
Was eine "Kriegswirtschaft" für uns bedeuten würde

Immer wieder ist von der "Kriegswirtschaft" die Rede. Was aber damit genau gemeint wird, bleibt oft unklar. Was der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl sagt.

Man hört ihn immer wieder. Der Begriff wabert durch die öffentliche Debatte. Oft dann, wenn es um den Munitionsmangel geht, darum, schneller und viel mehr Nachschub für die Ukraine zu produzieren und darum, dass die Bundeswehr schneller weniger blank dasteht, als sie es nach einem Jahr Zeitenwende noch immer tut. Aber was damit gemeint ist, bleibt eher vage. Die Rede ist von der "Kriegswirtschaft".
Vorweg ein kurzer Rückblick: EU-Industrie-Kommissar Thierry Breton zum Beispiel sprach erst vergangene Woche davon, dass die Rüstungsunternehmen in der Europäischen Union schnell in den "Modus der Kriegswirtschaft" wechseln müssten. Das Hochfahren der Produktionskapazitäten sei Grundvoraussetzung für den Erfolg der Hilfe für die Ukraine. Der langjährige Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sprach unlängst ebenfalls von einer Art Kriegswirtschaft. Im einen Focus-Interview äußerte er sich vor einige Zeit so: "Unsere Regierungen müssen klare Signale an die Unternehmen senden. Diese können ihre Investitionen ja nicht aus dem Blauen heraus treffen. Sie müssen wissen, wer am Schluss bezahlt, wenn sie neue Fabriken einrichten. Es geht aber nicht nur darum, Panzer und ein paar Artilleriegeschütze in die Ukraine zu schaffen, sondern darum, sich darauf einzustellen, dass der Krieg Anstrengungen erfordert, die weit darüber hinausgehen."
Nur Kriegsrhetorik in Deutschland und der EU?
Ferner forderte Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), eine Neuaufstellung der Rüstungsproduktion in der EU. Er sagte: "Wir brauchen – auch wenn der Begriff kein einfacher ist – eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können." Die europäischen Staaten seien derzeit nicht in der Lage, die notwendigen Rüstungsgüter schnell genug bereitzustellen – weder die für die eigene Verteidigung noch die für die Ukraine. Nicht zuletzt hatte auch André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, bei Maybrit Illner für "eine Art Kriegswirtschaft" plädiert.
Das machte Schlagzeilen. Denn die Bezeichnung polarisiert. Webers Parteifreund, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, etwa warnte vor solchen Rufen. Der Begriff der Kriegswirtschaft sei "einfach zu viel Kriegsrhetorik und er klingt sehr nach wirtschaftlicher Mobilmachung". Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verwendet ihn nicht. Er sagte einmal: "Es geht nicht um Kriegswirtschaft, also nicht um eine Wirtschaft, die vom Staat auf die Führung eines Krieges vorbereitet oder ausgerichtet wird. Vielmehr geht es um Verteidigungsfähigkeit."
Was Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl zur "Kriegswirtschaft" sagt
Was also ist damit gemeint? Was ist eine Kriegswirtschaft? Der deutsche Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl lehrt an der London School of Economics. Er erklärt auf Anfrage: "Kriegswirtschaft würde bedeuten, dass private Ansprüche an das Sozialprodukt massiv zurückgedrängt würden, um Ressourcen für die Kriegsanstrengungen freizumachen." Die Mittel dazu seien scharfe Rationierungen, der Preismechanismus würde ausgeschaltet, zudem würden weite Teile der Bevölkerung zum Kriegsdienst herangezogen. Ferner bedeute Kriegswirtschaft Zwangsarbeit und – fast immer – Inflation.
Er gibt ein praktisches Beispiel: Zu Beginn werden Benzin, Gas und Heizöl rationiert, die Elektrizität wird abgeschaltet. "Da waren wir schon nah dran." Als Nächstes kämen Versorgungslücken bei Gütern des täglichen Bedarfs und bei dauerhaften Konsumgütern. Folge: Die Ladenregale leeren sich. Es gibt immer weniger zu kaufen, außer auf Bezugsschein oder zu horrenden Preisen, die sich keiner leisten kann. Ritschl sagt: "Die Versorgungsschwierigkeiten während der Corona-Krise haben uns einen kleinen Eindruck davon verschafft. So oder ähnlich ist es in allen großen Kriegen gewesen, übrigens auch in Amerika." Er schränkt zugleich ein: "Eine marktwirtschaftliche Kriegswirtschaft mit Steuerung der Knappheiten über Preise ist in der Theorie vielleicht möglich, praktisch aber fast nie anzutreffen."
