Forensische Hypnose: Können Zeugen in Trance einen Täter überführen?
Zeugen hypnotisieren, damit sie sich besser an Unfälle oder Verbrechen erinnern - eine Augsburger Hypnose-Expertin erklärt, ob das wirklich funktioniert.
Dass ein 13-Jähriger bei einem Motorradunfall auf der A8 bei Zweibrücken in Rheinland-Pfalz ums Leben kam, ist inzwischen ein ganzes Jahr her. An diesem Julitag hatte ein Auto die Harley Davidson gerammt, auf der der Junge mit seinem Stiefvater unterwegs war.
Der Verursacher verschwand - wahrscheinlich in einem weißen Mercedes - beinahe spurlos von der Unfallstelle. Und die Ermittlungen liefen ins Leere. Um den Täter doch noch aufzuspüren, versuchte sich die Polizei jetzt an einer ungewöhnlichen Methode: der Hypnose.
In Trance tritt man in Kontakt mit dem Unterbewusstsein
Als Heilpraktikerin für Psychotherapie bietet Stephanie Roschanski seit einiger Zeit schon diese Methode in ihrer Augsburger Praxis an. Sie erklärt, dass Hypnose ein Verfahren sei, um in einen Zustand veränderter Aufmerksamkeit – eine sogenannte Trance – zu kommen. "Wir lassen die äußere Welt um uns herum allmählich verblassen und wenden uns unserer inneren Welt zu", erklärt sie. In diesem körperlich meist entspannten Zustand komme man in Kontakt mit dem unbewussten Denken, Wissen, Können und den eigenen Gefühlen, sagt sie weiter. Diese Fähigkeiten des Unbewussten könne man schließlich nutzen, um nachhaltige Veränderungen in sich selbst zu bewirken.
Doch anders, als viele glauben, weisen Forschung und auch Medizin gleichermaßen zurück, dass man unter Hypnose die Kontrolle über sich selbst verliert. "Leider spuken immer noch veraltete, falsche Vorstellungen von Hypnose in den Köpfen der Menschen umher", bedauert Stephanie Roschanski.
Nach heutigem Stand der Forschung gelte es aber als praktisch ausgeschlossen, dass ein Mensch in hypnotischer Trance seines freien Willens beraubt werde oder ihm etwas befohlen werden könne, was gegen seine grundlegenden inneren Prinzipien steht. "In den USA kommt deshalb auch niemand mehr mit der Ausrede durch, er sei während der Tat hypnotisiert gewesen", erläutert die Heilpraktikerin. Überhaupt geht die Hypnoseforschung davon aus, dass ein kleiner Teil der Aufmerksamkeit selbst bei tiefen Trancen immer wachsam bleibt.
In der Strafverfolgung ist die Hypnose allgemein verboten
In der Strafverfolgung ist die Hypnose generell verboten, zumindest darf sie als Ermittlungsmethode nicht angewandt werden. Lassen sich Zeugen aber freiwillig und privat in den Zustand der Trance bringen, können die aus der Sitzung gewonnenen Informationen und Hinweise in die Untersuchungen einfließen.
So hatte die Hypnose auch im Fall des sogenannten Karlsruher Raserprozesses neue Ansätze für Recherchen geliefert. Damals, im Juli 2003, war es zu einem Unfall auf der A5 zwischen Karlsruhe und Bruchsal gekommen. Dabei hatte ein Auto ein anderes von der Fahrbahn gedrängt, in dem eine Mutter mit ihrem Kleinkind saß. Beide starben. Und vom Täter? Fehlte jede Spur.
Die Polizei ermittelte, verhörte und protokollierte. Sie startete Aufrufe, suchte nach neuen Hinweisen. Die Ermittlungen führten zu keinem Ergebnis - bis auch hier die Hypnose neue Indizien versprach. Und tatsächlich konnte sich ein Zeuge in Trance an Bestandteile des Nummernschilds erinnern, die den Fahrer eines Testwagens später überführen sollten.
