Streik der Hafenarbeiter sorgt für Stau in der Deutschen Bucht
Corona, Brexit, der Krieg und nun der Streik. Die deutschen Seehäfen sind seit langer Zeit überlastet. Den Mitarbeiter der Seehafenbetriebe reicht es: Sie streiken.
Eigentlich liebt Mücahit Kara seine Tätigkeit. Doch dem Vertrauensleute-Sprecher der Gewerkschaft Verdi bei Eurogate Containerterminal Bremerhaven geht es wie den meisten seiner Kollegen in den deutschen Häfen: Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten sie am Anschlag. 50 bis 60 statt 37,5 oder 40 Wochenstunden Arbeit ist eher der Normalfall als die Ausnahme.
Doch mit der Wertschätzung seitens der Unternehmen, sagt er, sei es so eine Sache. Nachdem sich die Gewerkschaft und ihr Arbeitgeber-Gegenüber, der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), noch immer nicht auf einen neuen Tarifvertrag haben einigen können, reicht es den Mitarbeitenden. Rund 12.000 hat Verdi an diesem Donnerstag um 6 Uhr zu einem 24-stündigen Warnstreik aufgerufen – allein in Bremerhaven dürften es – laut einer Verdi-Schätzung – rund 2500 Beschäftigte aus drei Schichten sein.
Die Verladebrücken im Container-Terminal sind hoch
Der Blick in Richtung Containerterminal zeigt: Alle Verladebrücken sind hoch. Weder bei Eurogate noch bei North Sea Terminal Bremerhaven (NTB), das zu jeweils 50 Prozent Eurogate und der Bremer BLG Logistics Group gehört, rührt sich was. Hin und wieder ist ein einsamer sogenannter Van Carrier zu sehen; mit diesen werden die Container nach dem Entladen vom Schiff an ihren Platz gebracht oder am Kai abgestellt, damit die Blechkisten an Bord verladen werden können. Bis auf wenige Ausnahmen würden sich alle gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer am Warnstreik beteiligen, wissen Vertrauensleute-Sprecher Kara. Nicht nur in Bremerhaven ruht das Leben in den Häfen an diesem Donnerstag, sondern in allen Seehäfen: in Emden, Wilhelmshaven, Brake, Bremen und Hamburg.
Der Warnstreik kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die komplette Wirtschaft über unterbrochene Lieferketten klagt und sämtliche europäischen Häfen seit Beginn der Corona-Pandemie unter stetiger Überlastung ächzen. Der Brexit und der Krieg in der Ukraine tun ihr Übriges. Spätestens seit dem Unglück des Mega-Liners „Ever Given“ im Suez-Kanal im März 2021 seien alle Linien in der Containerschifffahrt durcheinander geraten, mutmaßt Verdi-Mann Klaus Schroeter, Mitglied der Verhandlungskommission. Während die noch bestehenden, weltweit fünf großen Reedereien hohe Gewinne einfahren würden, müssten die Häfen leiden.
Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft: Fracht- und Containerraten Anfang 2022 auf Allzeithoch
Das Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, ISL, sieht das ähnlich. „Anfang 2022 lagen die Fracht- und Containerraten auf einem Allzeithoch“, schreiben die Autoren der aktuellen Ausgabe von „Shipping and Market Review“. Reedereien wie MSC, Maersk und die deutsche Hapag-Lloyd meldeten Rekordgewinne. Ursache dafür sind laut ISL, dass trotz des Lockdowns in China die Nachfrage nach in Asien produzierten Gütern schon im vergangenen Jahr stark angestiegen sei. Arbeits- beziehungsweise Fachkräftemangel sowie hohe Krankenstände hätten außerdem dazu beigetragen, dass die Kapazitäten in den Häfen ausgelastet seien.
Das heißt in der Wirklichkeit: Containerschiffe werden be- und entladen und machen sich wieder auf die Reise. Aufgabe von Unternehmen wie Eurogate und NTB in Bremerhaven oder der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) ist es nun, die Container nach einem hochkomplexen System so auf den vorhandenen Lagerflächen zu stellen, dass die Blechkisten mit Konsum- und Investitionsgütern möglichst schnell beim Kunden ankommen. Doch das ist zurzeit so gut wie nicht möglich, im Gegenteil: Container müssen häufig umgestaut werden und es dauert oftmals Wochen, bis sie den Hafen überhaupt verlassen.
Die Terminals sind überlastet
Wie schwierig die Lage in den Häfen aktuell aus Arbeitnehmersicht ist, macht Christian Baranowksi, Betriebsratschef der HHLA-Tochter CTB Container Terminal Burchardkai, deutlich: „Die Kollegen fahren Slalom.“ Verdi-Vertrauensmann Kara bestätigt dies auch für das Containerterminal Bremerhaven. Dies führe am Ende zu geringerer Produktivität bei der Verladung von Containern.
Dass die Terminals überlastet sind, ist auch die Einschätzung von Hanja Maria Richter. Die Sprecherin von Hapag-Lloyd für den Bereich Flotte, Trade Management und Operations unterscheidet zwischen Import und Export. Für Letzteres habe die Wirtschaft inzwischen „gute Wege gefunden“. Beispiel Zeitfenster: Die Beteiligten sorgten dafür, dass Container mit Waren aus Deutschland oder der Europäischen Union (EU) „nicht gerade drei Wochen“ im Hafen abgestellt werden. Anders sehe es auf der Importseite aus. Hier staue es sich, weil entweder Züge fehlten, keine Lkw für den Transport vorhanden seien oder der Kunde schlichtweg die Ware nicht benötige.
Im Gegensatz zu Verdi-Mann Schroeter findet die Hapag-Lloyd-Sprecherin, dass die Schiffe auf den Linien gut unterwegs seien. Nur kämen sie eben nicht durch den Flaschenhals Hafen. Vor diesem Hintergrund sei die Schifffahrtslinie „China-Germany-Express“ beispielsweise von Hamburg nach Bremerhaven verlegt worden, um Europas größten Hafen zu entlasten. Die Großreederei spielt indes eine weitere Rolle – als Terminalbetreiber in Wilhelmshaven. Dass die Länder Bremen und Niedersachsen Deutschlands einzigen tidenunabhängigen und von Anfang an umstrittenen Hafen überhaupt gebaut haben, sei jetzt ein Glücksfall, findet Eurogate-Sprecher Steffen Leuthold. Wegen der bislang niedrigen Auslastung könnten zum Beispiel für Hamburg und Bremerhaven geplante Anläufe nach Wilhelmshaven umgeleitet werden.
Die Kapazitäten der Häfen reichen nicht aus
Trotzdem reichen die Kapazitäten in den Häfen nicht aus, alle Schiffe pünktlich und dem Fahrplan entsprechend abzufertigen. Die Folge: Statt in den Häfen festzumachen, müssen die Containerriesen auf einem der Ankerplätze in der Deutschen Bucht warten – sie liegen auf Reede. Das Schiffsverfolgungs-Portal „Vesselfinder“ verzeichnet aktuell 16 Containerschiffe auf Warteposition.
Wann sich die Lage entspannt, ist zurzeit noch nicht abzusehen. Hapag-Lloyd verweist auf seinen Geschäftsbericht vom Mai: „Wir rechnen mit einer angehenden Normalisierung ab der zweiten Jahreshälfte.“ Auch das ISL geht davon aus, dass die Lieferketten bis Ende des Jahres angespannt bleiben.
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