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Interview
09.01.2022

Ex-Greenpeace-Chef: Dürfen uns nicht an Brust der Grünen schmeißen

Thilo Bode war einst Greenpeace-Geschäftsführer. Er gründete die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch. Bode wird am 14. Januar 75 Jahre alt.
Foto: Foodwatch

Exklusiv Der einstige Geenpeace-Geschäftsführer und Foodwatch-Gründer Thilo Bode wird 75 Jahre alt. Seine Hoffnung, dass die Grünen etwas bewegen, ist sehr gering.

Herr Bode, Sie sind in Herrsching am Ammersee aufgewachsen, haben dort eine Ortsgruppe der Jusos, also der Jugendorganisation der SPD, gegründet und brachten es zum Vorsitzenden der Jusos im Kreis Starnberg. Was haben Sie in der Zeit gelernt?

Thilo Bode: Ich bin ja Teil der 68er-Generation. Bei den Jusos habe ich das Debattieren gelernt, auch das konfrontative Debattieren. Ich wurde dort politisiert. Wir wollten damals der SPD zeigen, wo es langgeht. Viele gingen zur APO, also zur außerparlamentarischen Opposition. Ich entschied mich als Bewunderer von Willy Brandt für die SPD. Ich habe bei den Jusos gelernt, wie viel Geduld Politik erfordert.

Und sicher auch, wie endlos lang Diskussionen gerade bei den Jusos dauern können.

Bode: (lacht) Wir sind damals als Jusos bei SPD-Versammlungen nach der „Mitternachts-Taktik“ vorgegangen. Wir haben solange diskutiert, bis ältere Genossinnen und Genossen nach Hause gegangen sind. Dann haben wir Beschlüsse gefasst. Doch diese utopischen Beschlüsse wurden leider nie umgesetzt.

Warum sind Sie nicht in der Politik geblieben? Jusos machen in der SPD verlässlich Karriere. Kanzler Olaf Scholz war einst Juso-Vizechef und der heutige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Juso-Bundesvorsitzender.

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Bode: So eine lange, reine Parteikarriere, wie sie etwa Kühnert absolviert hat, war nie mein Ding. Ich glaube, es würde Parteien guttun, auch mal von außen Quereinsteiger zu holen. Aber Politiker wie Scholz und Kühnert haben sich durch Ausdauer und Geschick in der Partei nach oben gekämpft. Jetzt sind sie da, wo sie immer sein wollten. Sie wollten Karriere machen.

Und warum haben Sie keine SPD-Karriere gemacht?

Bode: Die Möglichkeit dazu hatte ich. Nach meinem Volkswirtschaftsstudium und der Promotion hat mich das politische Geschäft aber nicht mehr gereizt. Es war mir zu zäh. Ich habe es nie bereut, aus der aktiven Partei-Politik ausgestiegen zu sein. Ich bin dann lange noch SPD-Mitglied geblieben und erst 1989 ausgetreten, als ich Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland wurde.

Auf den Job haben Sie sich auf eine Stellenanzeige in der FAZ beworben, nachdem Sie zuvor für ein mittelständisches Metall-Unternehmen gearbeitet haben.

Bode: (lacht) Die FAZ ist stolz, dass Sie so einen wie mich letztlich weitergebracht hat. Wir 68er sind ja den langen Marsch durch die Institutionen angetreten. Wir wollten ran an die Macht und es besser machen.

Haben Sie es besser gemacht, gerade als Geschäftsführer von Greenpeace und später als Gründer der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch?

Bode: Meine Zeit bei Foodwatch ist mit dem vergangenen Jahr zu Ende gegangen. Ich habe zuletzt viel darüber nachgedacht, was Menschen wie ich, die für Nicht-Regierungsorganisationen wie Greenpeace und Foodwatch arbeiten, leisten können. Ich glaube, man muss bescheiden sein. Nicht-Regierungsorganisationen regieren nicht und entscheiden nicht. Sie haben die Aufgabe, Debatten in Gang zu setzen, dafür zu kämpfen, dass das Allgemeinwohl und nicht nur das Wohl der Konzerne in der Öffentlichkeit vertreten wird.

