Mutmaßliche Vergiftung Nawalnys: Was ist Nowitschok?
Der vergiftete Kreml-Kritiker Alexej Nawalny kämpft in der Berliner Charite um sein Leben. Was genau ist eigentlich das Nervengift Nowitschok?
Die Pupillen verengen, Muskeln spannen sich zu Krämpfen, die Atmung versagt, das Herz bleibt stehen. Eine winzige Menge Nowitschok kann einen Menschen innerhalb kurzer Zeit und unter gewaltigem Leid töten. Dafür genügt schon die Menge eines Salzkorns. Nowitschok wird den Nervengiften zugerechnet. Es blockiert den Abbau von Acetylcholin. Ein Stoff, der im Körper die Muskelfunktionen steuert. Ohne Acetylcholin keine Regelung des Nervensystems, es wird überflutet von Reizen.
Eigentlich handelt es sich bei Nowitschok gar nicht nur um ein Gift, sondern um eine ganze Reihe von Nervengiften in unterschiedlicher Zusammensetzung. Eine grausame und tödliche Waffe sind sie alle. Aus diesem Grund hat sich im Jahr 1997 eine internationale Gemeinschaft auf ein Verbot verständigt. Dem "Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen" haben sich 193 Staaten verpflichtet. Nur vier Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind nicht beigetreten: Ägypten, Israel, Nordkorea und Südsudan.
Entwicklung von Nervengift als Kampfstoff beginnt in Deutschland
Nervengifte als Kampfstoffe sind eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Im ersten Weltkrieg setzten die Deutschen erstmals Chlorgas ein. Sie ließen eine Wolke des Gifts auf die gegnerischen Stellungen wehen. Tausende Soldaten erstickten daran.
In den 30er Jahren dann stieß ein deutscher Wissenschaftler auf die Formel für Sarin. Ein Nervengift, dass auch heute noch von autoritären Regimen und Terroristen eingesetzt wird. Assad ließ damit seine politischen Gegner töten, in den 90er Jahren wurde es bei U-Bahn-Anschlägen in Tokio nachgewiesen. Auf Basis der Erforschung von Sarin entwickelten die Amerikaner Anfang der 50er Jahre das Gas VX. Jenes Gift, mit dem im Februar 2017 der Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un in Malaysia umgebracht wurde.
Nowitschok ist schwerer nachzuweisen als andere Nervengifte
Anfang der 80er Jahre beginnen die Sowjets eine neue Serie von Nervengiften zu produzieren. Sie geben ihnen den Namen Nowitschok, russisch für "der Neuling". Mit dem Ziel die Techniken der Nato zu Chemiewaffenangriffen zu umgehen. Nowitschok unterscheidet sich schon damals chemisch von den bis dahin üblichen Kampfstoffen, so war es mit den damaligen Analysemethoden nicht nachweisbar.
Auch heute noch ist Nowitschok schwerer zu bestimmen als beispielsweise VX und Sarin. Im Krieg soll es nie eingesetzt worden sein, Putin-Kritiker sehen in Nowitschok aber klar die Handschrift des Kremls. "Wer Nawalny im Jahr 2020 mit Nowitschok vergiftet, kann auch gleich ein Autogramm am Tatort zurücklassen", schrieb Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow auf Twitter und veröffentlichte dabei die Unterschrift Putins.
Nawalny war vor mehr als zwei Wochen bei einem Inlandsflug in Russland unter heftigen Schmerzen ins Koma gefallen. Zunächst wurde er in einem Krankenhaus in Sibirien behandelt. Nach internationalem Druck und auf Drängen seiner Familie wurde er dann in die Berliner Universitätsklinik Charité verlegt.
Russland betont nach Anschlag auf Nawalny, auch andere Länder experimentierten mit Nowitschok
Die Bundesregierung hatte nach Untersuchungen eines Spezial-Labors der Bundeswehr mitgeteilt, dass eine Vergiftung dem militärischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe zweifelsfrei erwiesen sei. Nawalny schwebt derweil weiter in Lebensgefahr. Das bekannteste Gegenmittel für Nowitschok ist Atropin. Ein selbst giftiger Stoff, der in der Tollkirsche zu finden ist. Dieser muss so schnell wie möglich verabreicht werden. Ausrichten kann Atropin in der Regel nur wenig.
Russland weißt indes alle Verantwortung von sich. Das russische Außenministerium betonte, dass Experten vieler westlicher Länder, darunter auch Nato-Staaten, mit Chemiewaffen wie Nowitschok arbeiteten. In den USA gebe es zahlreiche Patente dafür. Im Zusammenhang mit Nawalny gebe es viele "Russland-feindliche" Äußerungen, hieß es. Konkret kritisierte Moskau eine Erklärung von Bundesaußenminister Heiko Maas und dem französischen Minister Jean-Yves Le Drian. Darin hatten Deutschland und Frankreich Russland gemeinsam zur Aufklärung des Falls aufgefordert.
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