Der Abbau von Bürokratie gehört zu den wichtigsten Zielen der Bundesregierung. Doch er könnte teure Nebenwirkungen entfalten. Weil die Fristen für das Aufbewahren von Belegen verkürzt werden, fürchten Experten, dass Steuerbetrüger ungestraft davonkommen. Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, warnt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Kriminelle können wichtige Beweismittel bereits nach acht Jahren vernichten, obwohl die Verjährung von Delikten der Steuerhinterziehung erst nach 15 Jahren eintritt. Wir stehen ab Januar vor der größten Beweisvernichtung in der deutschen Steuergeschichte – und das völlig legal.“
Anne Brorhilker: „Es ist absolut unverständlich“
Auch Anne Brorhilker, einst Chefanklägerin in milliardenschweren Betrugsverfahren, ist alarmiert. „Mit der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege geben wir ein zentrales Kontrollinstrument im Kampf gegen Steuerkriminalität auf“, sagt die frühere Kölner Oberstaatsanwältin unserer Redaktion. Brorhilker arbeitet inzwischen für die „Bürgerbewegung Finanzwende“, weiterhin mit derselben Mission: Sie kämpft dafür, dass dem Staat hinterzogene Steuern nicht durch die Lappen gehen. Ihre Befürchtung: Vor allem bislang unentdeckte Fälle lassen sich ohne Belege kaum noch aufklären – obwohl die strafrechtliche Verjährungsfrist bewusst verlängert wurde. „Es ist absolut unverständlich, dass Beweise vernichtet werden dürfen, bevor die Taten verjähren“, findet Brorhilker.
Der neue Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat das Problem bereits auf seinem Schreibtisch. Ein Sprecher betont auf Nachfrage, dass Fälle, in denen bereits ermittelt wird, nicht von der Fristverkürzung tangiert werden. Der Minister habe betont, „dass er die Bekämpfung von Steuerbetrug sehr ernst nimmt und vorantreiben will“. Die Bundesregierung prüfe, ob über den bestehenden Rahmen hinaus die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen bestehe.
Cum-Ex-Geschäfte brachten den Staat um Milliarden
Die Affäre um Aktiengeschäfte unter den Namen Cum-Ex und Cum-Cum gilt als größter Finanzskandal der deutschen Geschichte. Dem Staat entgingen Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe, weil Finanzberater eine Art Gelddruckmaschine ausgetüftelt hatten. Vereinfacht gesagt, wurde rund um den Tag der Hauptversammlung, an dem börsennotierte Konzerne einen Teil ihres Profits an die Aktionäre ausschütten, mit deren Anteilen gehandelt. Auf die ausgeschütteten Dividenden wurden Abgaben fällig, die der Käufer später über die Steuererklärung geltend machen konnte. Da die Wertpapiere im digitalen Handel allerdings ständig den Besitzer wechseln, ließ sich nicht zweifelsfrei nachvollziehen, wem sie im Moment der steuerpflichtigen Dividendenzahlung tatsächlich gehört haben. Das Ergebnis: Mehrere Aktionäre gleichzeitig erhoben Eigentumsansprüche für einen Unternehmensanteil – und ließen sich vermeintlich angefallene Steuern vom Staat erstatten, die sie gar nicht bezahlt hatten.
Die Verkürzung der Fristen hat ein durchaus hehres Ziel: Den Steuerzahlern soll Aufwand und damit Geld erspart werden. Doch aus Sicht von Gewerkschaftschef Köbler hält sich der Effekt in Grenzen: „Für zwölf Euro Ersparnis pro Unternehmen im Jahr riskieren wir Milliardenschäden. Das ist, als würde man die Feuerwehr abschaffen, um die Kosten für Löschwasser zu sparen.“ Sein Appell: „Es ist noch nicht zu spät für eine Kurskorrektur. Investieren wir die Millionen lieber in eine moderne, digitale Finanzverwaltung, statt Kriminellen dabei zu helfen, ihre Spuren zu verwischen.“
Jeder Abbau von bürokratischen Vorschriften, also einzuhaltenden Regeln, hat logischerweise auch seine Schattenseiten. Aus Antragsverfahren, Genehmigungsverfahren u.ä. kann man gerne einige Ebenen entfernen, Formulare um 50% kürzen ... => ginge vermutlich schneller, aber bliebe die Qualität des zu genehmigenden Produktes erhalten? Ich denke da z.B. an Baugenehmigungen der gesamten Infrastruktur. Bei dem Abbau von Bürokratie geht es um den Abbau unnötiger Bürokratie - und das ist nicht so einfach wie Hänschen sich das vorstellt.