Haben Sie das mit Erfolg getan?

Bode: Wir waren und sind mit Greenpeace und Foodwatch nicht ohne Erfolge. Nehmen wir den Kampf gegen den Walfang. Über das Thema haben viele Menschen früher nicht nachgedacht. Dann haben sie Bilder mit blutenden Walen und die Schlauchboote vor den Schiffen der Walfänger gesehen. Das hat das Denken der Menschen verändert. Sie haben erkannt, dass hier eine Tierart ausgerottet wird. Durch die Kampagne wurde bewusst, wie wichtig Artenreichtum, also Biodiversität ist. Und Foodwatch vertritt ein anderes Ernährungssystem, das sozial gerecht ist, für die Gesundheit der Menschen positiv wirkt und Verbraucher nicht belügt. Doch von diesem Ideal sind wir meilenweit entfernt. Auch wenn es uns als Foodwatch gelungen ist, Debatten in Gang zu setzen, kann man damit nicht zufrieden sein. Ob bei Greenpeace oder Foodwatch: Wir haben Erfolge gefeiert, aber keine Siege.

Das klingt ernüchternd.

Bode: Trotz Erfolgen kann die Ökologie-Bewegung für sich nicht in Anspruch nehmen, dass die Umwelt heute besser als früher geschützt ist. Das ist leider nicht der Fall. Und was das Ernährungssystem betrifft, haben wir zwar Teil-Fortschritte erkämpft, aber auch Rückschritte hinnehmen müssen. Auch das war insgesamt keine Erfolgsnummer. Aber zumindest ist es uns in der Öffentlichkeit gelungen, das Bewusstsein für einen Veränderungsbedarf zu schaffen. Und es ist auch dank des Engagements von Foodwatch gelungen, Essen zu einem politischen Thema zu machen. Nicht-Regierungsorganisationen sind natürliche Grenzen gesetzt: Wir verfügen nicht über eine Armee oder eine Polizei. Doch einiges haben wir schon erreicht, auch wenn es am Ende eben nur Erfolge ohne einen Sieg sind.

Doch Anhängerinnen und Anhänger von Organisationen wie Greenpeace und Foodwatch fordern Siege. Und es gab ja auch Siege für die Umweltbewegung, wie das Aus für die Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf oder der deutsche Ausstieg aus der Atomkraft.

Bode: Unsere Anhängerinnen und Anhänger unterstützen uns auch, um langfristig eine intakte Umwelt und ein sozial gerechtes, transparentes und der Gesundheit förderliches Ernährungssystem zu etablieren. Aber sie beschweren sich nicht, wenn das nicht schneller passiert. Am Ende sind es politische Entscheidungen, die die Siege für die Umweltbewegung und die Verbraucherrechtsorganisationen erringen müssen. Wir können als Nicht-Regierungsorganisationen ohne die Unterstützung von Regierungen gegen mächtige Industrie-Konzerne keine Siege einfahren. Zwar liegen wir mit unserer Kritik und unseren Visionen häufig richtig, doch am Ende verlieren wir zu oft.

Der deutsche Atom-Ausstieg war doch ein Sieg für alle, die sich in Umweltbewegungen engagieren.

Bode: Der Atom-Ausstieg war ein Sieg, auch weil dadurch der Ausbau der erneuerbaren Energien befördert wurde. Das ist großartig.

In den 80er Jahren wurde man als Spinner abgetan, wenn man die Atomkraft infrage gestellt hat.

Bode: Insofern ist das wirklich mal ein Sieg der Umweltbewegungen und nicht nur ein Erfolg. Und ich erinnere an die Auseinandersetzungen in Wackersdorf: Damals wurden die Kritikerinnen und Kritiker als technikfeindliche Idioten und Chaoten gerade in Bayern gebrandmarkt. Doch am Ende haben diese Menschen Recht behalten und gewonnen. Bis heute – und ich werde am 14. Januar 75 Jahre alt – bin ich erstaunt, wie oft man doch, wenn man gut begründete Thesen in den Raum stellt, als Lügner abgetan wird. Damit komme ich bis heute schlecht zurecht.

