Wie unser Trendkonsum Lateinamerika ins Wanken bringt
Wir wollen mit E-Autos klimafreundlich fahren, uns mit Avocados gesünder ernähren. Doch die Ziele belasten Staaten in Lateinamerika.
Während in Deutschland die Euphorie um die E-Mobilität keine Grenzen kennt, sorgen sich die indigenen Völker um ihre indigenen Territorien. Dort liegt das so wichtige Lithium für die Akkus und beim Abbau geht Wasser verloren. Viel Wasser. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie vermeintlich „guter“ Konsum Natur und Gesellschaft in Lateinamerika aus dem Gleichgewicht bringt. Längst kontrolliert die Drogenmafia den Avocado-Anbau in Mexiko, wird der Amazonas-Regenwald für Soja oder Bio-Sprit abgeholzt. Einige Beispiele:
Sie nennen sie „Superfood“ oder „Superheld der Küche“: Avocados sind – so überschlagen sich die Food-Magazine – gut für das Herz, sie kurbeln den Stoffwechsel an und enthalten jede Menge Vitamine. Die Frucht peppt jedes Rezept auf, heißt es in einschlägigen Blogs. Für viele ist sie sogar Fleischersatz und damit besonders klimafreundlich. Mit einer solch grünen, gesunden Frucht kann man ja eigentlich nichts falsch machen – oder?
Der Avocado-Anbau blüht, die Flüsse in Lateinamerika trocknen aus
In Chile sind viele Menschen anderer Meinung. In der Provinz Petorca rund 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago de Chile fallen nur 200 Millimeter Regen pro Jahr. Das ist praktisch nichts. Die Einheimischen leben daher seit jeher in den Talsohlen, wo Flüsse aus den Anden ein wenig Landwirtschaft ermöglichen, berichtet die Nichtregierungsorganisation „Rettet den Regenwald“. Ausgerechnet hier konkurriert seit einigen Jahren „ein Millionenheer von durstigen Obstbäumen“ mit den Menschen um das kostbare Wasser. Auf rund 8000 Hektar Fläche bauen Firmen Obst für den Export an, die meisten von ihnen Avocados, die dann auch in deutschen Supermärkten landen.
Das Problem: Jeder Avocadobaum benötigt etwa 600 Liter Wasser pro Woche. Mit Pumpen saugen die Firmen deshalb das Wasser aus Tiefbrunnen in Bewässerungsteiche. Die Rechnung bezahlen die Nachbarn mit ausgetrockneten Flüssen, verdorrter Vegetation, brachliegenden Feldern der Kleinbauern, Trockenheit und Grundwasserknappheit. Wasser ist in Chile privatisiert. Nun soll eine neue Verfassung die Rechte neu klären. Der Kampf ums Wasser ist in Chile eine gesellschaftliche Frage geworden und damit auch, wie die Avocados der Zukunft produziert werden sollen.
Drogenkartelle kontrollieren das Avocado-Business
Während in Chile der Kampf ums Wasser für die Avocado tobt, entzweit der Anbau in Mexiko die Gesellschaft. Uruapan gilt als eine der wichtigsten Städte im Avocado-Anbau weltweit. Gut 40 Prozent der Avocados, die in die USA geliefert werden, stammen aus dieser Region. Doch anstatt einer der ältesten Städte des Landes Wohlstand zu verschaffen, tobt hier seit Jahren ein brutaler Kampf um die Vormachtstellung im Avocado-Geschäft. In der Großstadt im mexikanischen Bundesstaat Michoacán hat die Drogenmafia die Kontrolle über die Landwirtschaft übernommen. Die Kartelle haben ihren Krieg auf alles ausgeweitet, das Geld bringt. Und das bringt die Avocado-Produktion. So werden Gewerkschaftler, Zwischenhändler, Lokalpolitiker ermordet, die diesem Geschäft im Weg stehen könnten. Eine gesellschaftliche Kontrolle über das, was bei der Avocado-Produktion geschieht, gibt es praktisch nicht.
