
Wie es Polen gelingt, Industrie anzuziehen

In Deutschland redet man über Deindustrialisierung, in Polen siedelt sich dagegen ein Produktionsbetrieb nach dem anderen an, insbesondere in der Batterietechnik.
Einst Verkörperung der sowjetischen Vorherrschaft, hat der massive Warschauer Kulturpalast in den letzten 30 Jahren viel Gesellschaft bekommen – eine Gruppe von gläsernen, amerikanisch anmutenden Wolkenkratzern ist in die Höhe gewachsen. Sie sind Symbole des freien Marktes. Die polnische Hauptstadt ist die Finanzmetropole der östlichen EU-Mitglieder und steht für den Aufschwung und die Modernität des Landes. So fahren durch die Straßen Elektrobusse des polnischen Herstellers Solaris. Ladestationen für Elektroautos sind jedoch kaum zu sehen, die Autofahrer bevorzugen traditionell weiterhin Benziner.
Dabei hat sich das Land als Hersteller von Akkus für die E-Mobilität zu einem Europa-Champion entwickelt, im vergangenen Jahr wurde im Wert von 8,5 Milliarden Euro produziert. Die Ausfuhr dieser Lithium-Ionen-Akkus macht mittlerweile 2,4 Prozent des landesweiten Exports aus. Und die Branche soll weiter wachsen.
Der Batteriehersteller Northvolt will in Polen bald 500 Leute beschäftigen
Der schwedische Hersteller Northvolt hat erst im Mai bei Danzig eine Fabrik zur Herstellung der Akkus eröffnet und wird dort bald 500 Menschen beschäftigen.
Teileigner von „Northvolt Polska“ ist der unter Insidern bekannte polnische Geschäftsmann Adam Drewiany. Dieser hatte bereits 2001 in den USA die Zusammenarbeit mit Tesla aufgenommen. Elf Jahre später half er Tesla-Chef Elon Musk bei einem Produktionsengpass für das „Model S“ und ließ in Texas – dort gibt es weniger Auflagen – schnell die benötigten Batterien in einer ehemaligen Schule mit der Hilfe von Häftlingen produzieren.
Auch das ist typisch polnisch: Die Fähigkeit zu improvisieren und bei scheinbar ausweglosen Situationen eine Lösung zu finden, ohne zu sehr nach Vorschriften zu handeln.
Durch die Mitgliedschaft in der EU werden Regeln im Bereich der Wirtschaft jedoch weit stärker eingehalten als nach der Wende. „Verlässlichkeit, vertraute und einheitliche Regeln, Sicherheit und offene Grenzen“ seien wichtige Faktoren für ausländische Investoren in Polen, sagt Lars Gutheil, Geschäftsführer der deutschen Handelskammer in Warschau.
Auch LG baut Akkus in Polen, aber auch polnische Firmen steigen in dem Bereich ein
Auch bei der Herstellung der Akkus gilt, dass vor allem ausländische Unternehmen investieren, beispielsweise der südkoreanische Konzernriese LG, der ein Werk bei Breslau (Wroclaw) betreibt. Es ist europaweit das größte. Übrigens, für den Standort Polen spricht in diesem Fall der Nachbarstandort Deutschland. Dort wurden 53 Prozent der polnischen Akku-Produktion des letzten Jahres abgenommen.

