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Foto: Fabrizio Bensch, Reuters/dpa
Foto: Fabrizio Bensch, Reuters/dpa

Ex-Wirecard-Chef Braun als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er trägt wieder einmal einen Rollkragen-Pullover.

Wirecard-Skandal
04.12.2021

Muss Markus Braun in U-Haft bleiben? Ex-Wirecard-Chef würde Fußfessel akzeptieren

Von Stefan Stahl

Plus Markus Braun sitzt seit rund 16 Monaten in Untersuchungshaft in Augsburg-Gablingen. Nun wird geprüft, ob er freikommt. Er würde hohe Auflagen akzeptieren.

Es ist ein tiefer Fall: Einst war Markus Braun Chef eines dem Deutschen Aktienindex angehörenden Unternehmens. Dann fiel der Online-Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Der heute 52-jährige Wirtschaftsinformatiker wurde nach schweren Anschuldigungen gegen das einstige Management festgenommen, wieder auf freien Fuß gesetzt, um am 22. Juli 2020 auf Grundlage eines umfangreicheren Haftbefehls endgültig in U-Haft zu wandern. So sitzt der Ex-Boss eines Konzerns, der zeitweise mehr als die Deutsche Bank wert war und die Commerzbank aus dem Dax warf, gut 16 Monate in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen in Untersuchungshaft – und damit in etwa vier Mal so lange wie der frühere Audi-Chef Rupert Stadler, 58, der im Zuge des Diesel-Skandals auch vorübergehend in Augsburg-Gablingen ausharrte.

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"Sehr, sehr bittere Zeit" für Ex-Wirecard-Chef Markus Braun

Der Auto-Manager steht seit Ende September 2020 in München vor Gericht. Braun muss noch länger auf eine weitere juristische Aufarbeitung seines Falls warten. Die Anklage gegen ihn wird für das erste Halbjahr 2022 erwartet. Die Zeit in der U-Haft sei für den ehedem erfolgsverwöhnten Mann „sehr, sehr bitter“, heißt es aus seinem Umfeld.

Mehr dringt kaum nach außen, abgesehen davon, dass er akribisch Akten lesen soll und sich mit sportlichen Übungen fit halte. Wie es in derartigen Fällen üblich ist, läuft derzeit eine weitere Haftprüfung. Es wird untersucht, ob Braun wieder auf freien Fuß kommt. Nach Informationen unserer Redaktion ist der Beschuldigte, um zu seiner Familie und der noch kleinen Tochter zurückzukehren, bereit, dafür massive Meldeauflagen zu erfüllen, ja „eine Fußfessel zu tragen“. Der Ex-Wirecard-Boss will damit deutlich machen, dass keine Fluchtgefahr wie bei seiner einstigen rechten Hand, Jan Marsalek, 41, bestehe. Letzterer ließ sich trotz intensiver weltweiter Fahndung noch nicht aufspüren. Wie es in Münchner Justizkreisen heißt, könnte noch bis Weihnachten eine Entscheidung fallen, ob Braun weiter in der JVA Augsburg-Gablingen bleiben muss oder ob der schlanke, große Mann mit der Denkerstirn wieder seine Tochter regelmäßig in die Arme schließen darf.

Welche Vorwürfe die Staatsanwaltschaft gegen Markus Braun erhebt

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat 2020 massive Vorwürfe gegen Braun aufgefahren. Sie verdächtigt den Spezialisten für alle Formen digitalen Bezahlens, mit anderen Beschuldigten die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch Vortäuschen von Einnahmen aufgebläht zu haben. So habe der Manager, einst größter Einzelaktionär des Unternehmens, Wirecard mit anderen finanzkräftiger und für Investoren attraktiver darstellen wollen. Dabei geht es um angebliche Bankguthaben auf Treuhandkonten zweier philippinischer Kreditinstitute von rund 1,9 Milliarden Euro.

Die in Bedrängnis geratene Wirecard AG hatte im Juni 2020 eingeräumt, dass die Bankguthaben „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“. War alles eine Luftnummer, ein gigantischer Schwindel? Wurde die Bilanz künstlich aufgepumpt, um dadurch den Börsenkurs auch im Sinne Brauns kräftig hochzutreiben? Hatte Marsalek hier seine Finger im dreckigen Spiel? Zuletzt hat sich eine grundsätzliche Frage in dem Fall herauskristallisiert: Ist Braun selbst ein Opfer einer „Schattenstruktur“, wurde er also getäuscht und als Aktionär erheblich geschädigt? Die Theorie wird aus seinem Umfeld gestreut. Braun hat juristisch erheblich aufgerüstet und greift auch auf die Dienste eines versierten PR-Beraters zurück. Der Mann, der sich in Glanzzeiten bei Wirecard mit Herr Dr. Braun anreden ließ und über den Dingen zu schweben schien, wirkt um seinen Ruf besorgt.

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Der frühere Wirecard-Chef inszenierte sich als ein Steve Jobs

Doch die Zeiten sind vorbei, als der detailverliebte und innig mit allen Vorgängen bei dem Online-Zahlungsspezialisten vertraute Manager als Tech-Guru galt. Auf Fachpodien versuchte sich der manchmal priesterlich wirkende Österreicher als europäischer Steve Jobs zu inszenieren. Mit dem verstorbenen Apple-Pionier hat Braun nur die Vorliebe für dunkle Rollkragen-Pullover gemeinsam. Im vergangenen Jahr weitete die Staatsanwaltschaft die Vorhaltungen gegen ihn und frühere Mitstreiter aus und beschuldigte sie des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Untreue, unrichtiger Darstellungen und Marktmanipulationen. Braun lässt all die Vorwürfe stets zurückweisen. Er sieht sich eben selbst als Geschädigter. Demnach wäre Marsalek wohl der Haupt-Verantwortliche in dem Skandal. Es wird lange dauern, bis der komplizierte Sachverhalt aufgeklärt ist.

Der hartnäckige Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé glaubt durch die Nachforschungen seines Teams in einer Sache Gewissheit erlangt zu haben. Im „zweiten Sachstandsbericht“, der unserer Redaktion vorliegt, schreibt der Jurist: „Die nunmehr ausgewerteten Kontoauszüge bestätigen, dass die vermeintlichen Milliardenbeträge auf Treuhandkonten nicht existent waren.“ Dabei sei die von Beteiligten in den Raum gestellte Legende widerlegt, dass Gelder im Jahr 2020 verloren gegangen sind.

Wurde Wirecard-Geld in Steuerparadiese geschafft?

Aus dem Braun-Lager wird weiter die Theorie genährt, die ominösen gut 1,9 Milliarden Euro könnten existiert haben, wenn auch nicht direkt bei Wirecard. Demnach hätte eine Bande, womöglich unter Regie von Marsalek, hunderte Millionen an Braun vorbei abgezweigt und in Steuerparadiese wie Antigua, die Britischen Jungferninseln oder Dubai gebunkert. Natürlich soll Braun mit der Strategie entlastet werden. Inwiefern das bei der Staatsanwaltschaft verfängt und er aus der U-Haft entlassen wird, gilt als offen.

Ob das mit der Fußfessel klappt, ist unwahrscheinlich. Allgemein zu der Thematik teilte das bayerische Justizministerium auf Anfrage mit: „Üblich sind in erster Linie Kautionen oder die Auflage, sich täglich auf einer Polizeiinspektion zu melden.“ Dagegen mache die Justiz im Freistaat von der Möglichkeit einer „Elektronischen Aufenthaltsüberwachung“ zur Vermeidung von Untersuchungshaft keinen Gebrauch.

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