Noch ein Beispiel. Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Euphorie in Europa groß: Bio-Sprit sei ein Lösungsansatz für die Herausforderungen des Klimawandels. Euphorisch reisten damals Politiker aus Deutschland nach Brasilien, um dem eingeleiteten Strukturwandel hin zum Bio-Sprit Beifall zu beklatschen. Präsident damals: Lula da Silva, der in den Anfangsjahren seiner Amtszeit (2003–2011) sogar doppelt so viel abholzen ließ, wie der heutige Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Der damalige Bundesumweltmister Jürgen Trittin lobte die Weichenstellung in Brasilia als vorbildlich, Brasilien sei auf dem Weg der Biosprit-Produktion Europa ein Stück weit voraus. Zuhause machte Trittin, angespornt durch den brasilianischen Weg, derweil Lobbyarbeit für eine deutsche Energiewende: „Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt.“
Der Bio-Sprit hat eine verheerende Umweltbilanz
Rund 20 Jahre nach dem Boom ist das Ergebnis der damaligen Weichenstellung verheerend: „Die Produktion von Bio-Sprit hat in Brasilien eigentlich nur einen Sieger hervorgebracht, nämlich die Agrar-Industrie“, sagt Guilherme Ferreira, Geograf und Umwelt-Blogger aus Recife, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Verloren hat der Regenwald, weil in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv abgeholzt wurde. Verloren haben die indigenen Völker, die aus ihren Territorien vertrieben wurden. Und verloren hat die Natur, weil sie durch Pestizide und Mono-Kulturen zerstört wird.“
Was damals der Hype um den Bio-Sprit war, erinnert heute an die Euphorie um Lithium. Genauer gesagt Lithiumkarbonat, dem Rohstoff für ein leichtes, silbriges Metall, das in Batterien und Akkus in fast allen Computern, Telefonen und E-Autos zu finden ist. Emissionsfrei sollen die Autos der Zukunft fahren, heißt die Parole. Weg von fossilen Brennstoffen. Doch auch die Lithium-Gewinnung hat ihre Schattenseiten.
Der Protest gegen die Lithium-Ausbeutung nimmt zu
Die Volkswagen AG nimmt auf ihrer Internetseite zu dem Problem Stellung: „In einigen Gegenden klagen Einheimische über zunehmende Trockenheit, die beispielsweise die Viehzucht gefährde oder zum Vertrocknen von Bäumen führe. Aus Sicht von Experten ist bislang unklar, inwieweit die Trockenheit tatsächlich mit dem Lithiumabbau zusammenhängt. Unstrittig ist: Für die Lithium-Gewinnung selbst wird kein Trinkwasser benötigt. Umstritten ist dagegen, in welchem Ausmaß die Entnahme von Salzwasser zum Nachströmen von Süßwasser führt und damit den Grundwasserspiegel am Rand der Salare beeinflusst.“
Weil im Länderdreieck Argentinien, Bolivien, Peru die Regierungen nun aufs Tempo drücken wollen, was die Lithium-Produktion angeht, sind vor allem die auf dem Land lebenden indigenen Völker besorgt. Sie fürchten nicht nur den Verlust ihrer Territorien, sondern auch eine nachhaltige Zerstörung der Umwelt durch den industriellen Abbau von Lithium. Es gibt bereits erste Protestbewegungen.
Europas Fleischindustrie hängt von südamerikanischem Soja ab
Besonders laut ist die Kritik an der zerstörerischen Amazonas-Politik von Brasiliens rechtspopulistischem Präsidenten Jair Bolsonaro aus Europa. Tatsächlich hat die Abholzung unter Bolsonaro in dessen ersten drei Amtsjahren bedrohlich zugenommen. Möglich gemacht hat diesen gefährlichen Trend vor allem Bolsonaros rücksichtslose Politik der Liberalisierung von Umweltvorschriften, das gezielte Aushöhlen und Schwächen von Institutionen, die die Umwelt schützen sollen, aber mit immer weniger Geld, Einfluss und Personal ausgestattet werden. Der Sieger dieser Entwicklung: Die brasilianische Agrar-Industrie, die seit Jahren immer neue Milliarden-Umsatzrekorde einfährt.
Ein Grund dafür ist der Soja-Anbau. Europa ist einer der größten Abnehmer dafür. Neben China, das immer mehr Soja aus Brasilien importiert, ist es vor allem die europäische Fleisch-Industrie, die Soja als Tierfutter einführt. Die Kritik aus Europa kontert Bolsonaro mit dem Vorwurf, die Alte Welt habe selbst einmal aus Urwäldern bestanden. Und auf diesen abgeholzten Flächen produziere nun die europäische Agrar-Industrie, die die brasilianische Konkurrenz fürchte. Ein kleiner, aber nicht der entscheidende Anteil der weltweiten Soja-Produktion, fließt auch in die Produktion veganer Produkte. Umweltorganisationen schätzen, dass rund sechs Prozent der weltweiten Sojaernte, hauptsächlich im asiatischen Raum, direkt für den menschlichen Verzehr in Form von Sojasprossen, Sojaöl oder Tofu genutzt wird.
Die Organisation „Faszination Regenwald“ fordert eine Reduktion Fleischkonsums vor allem in Europa, um die flächenfressende Soja-Produktion zu stoppen: „Unsere Viehbestände sind viel zu hoch, als dass sie noch von einheimisch angebauten Futtermitteln ernährt werden könnten. Ohne die Importe von Sojabohnen, die auf ehemaligen Tropenwaldflächen angebaut wurden, könnten unsere Massentierhaltungen heute nicht existieren.“
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