Doch Sie sind Juso-gestählt, können also einiges aushalten.

Bode: Aber ich bin auch mit bald 75 Jahren immer noch ziemlich naiv und rechne nicht mit solchen massiven Anschuldigungen. Als wir Regelungen des geplanten Freihandelsabkommens TTIP kritisiert haben und bemängelten, bestimmte Sicherheitsstandards, zum Beispiel Hygiene-Kontrollen, könnten ohne Einschaltung des Parlaments quasi eingefroren werden, konnten wir das mit Fakten belegen. Doch der damalige Bundeswirtschaftsminister und SPD-Mann Sigmar Gabriel bestritt das einfach, ohne seine Ansicht zu begründen. Da hat man als Nicht-Regierungsorganisation schlechte Karte. Im Zweifel wird der Politik geglaubt. Das Ausmaß am Abstreiten von Wirklichkeit seitens der Politik ist enorm. Zwar räumen dann auf lange Sicht Politikerinnen und Politiker ein, dass wir Recht haben. Doch so läuft uns die Zeit davon, was beim Klimaschutz besonders tragisch ist.

Jetzt macht sich die Generation Baerbock und Habeck bei den Grünen auf, schneller Entscheidungen für mehr Klimaschutz zu treffen. Stimmt Sie das nicht zuversichtlich?

Bode: Ich bin eher skeptisch, denn die Grünen können ihre idealistischen Ziele nicht eins zu eins umsetzen, sondern müssen als Regierungspartei Kompromisse schließen. Diese Kompromisse dürfen Organisationen wie Foodwatch nicht vorwegnehmen. Wir dürfen uns also nicht an die Brust der Grünen schmeißen, sondern müssen Distanz wahren. Das macht uns stark. Wenn wir keine Distanz wahren, können wir die Dinge nicht mehr beim Namen nennen. Damit könnten wir keine Veränderungen anstoßen.

Sind Sie nicht zumindest ein bisschen euphorisch, wo doch die Grünen und damit Ihre Verbündeten nach einem langen Marsch durch die Institutionen wieder an den Töpfen der Macht sitzen?

Bode: Die Klimapläne der neuen Regierung sind jetzt schon nicht ausreichend, um die deutschen Klima-Ziele, geschweige denn das 1,5-Grad-Ziel von Paris, zu erreichen. In der landwirtschaftlichen Klimapolitik drücken sie sich vor harten Maßnahmen. Da kann ich nicht still bleiben, sind die Grünen doch als Klima-Partei angetreten. Ich bin gespannt, wie sich hier der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir schlägt.

Der erste Grüne im Amt des Landwirtschaftsministers: Cem Özdemir.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

Özdemir scheint voll motiviert zu sein.

Bode: Die Landwirtschaft ist aber einer der größten Klimaschädiger. Und es ist zu befürchten, dass am Ende die Koalitionäre noch weniger erreichen, als sie sich vorgenommen haben. Özdemir müsste hart in Besitzstände eingreifen. Ob er das macht, bezweifele ich, denn die Agrar-Lobby ist eine der mächtigsten deutschen Lobby-Komplexe. Und das Landwirtschaftsministerium ist ein reines Klientel-Ministerium.

Was kann Özdemir dennoch bewirken?

Bode: Herr Özdemir wird einen Teufel tun und sich mit dem Bauernverband anlegen, schon gar nicht mit den Öko-Landwirtinnen und -Landwirten. Herr Özdemir wird von Foodwatch keinen Öko-Bonus bekommen, er kann froh sein, wenn er von uns keinen Öko-Malus erhält. Ich kann mich noch an die rot-grüne Regierung erinnern, als Kanzler Gerhard Schröder anfing, im Bio-Markt einzukaufen und die Regierung erklärte, was sich alles in der Landwirtschaftspolitik ändern müsse. Doch es ist im Grunde alles beim Alten geblieben. Wir haben diese Politik kritisiert und ohne Ende Prügel kassiert. Auf diese Prügel bin ich bis heute stolz. Heute nach zwanzig Jahren werden nur acht Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet und je nach Tierart stammen nur ein bis drei Prozent des Fleisches aus der Bio-Produktion. Eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus.

