Warum der Kapitalismus seine Grenzen überschritten hat

17.01.2023

In der Woche des Weltwirtschaftsforums geht es in Davos um die ganz großen Fragen. Mal wieder. Die elitäre Runde steht für ein System, das nicht mehr funktioniert.

Wenn es so ist, wie es in seinen Statuten geschrieben steht, dass also das Weltwirtschaftsforum „den Zustand der Welt“ verbessern möchte, dann ist in den Graubündener Bergen spektakulär viel zu erledigen. Man könnte auch sagen, dass es in den vergangenen Jahren eher nicht gelungen ist, das selbstgesetzte Ziel auch nur annähernd umzusetzen. Oder, dass die Welt im Begriff zu sein scheint, spektakulär an sich selbst zu scheitern. 

Spitzenpolitikerinnen und Unternehmer, Tycoone und Ökonominnen wollen die „Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt“ diskutieren. Zersplittert trifft es ziemlich gut. Und zwar in einem Maße, dass sich zwingend die Frage stellt, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem global in der Lage ist, zumindest manche dieser Splitter wieder zu etwas Stabilerem zusammenzusetzen. 

Oxfam: Die Reichen werden immer reicher

Mal ein paar Fakten, die ganz gut zeigen, was im Argen liegt: Wie immer vor Davos hat die Entwicklungsorganisation Oxfam den Bericht zur sozialen Ungleichheit veröffentlicht. Unter dem provokanten wie treffenden Titel „survival of the richest“ ist die wesentliche Erkenntnis: Die Reichen werden immer reicher. Seit Beginn der Corona-Pandemie, so Oxfam, habe das reichste Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses kassiert. Gleichzeitig leben 1,7 Milliarden Beschäftigte in Ländern, in denen Lebenshaltungskosten schneller steigen als Löhne. Erstmals seit 25 Jahren, betont Oxfam, haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen. Weiter schreiben die Kapitalismuskritiker, dass 95 Lebensmittel- und Energiekonzerne weltweit ihre Gewinne im Jahr 2022 mehr als verdoppelt haben. Sie erzielten demnach 306 Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen und schütteten 257 Milliarden US-Dollar (84 Prozent) davon an Aktionärinnen und Aktionäre aus. Umgekehrt leiden rund 828 Millionen Menschen – also etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde – an Hunger. Fast 60 Prozent davon: Frauen und Mädchen. 

Damit ist nur eine der Unwuchten beschrieben, die das Weltwirtschaftssystem offensichtlich hervorgebracht hat. Und das, nachdem in den vergangenen Jahren – vor der Pandemie und bevor Russland die Ukraine überfiel – der globale Wohlstand durchaus gewachsen war. Damit hier kein Missverständnis entsteht: Die Marktwirtschaft, und vor allem die soziale Marktwirtschaft, viele mutige Unternehmerinnen und Unternehmer, haben gerade Deutschland reich gemacht und Generationen ein Leben in wachsendem Wohlstand ermöglicht. Das System hat sehr gut funktioniert. Zu gut

Die Einführung der Übergewinnsteuer kann nur der Anfang der Umverteilung sein

Dass unser vergleichsweise sehr üppiges Leben aber auf Kosten anderer geführt wurde und wird, beklagen längst nicht nur die üblichen Verdächtigen. Um nur einen besonders bekannten herauszugreifen: Ray Dalio, Gründer des weltweit größten Hedgefonds Bridgewater Associates, sagte zuletzt dem Spiegel über den Kapitalismus: „Werden gute Dinge übertrieben, drohen sie sich selbst zu zerstören. Sie müssen sich weiterentwickeln oder sterben.“ Seine Plädoyer: Wenn Wohlstand und Reichtum nur noch einseitig verteilt würden, wenn Arme keine Chance mehr hätten, dann gehöre der Kapitalismus grundlegend reformiert. Der Mann ist kein verträumter Utopist, sondern ein nüchtern kalkulierender Zahlenmensch. Nachzulesen ist das in seinem jüngsten Buch „Weltordnung im Wandel – Vom Aufstieg und Fall von Nationen“. Zugleich kommt es immer wieder vor, dass Millionäre dazu aufrufen, sie mögen höher besteuert werden. Zuletzt zum Beispiel Marlene Engelhorn, Enkelin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. 

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Es fehlt nicht an Einsichten. Es fehlt aber an Umsetzung. Die Einführung einer Übergewinnsteuer ist sicher ein guter wie schwierig zu gestaltender Ansatz. Sie kann aber auch nur der Anfang einer Umverteilung sein. 

Ökonomin Mariana Mazzucato: "Es braucht den Neuentwurf des gesamten Potenzials"

Wohin ökonomische Perspektivlosigkeit der Massen führt, daran kann man sich 100 Jahre nach 1923 durchaus erinnern. Krieg herrscht schon wieder in Europa und er fördert nicht, dass sich die Weltgemeinschaft der gemeinsamen Aufgaben besinnt: Zur Polykrise gehören ja nicht nur die wachsende Ungleichheit, die sozialer und politischer Sprengstoff ist, die Kriege (Ukraine) und drohenden Konflikte (Taiwan), dazu gehört vor allem der drohende Klimakollaps – mit ausgelöst von einem Jahrzehnte gültigen Wachstumsimperativ

Zentral, meint etwa die Innovationsökonomin Mariana Mazzucato, ist – dass sich die Staaten quasi wieder selbst ermächtigen. Sie schreibt in „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“: „Um den Kapitalismus anders anzugehen, braucht es einen Neuentwurf des gesamten Potenzials". Der Markt alleine, werde es eben nicht richten. Es brauche den Staat, der sehr klar sage, wo es lang geht. „Es braucht“, schreibt die Frau, die auch die Bundesregierung und Wirtschaftsminister Habeck inspiriert, „eine fundamental neue Beziehung zwischen allen Wirtschaftsakteuren...“ Beisammen wären sie alle, in Davos.

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