„Verantwortung für Deutschland“ steht über dem neuen Koalitionsvertrag. Packt Sie das?
JOHANNES HILLJE: Nein. Und ich vermute viele andere auch nicht. Friedrich Merz hat kürzlich bei Caren Miosga angekündigt, dass er Menschen für Politik wieder begeistern wolle und gesagt, er könne auch Emotionen. Das finde ich interessant und begrüßenswert, aber sowohl der Titel als auch die Vorstellung des Koalitionsvertrags haben diesen Anspruch nicht erfüllt
Und die kleine Entertainment-Einlage von Markus Söder fanden Sie passend oder eher unpassend?
HILLJE: Ich habe nichts gegen Unterhaltung in der Politik, Humor kann ja in den richtigen Momenten auch verbinden. Aber ich fand es an der Stelle unpassend, weil es einer der wichtigsten Momente der Regierungsbildung war. Die Koalitionspartner hatten an dem Tag die Aufgabe, den Menschen zu vermitteln, wo sie das Land in den nächsten vier Jahren hinführen wollen. Weder bei Merz noch bei Klingbeil noch bei Söder habe ich in den Ausführungen ein Zielbild, eine orientierungs- und sinnstiftende Idee erkannt. Weshalb es umso störender war, dass Söder sich in die Sparte Klamauk begeben hat. Das war dem Anlass unangemessen. So was kann er auf Social Media machen.

Das Wort „Narrativ“ kann zwar auch keiner mehr hören, aber welche Erzählung braucht diese Regierung, damit die nächsten vier Jahre erfolgreicher werden als ihre Warmlaufphase?
HILLJE: Wenn sie sich von Wahlgeschenken für die eigene Klientel verabschiedet, hat diese Regierung den großen Vorteil, im Grunde keine Geldsorgen zu haben. Nicht nur um die Bundeswehr, sondern um die Infrastruktur des Land zu modernisieren. Und das ist eine gute Voraussetzung, um eine Vision oder doch zumindest ein gemeinsames Projekt anzubieten. Es gibt in der Hoffnungsforschung lehrreiche Erkenntnisse darüber, wie man wirklich Zuversicht in der Politik herstellen kann. Dafür sind drei Elemente wichtig.
Nämlich?
HILLJE: Erstens ein Zielbild. Und das ist tatsächlich wörtlich gemeint. Denn die bildliche Vorstellung entsteht bei uns im Gehirn im limbischen System, das auch für die Emotionen zuständig ist. Bilder und Emotionen sind oft miteinander verknüpft. Und gerade beim Thema Infrastruktur ließe sich auch eine sehr lebensnahe Skizze anfertigen: Wie viele Kitas und Schulen sollen saniert werden, wie viele Kilometer Schiene verlegt, wie viele Brücken repariert, wie viele Grünflächen angelegt. Da könnte man attraktive Bilder in den Köpfen erzeugen. Dann brauchen Sie einen plausiblen Umsetzungsplan.
Und dann?
HILLJE: Drittens muss die Bundesregierung die Menschen zu Subjekten des Wandels machen. Es gibt kaum eine Emotion, die so stark in diesen Krisenzeiten von den Radikalen ausgebeutet wird wie das Gefühl des Kontrollverlustes. Und Zuversicht entsteht durch eine Teilhabe, im besten Fall eine aktive Rolle, in der Menschen das Gefühl bekommen, sie sind Gestalter, nicht Spielball von Veränderungen, sie haben ihr Schicksal in der eigenen Hand.
Was soll das konkret sein?
HILLJE: Die öffentlichen Investitionen sind ein großes Konjunkturprogramm für unterschiedliche Industrien. Da sind Handwerker, Ingenieurinnen, Projektmanager viele andere Berufsgruppen gefragt. Wenn ein Aufbruch von dieser Regierung ausgehen kann, dann doch über so ein großes Modernisierungsprojekt, das wir uns gemeinsam vornehmen.
Aber „Verantwortung für Deutschland“? Abgedroschener geht’s ja nicht.
HILLJE: Verantwortung ist der Naturzustand eines Mandats und einer Regierung, nicht das Ziel. Mir fehlt da eine politische Idee.