Kleine Klima-Schritte sind aber besser als gar keine.

Bode: Bei einem globalen Problem wie dem Klima-Problem ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn das Tempo nicht stimmt, ein falscher Schritt.

Es klingt fast so, als wäre es Ihnen lieber, die Grünen wären in der Opposition geblieben.

Bode: Natürlich verstehe ich, dass die Grünen nach jahrelangen Kämpfen auch einmal etwas zu sagen haben wollen, nach dem Motto des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering, Opposition sei Mist. Ich glaube aber, dass eine starke Oppositionspartei, die eine harte Klimapolitik vertritt, womöglich mehr als auf der Regierungsbank erreichen kann. Wenn ich mir den Koalitionsvertrag mit allen Schwurbeleien beim Thema „Klimaschutz“ anschaue, ist Skepsis angebracht. Meine Hoffnung, dass die Grünen etwas bewegen, ist sehr gering.

Mit Angela Merkel wurde eine ehemalige Bundesumweltministerin nach rund 16 Jahren Kanzlerschaft zum Abschied mit Lob überhäuft. Packen Sie da auch noch zumindest ein bisschen was drauf?

Bode: (lacht) Nein. Die Umweltbilanz von Frau Merkel ist ein Desaster.

Doch sie hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen.

Bode: Das war eine Folge der nuklearen Katastrophe im japanischen Fukushima. Aus dem Vorfall hat Frau Merkel die Schlussfolgerung gezogen. Es ist jedoch eine Geschichtsklitterung, sie als Klima-Kanzlerin zu bezeichnen. Denn Merkel hat schon Ende der 90er Jahre immer wieder betont, sie könne für die Umwelt nur das tun, was politisch möglich sei. Genau mit dem Argument hat sie auch Forderungen von Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future gekontert.

Was erbost Sie so an dem Merkel-Pragmatismus?

Bode: Mit dieser Haltung unterwirft sich Frau Merkel keiner unabhängigen Prüfungsinstanz. Sie beansprucht für sich, beurteilen zu können, was politisch möglich ist und was nicht, auch wenn es noch Luft nach oben gäbe. Frau Merkel kann damit die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten nach Belieben verschieben und Erfolge beliebig definieren. Das ist eine undemokratische Anmaßung. Frau Merkel als sogenannte Klima-Kanzlerin hat sich nicht ein einziges Mal von den Lügen und dem flächendeckenden Betrug der Autokonzerne im Diesel-Abgasskandal distanziert. Sie war keine Klima-Kanzlerin, sondern durch und durch eine Auto-Kanzlerin.

Herr Bode, Ihre Kritik an unserem System ist noch fundamentaler.

Bode: Ja, weil Autokonzerne, Konzerne generell zu viel Macht haben. Es ist ein Unding, dass Politikerinnen und Politiker zum Teil über Nebenjobs mit der Wirtschaft verbandelt sind. Ich kritisiere nicht Politikerinnen und Politiker als solche, sondern die Umstände, in denen Politik in unserer Demokratie stattfindet.

Ihnen missfallen also im Brecht’schen Sinne die Verhältnisse.

Bode: Ja, es sind die Verhältnisse, an denen ich mich stoße. Es gibt kein gutes Leben im schlechten.

Bode hält es für unmenschlich, dass es in Deutschland kein Tempolimit gibt.
Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)

Was haben Sie gedacht, als schon während der Koalitionsverhandlungen deutlich wurde, dass es wieder kein Tempo-Limit auf Autobahnen gibt?