Als Verfahren öffnet die Hypnose den Behörden Ermittlungschancen
Als ein Verfahren, das die Erinnerung bei Zeugen unterstützt, öffnet die Hypnose Ermittlungschancen. Wie oft die Trance in Kriminalfällen zum Einsatz kommt, ist allerdings unklar. Statistiken existieren nicht, weder die Justiz noch das Landeskriminalamt können Auskunft darüber geben.
Auf Anfrage bestätigt auch das Polizeipräsidium München, dass es im Großraum München bislang keine solcher Fälle gegeben hat. Zwar habe die Kriminalpolizei vor Jahren einmal geprüft, ob das Verfahren grundsätzlich möglich sei, erklärt ein Präsidiumssprecher gegenüber unserer Redaktion. Allerdings habe die Justiz die Verwendung vor Gericht ausgeschlossen, weil dem Bereich die profunde wissenschaftliche Anerkennung fehle.
Stephanie Roschanski hält die forensische Hypnose in polizeilichen Ermittlungen dennoch für sinnvoll. "Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder Klienten, die sich während einer Hypnosesitzung plötzlich an längst vergessene Erlebnisse – auch aus ihrer Kindheit oder Jugend – erinnern, manchmal sogar an bestimmte Gerüche oder Kleidung, die sie getragen haben."
Das hänge zum einen damit zusammen, dass man in einem Zustand entspannter Konzentration zu einer gesteigerten Erinnerungsfähigkeit neige. Zum anderen könnten Erinnerungsblockaden, die Menschen aus Gründen des psychischen Eigenschutzes manchmal in sich aufgebaut haben, gemeinsam mit dem Therapeuten gelöst werden, sodass vergrabene Erinnerungen in diesem geschützten Rahmen wieder zugänglich werden.
Die Hypnose birgt Chancen für Ermittlungen - aber auch Gefahren
Bei all den Vorteilen birgt die Hypnose aber auch Gefahren. Selbst die Augsburger Expertin betont, dass die Trance nicht das Wundermittel zur Wahrheitsfindung schlechthin sei. Laut Stephanie Roschanski kann sie die Arbeit von Ermittlern zwar sinnvoll unterstützen, aber nicht als alleiniges Beweismittel dienen. "Dazu spielt uns unser Gedächtnis zu oft Streiche: Manchmal werden Gedächtnisinhalte von uns unabsichtlich verändert, verfälscht oder sogar neu erfunden."
Im Extremfall könnten falsche Erinnerungen sogar regelrecht ins Gedächtnis implantiert werden, erläutert die Heilpraktikerin. So hätten Experimente gezeigt, dass Probanden durch suggestive Gesprächstechniken etwa anfingen, Pseudo-Erinnerungen zu entwickeln und sich an Straftaten erinnerten, die sie niemals begangen hatten.
Über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt hypnotischer Erinnerungen könne man letztlich erst dann Aussagen treffen, wenn andere Beweise diese Erinnerungen stützen. Generell, sagt Stephanie Roschanski, sei bei der Arbeit mit traumatisierten Opfern oder Zeugen außerdem immer Fingerspitzengefühl seitens des Hypnosetherapeuten gefragt.
Soweit es bislang zum Einsatz forensischer Hypnose gekommen ist, wurde die Spur, die sich aus der Aussage ergibt, selbstständig weiterverfolgt. Führten diese Ermittlungen zu einem verwertbaren Ergebnis, wurde dieses neue, lediglich aufgrund der Hypnose gewonnene Beweismittel in die Beweisführung eingebracht.
So suchen Polizei und Staatsanwaltschaft auch ein Jahr nach dem tödlichen Unfall eines 13-Jährigen auf der A8 bei Zweibrücken weiter nach dem Täter. Um die Verantwortlichen endlich zu fassen, wurden Augenzeugen des Vorfalls vom 1. Juli 2018 hypnotisiert. Ob und inwieweit die Hypnose dabei helfen kann, den Fall zu lösen, steht noch nicht fest. Bisher aber konnte die Trance keine weiterführenden Hinweise aufdecken.
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