Es ist noch nicht lange her, als ein erbitterter Kampf um die Luftqualität in Europas Städten tobte. Der Dieselskandal löste in Deutschland Dauer-Schlagzeilen aus. Regelmäßiger Ozonalarm hielt viele Menschen noch in den Neunzigerjahren an heißen, sonnigen Tagen vom Freibadbesuch ab. Gerichte entschieden regelmäßig, dass die Behörden für eine bessere Luft sorgen müssten. Und einige Politiker hätten häufig am liebsten Messstellen verlegt, weil besonders von Schadstoffen verpestete Städte und Gebiete zu hohen Strafzahlungen verdonnert wurden.
Vor allem Feinstaub wird für Todesfälle verantwortlich gemacht
Mittlerweile wird es um das Thema ruhiger, was auch daran liegt, dass sich die Luft in Europa verbessert hat. Doch sie ist laut Fachleuten noch immer nicht sauber genug. Die EU-Umweltagentur EEA schätzt, dass 2019 mehr als 300.000 Menschen in Europa durch die Belastung ihrer Umgebungsluft mit Feinstaub früher starben. Nun will die EU mit strengeren Grenz- und Zielwerten für verschiedene Schadstoffe, vorneweg Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon, dagegen angehen.
An diesem Mittwoch stimmen die Abgeordneten des EU-Parlaments in Straßburg über ihre Position zur Überarbeitung der Richtlinie ab, die sich auf Wunsch des zuständigen Umweltausschusses sogar noch näher an den strikten, von der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgeschlagenen Leitlinien orientieren soll, als von der EU-Kommission ursprünglich vorgesehen. "Frische Luft sollte kein Luxus sein, sie sollte als grundlegendes Menschenrecht betrachtet werden", hatte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius als Ziel ausgegeben.
EU will Grenzwerte für Stickoxide halbieren
Demnach soll die Belastung durch Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometern im Jahr 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden, von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel auf zehn Mikrogramm. Besonders die Feinstaubbelastung spiele „eine entscheidende Rolle und reduziert die Lebenserwartung erheblich“, sagt der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD) – „mit drastischen Effekten vor allem für finanziell Schwächere, die sich teuren Wohnraum im Grünen nicht leisten können“. Um gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen, seien „weitere gesetzgeberische Maßnahmen nötig“.
Bei Stickstoffdioxid soll auf Wunsch der Brüsseler Kommission die Belastung ab 2030 auf nur noch 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft halbiert werden. Die WHO empfiehlt allerdings nur zehn Mikrogramm.
Neue EU-Grenzwerte: Kommt es bald zu Fahrverboten?
Kommt es bald zu Fahrverboten, einer Stilllegung von Industrieanlagen und der Schließung von Baustellen, wie Kritiker, darunter der Zentralverband des deutschen Handwerks, befürchten? Den Christdemokraten und Konservativen gehen die vom Umweltausschuss formulierten Zielwerte zu weit.
Natürlich könne man noch mehr tun, sagt der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese. „Aber wir haben viel erreicht und es gibt keinen Anlass für Panik und Aktionen, die nochmal drastische Konsequenzen nach sich ziehen.“ Sein Kollege Norbert Lins (CDU) sieht das ähnlich. „Wir sollten auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen, aber wir haben keine Lage, wo wir mit extremen oder unverhältnismäßigen Maßnahmen eingreifen müssten.“ Der EU-Parlamentarier plädiert für „realistischere Grenzwerte“, insbesondere bei Stickoxiden. Statt 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft fordern die EU-Christdemokraten einen Grenzwert von 30 Mikrogramm ab dem Jahr 2030.
Der Kommissionsvorschlag ist mit keinen bestimmten Maßnahmen versehen, sondern legt nur verpflichtende Standards fest. Das "Wie" ist Aufgabe der 27 Mitgliedstaaten, sobald eine endgültige Regelung vorliegt.
„Wir kommen zunehmend in den Bereich, dass Städte und Gemeinden immer weniger in der Lage sein werden, durch eigene Maßnahmen im lokalen Umfeld Verbesserungen zu erreichen“, sagt CDU-Mann Lins und verweist auf Einflüsse von außen, die zu einer entsprechenden Belastung beitragen. Beispielsweise seien Industrieanlagen in Polen mitverantwortlich für das Feinstaub-Aufkommen in Teilen Deutschlands. Hinter den Kulissen rechnen auch Mitglieder anderer Parteien diese Woche mit einer hitzigen Debatte zur Umsetzbarkeit der strengen Vorgaben. So verursachen auch Elektroautos durch den Abrieb von Reifen oft mehr Feinstaub als Verbrenner.