Bode: Dass es unmenschlich ist, dass es in Deutschland kein Tempo-Limit gibt. Diese rasenden SUV-Panzer auf deutschen Autobahnen, ja dieser Kampf jeder gegen jeden entsetzt mich. Die Autos sind übermotorisiert. Sie finden heute kaum noch ein Auto, wo der Tacho nicht 200 anzeigt. Das ist verrückt. Da bekommt man Angst. Ich fahre schon lange nicht mehr selbst Auto, aber diesen Wahnsinn finde ich auch als Beifahrer entsetzlich. Dass die Grünen das Tempo-Limit nicht durchsetzen konnten, hat mich negativ überrascht. Zunächst dachte ich, dass die Grünen dafür, dass sie das Tempo-Limit nicht bekommen, im Gegenzug weitreichende Klima-Regelungen erstreiten können. Das war ein Trugschluss.

Sie sprechen von einer „Diktatur der Konzerne“. Was diktieren uns diese Konzerne und warum lassen wir uns das diktieren?

Bode: Nehmen wir die Auto-Konzerne: Sie verdienen am meisten Geld mit großen und schweren Autos, die die Umwelt schädigen. Was Lebensmittel betrifft, machen Konzerne den meisten Profit mit Junkfood. Die Renditen mit überzuckerten, zu salzigen und zu fetten Lebensmitteln sind traumhaft. Mit diesen Lebensmitteln wird die Gesundheit von Menschen weltweit geschädigt. Das bedingt eine weltweite Köperveränderung: Menschen bekommen Diabetes und leiden unter Fettleibigkeit.

Warum sind die Konzerne so mächtig geworden?

Bode: Weil sie, auch durch Fusionen, immer mehr Geld angehäuft haben. So wird der deutsche Lebensmittelhandel nur von vier großen Gruppen beherrscht. Diese Konzerne dominieren mehr als 80 Prozent des Marktes und führen einen knallharten Preiskampf. Davon profitieren Verbraucherinnen und Verbraucher zunächst einmal preislich.

Was sind die negativen Folgen?

Bode: Die Verbraucher bekommen keine wertvollen und ausgewogenen Lebensmittel. Kreative Hersteller, die wirklich ökologische und gesundheitsgerechte Lebensmittel herstellen, haben meist keine Chance bei den großen vier Einzelhandels-Riesen. Ihre Produkte werden ausgelistet, weil sie nicht genügend Marge bringen. Wir haben also ein Macht-Problem in Deutschland. Die Konzentration der Macht, ob in der Lebensmittel- oder Autoindustrie, verhindert Innovation und Alternativen. Ein starker Innovator wird einfach von Konzernen weggekauft.

Das klingt fatalistisch.

Bode: Nur, wenn man realistisch mit fatalistisch gleichsetzt. Lobbyistinnen und Lobbyisten sind heute nicht mehr nur Menschen, die in der Lobby eines Parlaments warten und der Politik ihre Themen anpreisen, sondern sie haben Politik, Wissenschaft, Stiftungen und die öffentliche Meinung unterwandert. Von den Konzernen beauftragte Edel-Kanzleien, die sagenhafte Honorare einstreichen, torpedieren die Politik, ob in Berlin oder Brüssel. Ohne ein Verschwörungstheoretiker zu sein, muss man festhalten: Die Macht der Konzerne ist auf Kosten der Arbeitnehmer gewachsen. Geld schafft politische Macht. Konzerne haben ihre Macht auf Kosten der Politik vergrößert. Wir haben also in unserer Gesellschaft ein Macht-Problem.

Wie gefährlich ist das für eine Demokratie?

Bode: Sehr gefährlich, denn etwa die zu mächtig gewordenen Agrar- und Lebensmittel-Konzerne bestimmen die Zukunft des Essens. Wir als Verbraucher und damit Bürger haben kaum Mittel, um dem etwas entgegenzusetzen. Auch haben wir als Zivilgesellschaft nur unzureichende Klagerechte gegen diese Multis. Die Macht ist ungleich verteilt.

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Und Sie sagen auch noch, dass der Einzelne mit seinem Einkaufskorb die Welt nicht besser machen kann, auch wenn er zu Bio-Produkten greift.

