träger und rät, in einer Woche zur gleichen Zeit wieder zu kommen. Da gehe vielleicht was. Das Gespräch nimmt einen konspirativen Charakter an, als ob eine illegale Ware weitergereicht würde. Natürlich wird die Münchner Bezugsquelle an dieser Stelle nicht verraten, zumal hier die Flasche korrekt für rund einen Euro, wenn auch rationiert, abgegeben wird. 

    Prost: Die Augustiner-Brauerei hat mit ihrem „Alkoholfrei Hell“ viel Aufsehen erregt.
    Prost: Die Augustiner-Brauerei hat mit ihrem „Alkoholfrei Hell“ viel Aufsehen erregt. Foto: Gregor Tholl, dpa

    Nachforschungen haben einen zweiten Münchner Zugang zum Augustiner alkoholfrei ergeben. Wiederum bewährt sich Sendling. In einem ehemaligen Schreibwarenladen, der in eine Art Kiosk mit großen Getränke-Kühlschränken umgewandelt wurde, verkauft ein freundlicher Mensch die Flasche für zwei Euro und sagt großzügig: „Du kannst gerne einen ganzen Kasten haben. Der kostet dann allerdings 40 Euro.“ In einer Stadt - mit schon lange zu viel Geld - schlagen manche im Alkoholfrei-Rausch zu und sind sogar, wie Gewährsmänner bestätigen, bereit, 50 bis 60 Euro für einen Kasten des raren Gerstensafts hinzulegen. 

    „Nüchtern ist das neue Besoffen“: Darum boomt Augustiner alkoholfrei

    Ein Brauer, der namentlich nicht genannt werden will, schüttelt den Kopf und sagt: „Nüchtern ist das neue Besoffen.“ Max Wüllner, Filialleiter des M & S-Getränkemarktes in München-Nymphenburg, packt im Gespräch mit unserer Redaktion aus: „Alle zwei Wochen bekommen wir eine reduzierte Menge. Ich kämpfe dann darum, Kunden zu erklären, dass sie nur eine Kiste für den normalen Preis von 20,50 Euro bekommen können.“ Dabei hatte der Monaco Franze einst versichert: „A bisserl was geht immer.“ Abgesehen davon, dass es in München schon lange keinen Platz mehr für Monacos gibt, bleibt Getränkehändler Wüllner standhaft und gibt jeweils nur einen der knappen Kästen raus. Trickreiche Zeitgenossen, erzählt er, würden einen Nachbarn mitbringen, der so tue, als wolle er einen weiteren Kasten für sich selbst erwerben, ihn dann aber an seinen Kumpel abtritt, der schon einen hat. 

    Der ganz normale Wahnsinn. Von einem Augustiner-Bierfahrer ist in München aus mehreren Quellen die Geschichte überliefert, wie er die Laderampe seines Lkw kurz unbeaufsichtigt ließ und ihm zwei, drei Kästen des Alkoholfreien geklaut worden seien, während normales Bier unangetastet blieb. Die Nachfrage nach dem Getränk ist in München nach Einschätzung befragter Getränke-Händler 30 bis 40-mal höher als das Angebot. Nüchtern betrachtet weckt das Begehrlichkeiten und hat in einer Überfluss-Gesellschaft, in der es sonst fast alles gibt, einen Hype um das Bier ausgelöst.

    Augustiner-Schwarzhandel im Internet

    Es ist kaum zu glauben: Im Internet werden acht Flaschen Augustiner alkoholfrei auf der Plattform Ebay in einer Art Schwarzhandel für 30 Euro angeboten. Interessierte schlagen in solchen Fällen zu. Die Augustiner-Brauerei, deren Geschichte bis 1328 zurückreicht, könnte fantastische Geschäfte mit dem neuen Bier machen. Warum nutzen die Verantwortlichen nicht die Gunst der Stunde? Verfolgen sie eine besonders ausgefuchste Marketing-Strategie, mit bewusster Verknappung ein Gut möglichst begehrlich und bekannt zu machen, um dann irgendwann die Nachfrage voll zu bedienen? Ist das ein Fall von Augustiner-Kapitalismus 4.0, wie mancher in München mutmaßt? Wohl kaum. Führungskräfte des Unternehmens wollen sich in der Sache nicht aktuell zitieren lassen, aus besten Quellen der verschwiegenen Brauerei in der Landsberger Straße lässt sich aber in Erfahrung bringen, Manager wie Braumeister hätten mit dem großen Erfolg und der enormen Nachfrage nicht gerechnet. Lange waren sie skeptisch, ob ein alkoholfreies Helles zu einem Traditionshaus wie Augustiner passt. Dann rangen sich die Verantwortlichen, wie zu erfahren ist, schweren Herzens zu der Modernisierungsmaßnahme durch. Schließlich hat sich die Produktionsmenge alkoholfreien Biers und alkoholfreier Biermischgetränke nach Berechnungen des Deutschen Brauer-Bundes in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Demnach dürfte bald jedes zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein. 