Wenn nun auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron davon spricht, dass sich sein Land in einer Kriegswirtschaft befinde, dann bewertet Ritschl das so: "Von einer Kriegswirtschaft sind Frankreich und Deutschland weit entfernt, wir wären zurzeit weder mental noch von der Ausstattung her verteidigungsfähig." Wenn sich – falls überhaupt – kriegswirtschaftsähnliche Strukturen in Europa herausbilden würden, dann wäre das am ehesten in der Ukraine. Ritschl meint: "Selbst die Wirtschaft des angreifenden Russland ist überrascht worden und stellt sich erst langsam auf eine Kriegswirtschaft um." Wenn der deutsche Verteidigungsminister diesen Begriff vermeide, dann findet der Hochschullehrer das richtig, denn: "Wir haben selbst bei Gas und Benzin Rationierungen vermieden." Ritschl sieht es auch gar nicht als zwingend an, dass Europa in eine Art kriegswirtschaftlichen Modus übergeht. Er erachtet aber eine "systematische und mit unseren Partnern abgestimmte Wiederaufrüstung" für notwendig. Und dazu gehören Planspiele, wie die Versorgung und Logistik in Kriegszeiten sicherzustellen wäre. Das allerdings würde viele Ressourcen in Anspruch nehmen.
Was wären die Folgen für die freie Marktwirtschaft?
Und was wären die Folgen für die freie Marktwirtschaft? Ritschel antwortet: "Ein Nebeneinander von Marktwirtschaft und Rüstung ist möglich, allerdings mit Kompromissen. So war es bis 1989. Man hat das früher als duale Wirtschaftsordnung bezeichnet. Der geistige Vater des Deutschen Zollvereins, Friedrich List, sprach schon vor 180 Jahren von einem nationalen System der Wirtschaft. Damit meinte er den Aufbau eigener Versorgungsketten zur Sicherung im Kriegsfall, auch wenn das teurer war als auf dem Weltmarkt." Die Planungen der EU bezweckten zu Recht genau das. Es sei sinnvoller so etwas auf europäischer Ebene und "nicht im nationalen Klein-Klein" aufzuziehen. (mit dpa)
Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.
Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.
Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.
Frieden durch Abschreckung. Die beste Lösung ist die Streitkräfte der NATO Länder wieder zu ertüchtigen die gestellten Aufgaben im Ernstfall erledigen zu können. Dafür werden natürlich mehr Mittel und finanz. Opfer der Bürger notwendig sein insb auch IN DEU, das die Streitkräfte Jahrzehnte lang sträflich vernachlässigt hat. Aber dafür braucht es keine Kriegswirtschaft, sondern eine stabile Finanzierung des Verteidigungshaushalts u.U. auch der Umschichtung von Haushaltsmitteln für soziale Wohltaten und Unterstützung von Randgruppen zu Gunsten der Verteidigung. Der UA Krieg ist ein Weckruf hierfür, kann aber kein Grund für die Einführung einer Kriegswirtschaft sein.
Ich dachte immer, mit den Atomwaffen wäre endlich der Weltfrieden gesichert, weil niemand sich traut, den anderen anzugreifen. Im Umkehrschluss sind jedoch alle blockfreien Staaten ohne Atomwaffen nahezu wehrlos einem konventionellen Angriff durch eine Großmacht ausgeliefert.
Allerdings ist die Frage, ob biologische Waffen nicht viel wirksamer sind als ein Atomsprengkopf, zudem diese weitaus weniger aufwändig herzustellen sind. Und ich denke da geht das 21. Jahrhundert hin.
@Georg R.: ob biologische Waffen wirksamer wären können Sie aufgrund der jetzt zu Ende gehenden Pandemie selbt beurteilen. Exakt so, 1:1, würden biologische Kampfmittel wirken - vielleicht nur etwas intensiver und schneller. Atomwaffen sichern den Weltfrieden weil ein Einsatz Angreifer und Verteidiger ziemlich gleich schaden würde. Die kleinen taktischen Atomwaffen nehme ich davon mal aus.
Korrektur zu oben: ich meinte natürlich @Gerold R..