Bode: Der Einzelne kann die Welt nicht verändern, weil er nicht die Regeln setzt. Denn bessere und nachhaltigere Produkte sind teurer. So denken sich viele, wenn ich allein teure Bio-Produkte kaufe, bin ich der Blöde, weil die Anderen das nicht tun. Oder wenn ich allein ein kleines Auto fahre, bin ich der Blöde, weil die Anderen große SUVs fahren. Bei Lebensmitteln kommt erschwerend hinzu: Sie können den Unterschied nicht schmecken. Ein Bio-Ei schmeckt wie ein konventionell erzeugtes Ei. Und unverständliche, irreführende Kennzeichnungen erschweren darüber hinaus eine echte Qualitätsauswahl.

Wie kann man das Macht-Dilemma durchbrechen?

Bode: Indem der Staat durch klare Regeln das Allgemeinwohl durchsetzt und nicht den Lobbyisten folgt, also die Diktatur der Konzerne bricht. Eigentlich müsste man das gar nicht in einer Demokratie diskutieren, hat doch das Allgemeinwohl stets Vorrang. Wenn man in einer Demokratie vorn öffentliche Kontroversen reinsteckt, muss hinten auch Allgemeinwohl und nicht Konzernwohl rauskommen. Wir müssen also die engen Verflechtungen von politischen und wirtschaftlichen Interessen aufbrechen. Das muss im Sinne der Demokratie geschehen. Am Ende landen wir immer wieder bei der Machtfrage. Die Politik muss das Heft des Handelns gegenüber den Konzernen wieder in die Hand nehmen.

Können Verbraucher gar nichts verändern?

Bode: Auch wenn Verbraucher mit ihrem Einkaufskorb das System nicht verändern können, tun sie sich selbst etwas Gutes und gehen mit gutem Beispiel voran, wenn sie Bio-Lebensmittel einkaufen. Doch das darf nicht dazu führen, dass man mit dem SUV zum Hofladen fährt, um dort sechs Eier zu kaufen. Dieser gerade in Bayern verbreitete Pseudo-Nachhaltigkeitssport ist absurd.

Wie machen wir die Welt zumindest etwas besser?

Bode: Indem man Erfolge erringt, ohne zu erwarten, dass man gleich Siege feiert. Es gibt keine Alternative, als weiterzumachen. Wir müssen Utopien für eine bessere Welt formulieren und als Organisationen wie Greenpeace oder Foodwatch über Argumente und Kampagnen den Weg bereiten, auf dem wir diesen Utopien nahekommen.

Sie sind also doch kein Fatalist.

Bode: Ich arbeite weiter gerne mit an einer Welt, die gerecht, demokratisch, sozial und ökologisch ist. Ich gebe mich nicht mit der Realität zufrieden.

Zur Person: Thilo Bode wird am 14. Januar 75 Jahre alt. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete Bode die Verbraucherrechts-Organisation Foodwatch. Der Bayer hat mehrere Bücher geschrieben, darunter „Die Diktatur der Konzerne“.

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17.01.2022

Es ist gut, dass Tilo Bode auf die schädliche Macht der Auto-, Handels-, Energiekonzerne usw. hinweist.

Es ist erstaunlich, dass Tilo Bode den Atomausstieg falsch einordnet:

>>Bode: (lacht) Nein. Die Umweltbilanz von Frau Merkel ist ein Desaster.
Doch sie hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen.
Bode: Das war eine Folge der nuklearen Katastrophe im japanischen Fukushima. <<

Der Atomausstieg wurde im Juni 2000 zwischen den Atomkonzernen und der damaligen rot-grünen Bundesregierung vereinbart und anschließend als Gesetz im Bundestag beschlossen. Es war ein böser politischer Betrug, dass RWE; EON & Co sich für diesen Atomausstieg den Bau von Zwischenlagern zur Auflösung des Atommüllnotstandes und die Nichtverschärfung der Atomaufsicht haben geben lassen, und dann insgeheim mit CDU/CSU/FDP eine Laufzeitverlängerung angepeilt haben, die dann nach Fukushima wegen der Abwendung der Wähler von der CDU wieder rückgängig gemacht wurde.

Raimund Kamm