    Eine Reihe von Augustiner-Krügen.
    Eine Reihe von Augustiner-Krügen. Foto: Michael Vogl, dpa

    Da müssen auch Konservative progressiv werden. Beim Augustiner heißt es indes „Eile mit Weile“ oder auf Bayerisch „Nur ned hudeln“. Die Experten haben sich mehrere Jahre Zeit gelassen, ein nüchternes Helles zu kreieren. Sie haben auch reichlich Zeit dafür bekommen, um die erste neue Sorte seit der Einführung des Augustiner Weißbiers im Jahr 1986 zu wagen. Mehrheitseigner der Brauerei ist eine Stiftung. Da muss Gewinn nicht auf Teufel komm raus maximiert werden. Wirtschaftlich steht das Unternehmen in schwierigen Zeiten für die Branche solide da. Nach einer Rangliste der Lebensmittel Zeitung ist Augustiner unter den 15 größten Brauerei-Gruppen Deutschlands eine der wenigen, die im vergangenen Jahr den Absatz zumindest leicht um 2,0 Prozent steigern konnten.

    Augustiner hat sich auf Platz elf festgesetzt

    Die sich gerne imagefördernd kleiner machenden Münchner haben sich in der ersten deutschen Brauereigruppen-Liga auf Platz elf festgesetzt, während Radeberger (unter anderem Jever, Schöfferhofer), der belgische Konzern AB InBev (Beck`s, Franziskaner), Bitburger, Krombacher und Paulaner auf Platz fünf die Rangliste anführen. Augustiner mischt längst unter den Großen mit und wollte ein alkoholfreies Helles brauen, das wie sein alkoholisches Lagerbier-Vorbild im Glas leuchtend strohgelb schimmert und über eine schöne Schaumkrone verfügt. Ein Brauer eines anderen Hauses, der seinen Namen nicht lesen will, verkostet immer wieder blind Biere und sagt anerkennend über das Konkurrenzprodukt, es sei vollmundig und frisch, nicht mastig, eben nicht zu voll. Er spricht von einem schlanken Bier, das indes alles andere als mager, auf alle Fälle spritzig im Antrunk bei einem dezenten Malzaroma und einer blumigen Hopfennote sei. Man ahnt: Die Entwicklung war kompliziert. Augustiner arbeitet nach eigenem Bekunden „mit einer streng geheimen“ Kombination aus gestoppter Gärung und Alkoholentzug. Der Handel kann jedenfalls immer noch nicht ausreichend bedient werden, obwohl die Brauerei „erste Maßnahmen zur Kapazitätserhöhung erfolgreich durchgeführt hat“, wie Augustiner unsere Redaktion wissen ließ. Eine weitere, größere Erweiterung sei in Planung. 

    Der Hype ist somit nicht das Resultat einer ausgeklügelten Verknappung-Strategie, sondern eines unerwarteten Erfolgs. Das Mysterium geht auf profane Gründe und noch zu knappe Kapazitäten zurück. Es dauert, Anlagen zur Entalkoholisierung von Bier, eines komplizierten und zeitaufwändigen Verfahrens, zu installieren. Getränke-Händler Wüllner meint: „Augustiner hat zur richtigen Zeit das richtige Bier gebracht.“ Noch hält der Alkoholfrei-Wahnsinn an. Insider versichern glaubhaft, es gebe Spezialisten, die Augustiner-Bierfahrer mit dem Auto verfolgen, um sofort zum Zuge zu kommen, wenn die alkoholfreie Ware vor Getränkemärkten abgeladen wird. 

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    1 Kommentar
    Rainer Kraus

    Alkoholfreies Bier ist wie Frauenfußball, man bleibt nüchtern.

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