Lauf-Experte zu Linzer Bambini-Lauf: "Kinder sollten nach ihrem Gusto laufen"
Weinende Kinder, schreiende Eltern und Marathon für Fünfjährige: Der Langstreckenläufer Herbert Steffny warnt vor übertriebenem Ehrgeiz der Eltern beim Sport der Sprösslinge.
Beim Sport entwickeln manche Eltern falschen Ehrgeiz für ihre Sprösslinge. Zuletzt fiel ein solches Verhalten bei einem Lauf von drei- bis vierjährigen Kindern über 40 Meter im österreichischen Linz extrem auf. Wenn sie ihre Kinder - wie dabei geschehen - zum Ziel zerrten, sorgten Eltern aber nicht für kleine Laufstars, sondern eher für eine Null-Bock-Haltung, meint Herbert Steffny, einer der erfolgreichsten deutschen Marathon-Läufer und Autor eines bekannten Laufbuchs. Erwartungsdruck ist nach Meinung des 62-Jährigen für ganz kleine Kinder dabei genauso schädlich wie das übertriebene Behüten durch Helikopter-Eltern.
Der Veranstalter in Linz hat nach der Kritik an dem Lauf und einem Foto, das unwillige Kinder und ihre an ihnen zerrenden Eltern zeigte, Konsequenzen gezogen: In der bisherigen Form soll es den Lauf nicht mehr geben. Wie ein Bambini-Lauf eigentlich ablaufen sollte, erklärt Steffny im Interview.
Manche Eltern projizieren ihre eigenen Karriere-Wünsche auf die Kinder
Sie sind Läufer und haben schon viele andere Menschen laufen sehen. Welche Erfahrungen haben Sie mit ehrgeizigen Eltern?
Herbert Steffny: Im Extremfall ging es so weit, dass Eltern schon Fünfjährige über die Marathondistanz gejagt haben. Da gibt es sogar Weltbestenlisten. Diese Kinder werden viel zu früh verheizt, und noch nie ist jemand von denen als Erwachsener an die Weltspitze gekommen. Häufiger sind es aber einfach überehrgeizige Eltern, die unter Umständen eine Karriere, die sie selber nicht machen konnten, auf ihre Kinder projizieren. Diese Eltern sind dann zerrend und schreiend bei einem Bambini-Lauf dabei und treiben ihr weinendes Kind ins Ziel.
Wie sollte denn ein Bambini-Lauf eigentlich ablaufen?
Steffny: Bei den Kleinsten ist sicher die Teilnahme an sich wichtig, ohne Zeitnahme - und vielleicht ein kleines Geschenk oder Kuscheltier im Ziel. Einfach dabei sein, Spaß haben und die Kinder nach ihrem Gusto laufen lassen. Das liegt auch in der Verantwortung der Eltern. Die Umstehenden fragen sich ja auch: "Ist das noch lustig oder werden die Kinder hier gequält?"
Leistungsdruck kann Kindern den Spaß am Laufen nehmen
Welche Auswirkungen haben denn im Gegensatz dazu die vielzitierten Helikopter-Eltern?
Antwort: Die leiten trotz ambitionierten Sportkursen oft zu Bewegungsarmut an. Durch das Mama-Taxi kommt das alltägliche Laufen viel zu kurz. Wenn man sie überbehütet, werden Kinder gar nicht mehr ans normale Laufen und an Bewegung herangeführt. Das ist vielleicht eine noch schlimmere Tat, die man Kindern antun kann. Obwohl natürlich klar ist: Wenn sie ein drei- oder vierjähriges Kind schon zu einer Kampfmaschine machen wollen, dann frage ich mich wirklich, welches Geisteszustands die Eltern sind. So ein früher Leistungsdruck kann vor allem zur Folge haben, dass die Kids keinen Bock mehr aufs Laufen haben, weil sie da sicherlich schon traumatisiert wurden.
Wie machen es denn Eltern richtig, wenn sie ihre Kinder zu Langstreckenläufern machen wollen?
Antwort: So vielseitig wie möglich in der Kindheit und frühen Jugend springen, werfen, laufen lassen. Kinder sollen Koordination und Schnelligkeit üben, zum Beispiel in einem Leichtathletik-Verein, beim Basketball oder Volleyball. Eine Spezialisierung auf Langstreckenlauf sollte aus meiner Sicht nicht vor 16 Jahren erfolgen. Gerade Ausdauer kann man noch sehr spät trainieren, während Schnelligkeit und Koordination im Alter zwischen vier und zwölf Jahren angelegt werden.
Zur Person: Herbert Steffny (62) ist Diplombiologe, 16-facher Deutscher Meister im Langstreckenlauf und dreifacher Frankfurt-Marathonsieger. Er war Olympiateilnehmer und gewann die Bronzemedaille im Marathon bei den Europameisterschaften 1986. Heute schreibt er Bücher übers Laufen (zum Beispiel "Das große Laufbuch"), ist Lauf-Trainer und lebt im Schwarzwald. Er hat eine Tochter und einen Sohn, die erwachsen sind. Als Kinder sind sie auch Bambini-Läufe mitgelaufen - aber "ohne Erwartungsdruck", wie Steffny betont.
Interview: Anja Mia Neumann, dpa
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