Datev hat als eines der größten deutschen Software-Unternehmen einen Mittelstandsindex zur Lage der kleinen und mittleren Unternehmen entwickelt, der hauptsächlich aus den realen Daten gespeist wird, die die Firmen an die Finanzämter melden. Wie bewerten Sie die gegenwärtige Lage des deutschen Mittelstands?
ROBERT MAYR: Ich bin vorsichtig optimistisch. Unsere aktuellen Daten zeigen, dass sich die Umsätze der kleinsten, kleinen und mittelständischen Unternehmen im Mai erholt haben – erstmals seit zwei Jahren. Im Vergleich zu Mai 2024 sind sie um 2,8 Prozent gestiegen. Das kann man schon eine Trendwende nennen. Ob die allerdings nachhaltig ist, ist nicht sicher. Besonders für die Kleinstunternehmen ist die Lage noch schwierig: Hier sind die Umsätze mit 0,1 Prozent nur ganz leicht im Plus.
Was sind die größten Probleme?
MAYR: Am dramatischsten ist die Lage bei den Kleinstunternehmen. Diese bauen mittlerweile Arbeitsplätze ab – und das ist wirklich alarmierend. Denn der Mittelstand ist eigentlich dafür bekannt, dass er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zum Äußersten hält. Das sind Betriebe, die tief in ihrer Region verwurzelt sind. Der Chef oder die Chefin kennen ihre Leute – die Buchhaltungskraft ist vielleicht mit seiner Frau oder ihrem Mann zusammen zur Schule gegangen. Wenn dort Jobs gestrichen werden, läuten die Alarmglocken wirklich sehr laut. Über Datev werden pro Monat fast 15 Millionen Löhne abgerechnet. Deshalb haben wir einen sehr präzisen Spiegel der wirtschaftlichen Realität. Für die Vergangenheit haben wir selbst in Krisenjahren aus diesen Zahlen klar erkannt: Der Mittelstand hält seine Leute. Aber jetzt sehen wir, dass sich diese Stabilität aufzulösen beginnt.
Was bedeutet das für die gesamte deutsche Wirtschaft?
MAYR: Was viele nicht wissen: 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand. Nur etwa 20.000 von gut drei Millionen Unternehmen liegen über der Grenze von 250 Mitarbeitenden – das sind dann die Großen. Die machen zwar über die Hälfte der Wertschöpfung aus, aber der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Wenn es dem Handwerk und den kleinen Betrieben schlecht geht, hat Deutschland ein echtes Problem.
Ihr Index zeigt, dass es den kleinen und mittleren Unternehmen deutlich schlechter geht als der Gesamtwirtschaft. Hat Sie das in dieser Schärfe überrascht?
MAYR: Ehrlich gesagt: Ja. Natürlich hatte ich ein Bauchgefühl, dass da was nicht stimmt. Aber wenn man es dann schwarz auf weiß sieht, dann trifft einen das schon. Wir haben zwei Jahre lang sinkende Umsätze gesehen. Im vergangenen halben Jahr auch einen klaren Arbeitsplatzabbau. Und das ist kein Bauchgefühl, das sind harte Fakten – live aus der Praxis, nicht geschätzt, nicht modelliert. Wenn man sieht, dass die Umsätze lange gesunken, aber die Löhne gleichzeitig gestiegen sind – dann braucht man kein BWL-Studium, um zu verstehen, dass das keine gute Gemengelage ist.
Wie kam es dazu, einen Wirtschaftsindex nur für Mittelstandsbetriebe zu entwickeln?
MAYR: Der Datev-Mittelstandsindex ist für uns ein echtes Herzensprojekt. Als IT-Dienstleister ist es in erster Linie unsere Aufgabe, eine zuverlässige IT-Infrastruktur für unsere Mitglieder und deren Mandanten, also vor allem mittelständische Unternehmen, zu schaffen. Unser Gründer Heinz Sebiger sagte: „Die Aufgabe von Datev ist es, dafür zu sorgen, dass es unseren Mitgliedern morgen besser geht als heute.“ Aber unsere Mitglieder betreuen als Steuerberaterinnen und Steuerberater zu 99 Prozent kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben also auch ein großes Interesse daran, die Lage des deutschen Mittelstands in den Fokus zu rücken. Deshalb stellen wir diese Daten öffentlich zur Verfügung.
Was unterscheidet den Index von anderen Umfragen und Erhebungen der Wirtschaftsforschungsinstitute?
MAYR: Wir sind politisch neutral, deshalb liefern wir beim Datev-Mittelstandsindex reine Daten über den Ist-Zustand der wirtschaftlichen Realität der kleinen und mittleren Unternehmen. Der Mittelstandsindex ist keine Umfrage, sondern basiert auf sehr belastbaren Zahlen: Wir arbeiten mit anonymisierten Daten, die wir in unserem Rechenzentrum über unsere Steuerberater von über einer Million Unternehmen bekommen. Das ist deutlich mehr als eine klassische Stichprobe, wir liefern schon ein sehr genaues Abbild aller kleinen und mittleren Unternehmen.
Zur Person: Robert Mayr, 59, ist seit neun Jahren Vorstandsvorsitzender der Datev. Die 1963 von Steuerberatern gegründete Nürnberger Genossenschaft ist nach SAP mit 1,5 Milliarden Euro Umsatz und 9000 Mitarbeitern das zweitgrößte deutsche Softwareunternehmen und einer der größten europäischen IT-Dienstleister.
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