Für die Kanadier sitzt der Schock, dass sich der mächtige Nachbar USA von ihnen abwendet, ja sogar Okkupationsfantasien äußert, tief. Bemerkenswert allerdings ist, wie offensiv die Regierung und auch viele Bürgerinnen und Bürger mit dieser maximal herausfordernden Situation umgehen: realistisch, selbstbewusst und stolz. Es gibt mindestens eine Sache, die Kanada noch ein bisschen besser kann als die USA: Eishockey spielen. Das politische Spiel von US-Präsident Donald Trump mitzuspielen und zu Kreuze zu kriechen, kommt für die Kanadier gar nicht erst infrage.
Dieser Tage sind von Montreal bis Quebec ähnliche Szenen zu sehen. Basecaps mit der Aufschrift „Kanada steht nicht zum Verkauf“ sind der Renner. Noch mehr Autos, Balkone und Gärten sind mit dem roten Ahornblatt auf weißem Grund geschmückt.
Kanada setzt auf Stolz und Selbstbewusstsein
Kein Zufall, dass auch die wichtigsten europäischen Player, wie Deutschland, Großbritannien und natürlich Frankreich, ganz genau schauen, wie die Kanadier mit der Situation umgehen. Tatsächlich hat sich in Berlin, London und Paris eine fast schon überschießende Hoffnung entzündet, dass Kanada den Wegfall des großen Bruders USA als Leitmacht ein Stück weit ersetzen kann. Realistisch ist das bei Lichte betrachtet natürlich nicht, aber warum sollte Kanada nicht ein großes Puzzlestück sein in einer Phalanx, die sich gegen den ökonomischen und politischen Amoklauf des Präsidenten in Washington stellt.
Donald Trump hat einen großen Teil der kanadischen Gesellschaft gegen sich aufgebracht, indem er das Nachbarland als „51. Bundesstaat“ der USA bezeichnete. Parallel dazu: die unvermeidlichen Drohungen mit Handelszöllen. Doch Kanada hat von vorneherein keinen Zweifel daran gelassen, dass es nicht klein beigeben wird, sondern im Handelsstreit umgehend mit Gegenzöllen zurückschlägt. Genau so kam es nun auch.
Sigmar Gabriel bringt Kanada ins Spiel als EU-Mitglied
Fast schon etwas übergriffig sind hingegen die Avancen des früheren deutschen Außenministers Sigmar Gabriel. Der SPD-Minister brachte Kanada sogar als potenzielles Mitglied der Europäischen Union ins Spiel: „Vielleicht nicht voll integriert wie alle anderen, aber vielleicht teilweise.“ Ohnehin sei Kanada europäischer als manches Mitglied der Europäischen Union, fügte Gabriel hinzu. Vielleicht wäre es ja ein erster Schritt, das Freihandelsabkommen Ceta zwischen der Europäischen Union und Kanada endlich voll in Kraft treten zu lassen. Die Bedenken, die diesen Schritt bis dato verhindert hatten, kommen schließlich aus einer Welt, die gerade in Scherben fällt.
Der neue Regierungschef Kanadas ist in einer komfortablen Situation. Noch vor wenigen Monaten galt es als ausgemacht, dass die Liberalen um den damaligen Regierungschef Justin Trudeau keine Chance auf den Spitzenposten haben würden. Doch der Wirtschaftsexperte Mark Carney wendete das Blatt. Der frühere Chef der Bank of England war von 2008 bis 2013 Gouverneur der Bank of Canada. Er schaffte es in dieser Position, Kanada besser als andere Industrienationen durch die weltweite Wirtschaftskrise zu navigieren. Dieses Vertrauen in schwierigen Zeiten zahlt sich nun aus. Woche für Woche werden seine Beliebtheitswerte besser.
Donald Trump hat Gegner, die einen Durchmarsch verhindern wollen
Was bedeutet dies für Europa, für Deutschland? Zumindest eine Chance, sich Bündnisgenossen im heraufziehenden Handelskrieg gegen die USA zu sichern. So ein Partner könnte Kanada sein, aber das Auswärtige Amt muss sich auch oder besser zusätzlich nach Partnern in Asien umsehen. In Kanada ist diese Option ebenfalls ein Thema. Die Gegner Trumps beginnen, aus dem Fiebertraum aufzuwachen und sich zu wehren. Dazu passt, dass die Opposition auch in den USA aufgewacht ist.
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