Die günstige Lage, gute Infrastruktur und ein gutes Angebot an qualifizierten Fachkräften sind nicht der alleinige Grund für den Akkumulatoren-Boom. Die polnische Regierung lockt auch mit attraktiven Steuererleichterungen für Großinvestoren.
Mittlerweile wachsen auch polnische Akku-Hersteller heran. Vor Warschau soll die Unternehmung „Impact“ in einer sogenannten „Gigafactory“ ab 2024 Akkus auf den Markt bringen, auch für Busse und andere Großfahrzeuge. „Impact“ gehört zur „Gruppe Geneveria“, die zuvor unter dem Namen Famur seit 1922 Baumaschinen für die Kohleförderung herstellte – ein traditioneller polnischer Industriezweig.
Ein taffer Mathematik-Unterricht an den Schulen kommt der Wirtschaft zugute
Auch in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück reicht die Tradition eines anspruchsvollen Mathematik-Unterrichts an den Schulen. Dies kommt viele Branchen zugute – wie auch der IT- und Start-up-Welt; Schätzungen gehen von mittlerweile um die 700.000 Fachkräften aus, die in der Informatik tätig sind.
Der Beruf ist begehrt, er sichert ein relativ hohes Einkommen, er ist nach Umfragen die Nummer eins für junge Polinnen und Polen, wobei der Frauenanteil an den Universitäten mit 16 Prozent eher als unterdurchschnittlich gilt. Jede größere Stadt verfügt über eine „Politechnika“, eine Technische Universität, über zwanzig sind es insgesamt. In verschiedenen Rankings belegt Polen Platz drei der weltweit besten Software-Entwickler.

Nicht von ungefähr will der US-Riese Intel ein Zentrum für Halbleiter in Europa nahe Breslau (Wroclaw) bauen, eine Investition von 4,6 Milliarden Dollar, die mehrere tausend neue Jobs nach sich ziehen soll. Halbleiter sind Bestandteile von Chips, der wichtigste Baustein moderner Elektronik.
Polen ist ein Paradies für Start-ups
Im Bereich Start-up, sprich kleine Unternehmen mit innovativen Ideen und einem hohen Wachstumspotenzial, holt Polen auf. Anfangs konzentrierten sich die Start-ups in Polen primär auf den Binnenmarkt des Landes mit 40 Millionen Einwohnern – ganz anders etwa als die weit kleineren baltischen Staaten, die ihre Erzeugnisse sofort global anbieten mussten.

„Polnische Start-ups sind in der Technologie oft spitze, im Vermarkten nicht so sehr”, meint Michal Chabowski, Vorstandsmitglied des Warschauer Finanzdienstleisters „Rubicon Partners“, der sich auf Risikokapital spezialisiert hat und seinen Kunden auch im Marketing unter die Arme greift.
Verwiesen sei auf den Amazon-Sprachassistenten „Alexa”, dessen Technologie von der polnischen „Ivona Software” herrührt. Oder auf „Cosmose AI“, das auf einen Wert von rund 500 Millionen Euro geschätzt wird und mittels künstlicher Intelligenz das Verhalten von Konsumenten vorhersagt.
Chancen für viele geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer
Lange war Polen ein klassisches Auswanderungsland und ist es weiterhin, was die niedrigen Arbeitslosenquoten erklärt. Doch im IT- und Start-up-Sektor kommen inzwischen die Fachkräfte aus anderen Ländern an die Weichsel – kriegs- wie krisenbedingt gibt es zahlreiche Talente aus der Ukraine und Belarus. Der polnische Staat hat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Erleichterungen im Arbeitsrecht für Ukrainer geschaffen.
Wer als Freiberufler seinen Erfolg mit einem Start-up versuchen will, muss nicht viel investieren, um Buchhaltung und Steuerabgabe auszugliedern. Unternehmen wie „twoj startup“ (Dein Start-up) verlangen dafür umgerechnet gerade mal 67 Euro im Monat.
Dabei sind 50 Prozent der 9000 Kunden mittlerweile Menschen aus den beiden östlichen Nachbarländern. Auch dafür steht der Standort Polen – er ist ein Ort der wirtschaftlichen Chancen für Ukrainer.
Sommerserie: Mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland gehe es bergab, behaupten Unionspolitiker und Wirtschaftsverbände. Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, haben wir uns gefragt: Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen? Thema in Teil 1: Griechenland, in Teil 2: Die USA und in Teil 3: Japan.
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