Warum nun doch ein Mann Bundesbank-Chef wurde
Lange galt mit Isabel Schnabel eine Frau als Favoritin für den Spitzenposten. Dann schob ausgerechnet die FDP den SPD-nahen Joachim Nagel erfolgreich an.
Von Robert Barro, Ökonomie-Professor an der amerikanischen Harvard-Universität, stammt die Erkenntnis, der ideale Zentralbanker solle in der Öffentlichkeit stets düster auftreten, niemals Witze reißen und ständig über die Gefahren der Inflation klagen. Zumindest das beharrliche Mahnen vor den Risiken der Teuerung muss sich der neue Bundesbank-Präsident Joachim Nagel nicht mehr aneignen, hat der 55-Jährige doch den entschlossenen Kampf für Preisstabilität dort erlernt, wo er in Europa am besten trainiert wird: in den Reihen der Bundesbank.
Der gebürtige Karlsruher, der den Akzent seiner badischen Heimat nicht verbirgt, ist ein Eigengewächs der deutschen Zentralbank. Dort hat sich Nagel, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, nach einer wissenschaftlichen Karriere von 1999 an bis in den Vorstand hochgearbeitet. Nachdem der Ökonom 2016, wie er heute sagt, „schweren Herzens“ die Bundesbank zunächst für Führungsaufgaben bei der KfW Bankengruppe und schließlich der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel verließ, ist er nun zur Bundesbank heimgekehrt.
Joachim Nagel taugt nicht zum Finsterling
Bei der Feier zum Amtswechsel zeigt sich am Dienstag bald: Nagel taugt nicht zum Finsterling, wie das Barro ironisch nahelegt. Denn der neue Bundesbank-Chef lächelt, ja lacht immer wieder bei seiner Rede, auffällig häufig für einen Notenbanker. Der Mann scheint gute Laune zu haben und unterdrückt das nicht.
Auch wenn der Nachfolger von Jens Weidmann keine Witze erzählt, scheint doch immerhin seine Ironie durch – und das gerade gegenüber dem anwesenden Bundesfinanzminister Christian Lindner. Den Liberalen lässt Nagel wissen, was der schon weiß, nämlich, dass ein Bundesbank-Präsident auch von Amts wegen kritische Ratschläge an Politikerinnen und Politiker, also auch an den Bundesfinanzminister erteile. Lindner lächelt nach der Bemerkung des selbstbewusst wirkenden Mannes an der Bundesbank-Spitze, der wie eine Richterin oder ein Richter unabhängig gegenüber der Politik auftreten kann. So ist es interessant, das verbale Pingpong-Spiel zwischen Nagel und dem Finanzminister zu verfolgen: Der FDP-Mann fordert den Bundesbank-Präsidenten zu etwas auf, was diesem ohnehin im Blut liegt, also ein Kompass der stabilitätsorientierten Geldpolitik zu sein und in der Sache unbequem aufzutreten.
Was macht Christine Lagarde?
Während die bei der Feierstunde anwesende Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, die gegenseitigen Ermunterungen der beiden Männer ohne jedes Lächeln zur Kenntnis nimmt, wird rasch klar: Hier nähern sich mit Lindner und Nagel zwei Köpfe an, die ähnlich ticken, auch wenn es darum geht, die staatliche Verschuldung nach der Corona-Krise wieder zurückzuführen.
Dabei kommt zusammen, was rein auf dem Papier nicht zusammengehört, ist Nagel doch SPD-Mitglied und war 1994 Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik beim SPD-Parteivorstand. Derlei parteipolitische Vorlieben scheinen beim neuen deutschen Anti-Inflations-Duo keine Rolle zu spielen, schließlich sind Nagel wie Lindner in der gleichen, die Teuerung verteufelnden Mission unterwegs. Der Liberale sagt wie ein Sozialdemokrat, stabile Preise seien gerade für Menschen mit geringeren Einkommen wichtig: „Sie machen den Unterschied zwischen einem vollen oder leeren Kühlschrank zum Monatsende aus.“ Das hätte auch Bundeskanzler und Sozialdemokrat Olaf Scholz nicht schöner mit Blick auf die sogenannten kleinen Leute versichern können.
Natürlich unterlässt es auch Nagel nicht, angesichts einer gerade ausufernden Inflation auf den Zusammenhang von stabilen Preisen und dem sozialen Zusammenhang in einer Gesellschaft hinzuweisen. Der Französin Lagarde, 66, könnte bei dem Zusammenspiel der beiden Deutschen klar geworden sein, dass sie nun mit Weidmann, 53, zwar den lästigen Chef-Kritiker ihrer ultralockeren Geldpolitik losgeworden ist, dafür aber gleich zwei neue Widersacher abbekommen hat.
Dabei sah es lange so aus, als ob die EZB-Chefin zumindest, was die Bundesbank betrifft, mit weniger Gegenwehr rechnen darf. Wer sich in Bundesbank- und SPD-Kreisen umhörte, musste glauben, dass erstmals in der Geschichte der Zentralbank eine Frau an die Spitze rückt. Es standen zwei angesehene Volkswirtinnen zur Auswahl: Zunächst nannten manche den Namen von Professor Claudia Buch, der als Vize-Präsidentin der Bundesbank Chancen auf das Weidmann-Erbe zugestanden wurden. Dann hieß es aus Reihen der Ampel-Koalition, die Frau habe sich bisher zu zurückhaltend positioniert. Der wie Nagel 55 Jahre alten Buch wurde nicht ausreichend Wumms gegenüber Lagarde und ihrer die Schuldenländer Südeuropas bevorzugenden Politik zugetraut.
Warum Isabel Schnabel als Bundesbank-Favoritin galt
Damit war Buch aus dem Rennen und Isabel Schnabel, 50, galt als Favoritin. Das Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank wäre nach dem Geschmack von Kanzler Olaf Scholz gewesen. Denn mit ihrer Wahl zur Bundesbank-Präsidentin sähe seine Frauenquote für Spitzenämter besser aus.
Schließlich sind viele Top-Positionen mit Männern besetzt: Bundespräsident ist Frank-Walter Steinmeier und der Linken-Politiker Bodo Ramelow wurde zum Bundesratspräsidenten erkoren. Das Bundesverfassungsgericht wird von Stephan Harbarth geführt. Eine Bundesbank-Präsidentin täte dem Land da doch gut, meinten auch SPD-Männer. Und weil die Sozialdemokraten als größte Fraktion das Vorschlagsrecht haben, schien dem Durchmarsch von Schnabel nichts im Weg zu stehen, bis Finanzminister Lindner nach einhelligen Erzählungen aus der Deckung kam, weil ihm die Ökonomin eine zu große Lagarde-Versteherin sei. Schnabel ist dem FDP-Mann, was den Einsatz gegen Inflation und für ein wirkliches Ende der lockeren Geldpolitik betrifft, nicht verlässlich genug. Deshalb brachte er mit Nagel einen „stabilitätsorientierten Sozialdemokraten“ ins Spiel und setzte sich durch.
Es wird so schnell nichts mit einer Frau an der Bundesbank-Spitze. Außer vielleicht, der umgängliche Nagel macht seinen Job derart gut, was ihm viele zutrauen, und er wird als Nachfolger Lagardes der erste Deutsche an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Das kann aber noch einige Jahre dauern.
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