Hänschen stellt nur fest, dass bei Bürgergeld gespart werden soll, während gegen Steuerhinterziehung seit Jahrzenten nichts unternommen wird.
Danke, Herr Stifter, dass Sie dies zum Thema machen! Ich fürchte, dass sich meine Sorge bestätigt, dass Hr. Klingbeil wegen viel zu geringen Vorkenntnissen im Steuer- und Finanzbereich einfach den Einflüsterungen und Forderungen einschlägiger Lobby - einschließlich Krimineller - folgt. Wann endlich bemüht sich die SPD mal wieder um qualifizierte Steuer- und Finanzpolitiker? Raimund Kamm
Diese Beleggeschichte ist wieder eine Plagerei für den Mittelstand. Mit großangelegter Clan-Kriminalität oder Kriminellen Machenschaften wie Cum-Ex haben belege gar nichts zu tun. Die Verwicklung des Ex-Kanzlers zeigen ja, dass man selbst bei Erdrückender Beweislast genug Druck ausüben kann, sodass die Staatsanwältin hinwirft und der Nachfolger den Fall durchwinkt. Aber wehe der Bäcker packt 49% statt 51% Milch n den Cappucino, sodass 19% statt 7% MwSt. fällig werden. Dann kommt das Finanzamt mit dem Galgen.
Die verkürzten Aufbewahrungsfristen (z. B. für Buchungsbelege von 10 auf jetzt 8 Jahre) wurden am 29.10.2024 im Bundesgesetzblatt verkündet („Vierte Bürokratieentlastungsgesetz“). Und heute soll dies ein „Geschmäckle“ haben? Was aber m. E. tatsächlich noch viele Jahre „zum Himmel stinkt“, sind die Cum-Ex- bzw. Cum-Cum-Geschäfte mit geschätzt 40 Milliarden Euro Gesamtschaden, bei deren Aufklärung die damalige Staatsdienerin Brorhilker vonseiten der Politik nicht ausreichend unterstützt, ja zum Teil sogar aktiv behindert wurde. Weil ich im Artikel kaum was zum Interessengeflecht bei diesen krummen Geschäften gelesen habe, empfehle ich hierzu die Lektüre der „Bürgerbewegung Finanzwende“ vom 11.03.2025. (Dort steht unter der Absatzüberschrift „Bankenrettung, mal anders“, dass Landesregierungen ihre involvierten Landesbanken vor hohen Rückforderungen schützen wollten, allen voran Hessen.)
Anstatt über " Fristen für das Aufbewahren von Belegen" zu diskutieren, sollte über Steuerbetrug in Milliardenhöhe jedes Jahr nachgedacht werden, eine Aufgabe, die sämtliche Finanzminister der letzten Jahrzehnte nicht angegangen sind. Durch die Vermeidung von Steuerhinterziehung könnten alle "Baustellen" in Deutschland schneller behoben werden als durch Streichen des "Bürgergeldes" hereinkommen, das vor allem auch alleinstehenden Müttern hilft, die aufgrund von fehlenden Kita-Plätzen nicht arbeiten können.
Genau so ist es, Herr Dietrich!
Was bitte haben schon erstellte Belege mit Bürokratie zu tun? da geht es doch eher darum Genehmigungsverfahren zu verkürzen/entstauben oder Entscheidungen zu beschleunigen. Das Aufbewahren von bestehenden Unterlagen macht nun wirklich einen großen Unterschied. Bürokratieabbau ja, aber doch nicht durch früheres vernichten von Beweismitteln. Das hat schon ein Gschmäkle.
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