Zumal Merz mit dem Malus beginnt, Rekordschulden zu machen die CDU aber im Wahlkampf Austeritätspolitik angekündigt hat. Wie dreht man diesen Malus kommunikativ in einen Bonus um?
HILLJE: Indem man vermittelt, dass aus diesen Schulden etwas wirklich Gutes für das Land entsteht, was auch künftigen Generationen nutzt. Und Merz hätte mehr Einsicht zeigen müssen, Verständnis für die Kritik aufbringen und zugeben, dass er vor der Wahl zu apodiktisch war. Dann wäre der Vertrauensverlust in ihn geringer ausgefallen.
Sie schlagen vor, in der demokratischen Politik „mehr Emotionen zu wagen“, um diese nicht den Antidemokraten zu überlassen. Wie meinen Sie das?
HILLJE: Emotionen gehören zum Menschen und lassen sich aus der Politik nicht verbannen. Sie können mit rationalem Denken sehr konstruktiv zusammenwirken. Die Emotionsaversion der deutschen Politik ist zum Scheitern verurteilt. Die AfD nutzt hier eine Leerstelle, die die anderen Kräfte hinterlassen haben.
Eine ihrer Thesen lautet, dass sich mit „progressiver und konservativer Wut und Hoffnung“ Mehrheiten und sogar rechtspopulistische Wähler bei den Themen Migration und Klima überzeugen lassen. Wie das denn?
HILLJE: Wir haben eine Studie gemacht, die zum Beispiel zeigt, wie bei Konservativen Emotionen für Klimaschutz geweckt werden können. Die werden wütend, wenn ihnen klar wird, wie stark wir gerade die Lebenschancen unserer Kinder und Enkel einschränken, wie schlimm die Menschheit mit der Schöpfung umgeht, wie wenig wir die heimische Natur und Landschaft schützen. Die Studie hat auch ergeben: Wenn man nicht von erneuerbaren Energien, sondern von Heimatenergien, entsteht mehr Offenheit bei ihnen für ein grünes Thema. Kommt eben auch auf das Wording an.
Gibt es Politiker, die in ihrem Sinn gut sprachlich emotionalisieren?
HILLJE: Da gibt es wenig gute Beispiele, sondern leider viele Populismusplagiate. Ein Lichtblick ist Hendrik Wüst, der NRW-Ministerpräsident. Er hat mit seinem Zielbild vom „klimaneutralen Industrieland“ eine Erzählung geschaffen, die nicht zuletzt die Kernidentität des Ruhrgebietes aufgreift und ihr eine moderne Perspektive für die Zukunft gibt. Damit können sich viele Leute identifizieren. Wüst Beliebtheitswerte geben ihm recht.
Macht man Wählerinnen und Wähler nicht am einfachsten zufrieden, in dem man Probleme – Wohnungsmangel, fehlende Kitas, marode Brücken, blanke Bundeswehr – wirklich löst? Ganz im Sinne von Theodor Heuss „Pathos der Nüchternheit“.
HILLJE: Heuss Ansatz - so plausibel er wegen der Nazi-Gräueltaten war – ist heute meiner Meinung nach überholt. Übrigens: Auch in der Weimarer Republik wurde die mangelnde demokratische Emotionalisierung zum Problem. Das sollte den Demokraten heute eine Lehre sein. Vertrauen ist die wichtigste Emotion der Demokratie. Und das entsteht auch, indem man ein realistisches Bild davon zeichnet, wie groß die Probleme und welche Handlungsmöglichkeiten man selbst hat.
Etwa bei der Migrationskrise.
HILLJE: Zum Beispiel. Die lässt sich nicht allein auf nationaler Ebene lösen, man muss mit anderen Ländern kooperieren. Wird das verschwiegen, wird schnell zu viel versprochen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger spüren das und nehmen Versprechungen deshalb nicht ernst.
Zur Person
Johannes Hillje (39) ist Politikberater und Autor. Der promovierte Politikwissenschaftler forscht zum Rechtspopulismus. In seinem jüngsten Buch „Mehr Emotionen wagen - Wie wir Angst, Hoffnung und Wut nicht dem Populismus überlassen“ (Piper Verlag) vertritt er die These, dass neue Strategien gegen Populisten bei Gefühlen ansetzen müssen.


Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden