DIW-Chef Fratzscher nennt das neue Entlastungspaket "unausgegoren"
Exklusiv Ökonom Marcel Fratzscher kritisiert falsche Signale für den Klimaschutz sowie eine fehlende Lösung für die explodierenden Strom- und Gaspreise. Und er wagt eine Prognose.
Nach stundenlangen Verhandlungen hat die Ampel-Koalition ihr lange erwartetes drittes Entlastungspaket präsentiert. Doch während die drei Parteien SPD, Grüne und FDP zufrieden mit dem Ergebnis sind, kommt Kritik vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung enthält gute Elemente, ist aber bei wichtigen Fragen unausgegoren, verteilt Gelder zu sehr per Gießkannenprinzip und ignoriert den Klimaschutz“, sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher unserer Redaktion.
Fratscher lobt unter anderem die Wohngeldreform – übt aber auch deutliche Kritik
Zwar lobt der Wirtschaftsexperte einzelne Teile. „Die Stärke des Entlastungspakets liegt in der Erhöhung der Leistungen für die verletzlichsten Menschen“, sagt er. Dazu zählt er die Wohngeldreform, die Anpassungen beim Bürgergeld, die Erhöhung des Kindergeldes und die Ausweitung der Midijob Grenze – auch wenn einige der Maßnahmen ohnehin geplant waren und nun lediglich vorgezogen werden. Eine zweite Stärke sei die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen durch Kredithilfen, die Fortsetzung des Kurzarbeitergelds, die Einbeziehung der Unternehmen bei der Strompreisbremse und die Verlängerung der Umsatzsteuerreduktion für die Gastronomie.
Und doch übt Fratzscher auch deutliche Kritik. „Die Bundesregierung bleibt bei der wichtigsten Herausforderung, der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, eine Lösung schuldig“, so der DIW-Chef. „Der Bundesregierung fehlt ein Plan bei der Strompreisbremse, die völlig unausgegoren ist und dem Prinzip Hoffnung folgt. Sie wird erst in vielen Monaten, wenn überhaupt, umgesetzt werden können.“ Und sie lasse viele Fragen, wie beispielsweise wie ein Basisverbrauch definiert werden soll, offen. „Die Bundesregierung koppelt die Strompreisbremse an die Abschöpfung der Übergewinne, ohne einen Plan vorzulegen, wie dies geschehen soll.“
Der Klimaschutz kommt DIW-Chef Fratzscher zu kurz
Zu kurz kommt Fratzscher auch das Thema Klimaschutz. „Das Aussetzen der Anpassung des CO2 Preises ist ein katastrophales Signal für den Klimaschutz. Die Bundesregierung muss bei einem Entlastungspaket die langfristige Transformation mitdenken“, sagt er. „Dies fehlt völlig im Entlastungspaket.“
Und noch eine Prognose wagt der Ökonom: „Die Bundesregierung wird, entgegen aller Versprechen, die Schuldenbremse 2023 nicht einhalten können“, sagt er. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung noch vor Ende des Jahres die Schuldenbremse für 2023 kippen und sich ehrlich machen muss.“ Finanzminister Christian Lindner schließt ein Aussetzen der Schuldenbremse aktuell aus.
Die Diskussion ist geschlossen.
Man wird es nie allen recht machen können. Die Kritik kommt etwas früh, schließlich ist die Tinte noch nicht mal trocken, mit der das Paket geschrieben wurde. Es wird auf die Umsetzung ankommen und darauf, was die Menschen daraus machen und was die Wirtschaft daraus macht. Auch die Wirtschaft muss sich darüber klar sein, dass der Staat nicht alles richten kann und dass man auch selbst kreativ sein muss, um zukunftsfähig zu arbeiten. Das dritte Paket ist ein gutes Signal, wenn es gut umgesetzt und nicht von vornherein zerredet wird. Da steckt noch ordentlich Arbeit drin, aber man darf optimistisch sein.
>> Und sie lasse viele Fragen, wie beispielsweise wie ein Basisverbrauch definiert werden soll, offen. <<
Da hat er schon recht; das wird der Ampel noch viel Ärger bereiten. Die Stromversorger kennen ja auch die Haushaltsgrösse nicht.
Es wird auch hier so sein, wie öfters in der Gesetzgebung: es wird ein Gesetz gemacht und verbschiedet und danach kommen die Ausführungsbestimmungen.
Ökonom Fratzscher trifft wie immer den Nagel auf den Kopf. Dass der Klimaschutz im neuesten Entlastungspaket fehlt, liegt an der
FDP, die kein Interesse am Klimaschutz hat. Vielen Dank an Frau Hufnagel und der AZ für den sachlichen Kommentar !
??? Zu wenig Klimaschutz
Die Erfordernis zur Entlastung kommt überwiegend aus extrem hohen Energiepreisen.
Eine Steigerung wäre ja eigentlich nur noch durch Heiz- und Fahrverbote möglich.
Man hat wohl vor allem vergessen, den Herrn Fratzscher zu fragen. :)
Da aber jeder Experte seine ganz besonderen Vorstellungen hat, ist es praktisch unmöglich, jedem gerecht zu werden. Der Strom- und Gaspreisdeckel kann ohnehin nur auf europäischer Ebene kommen.
Heute reicht es nicht mehr, nur „Claqueur der SPD“ zu sein. Und tatsächlich hat Fratzscher sich schon etwas in die richtige Richtung bewegt, z. B. bei seinem Mythos #20: „Nur eine politische Union kann den Euro retten.“ (vgl. Daniel Stelter; manager-magazin; 02.12.2019)