Neurodermitis: Neue Heilmethode soll eine "Zeitenwende" bringen
Die Hautkrankheit Neurodermitis, die zu unerträglichem Juckreiz führt, wird bald viel besser behandelbar sein. Es herrscht Aufbruchstimmung. Experten tagten am Augsburger Klinikum.
Professorin Claudia Traidl-Hoffmann, Chefärztin für Umweltmedizin am Augsburger Klinikum, spricht von einer „unglaublichen Aufbruchstimmung“, Professorin Julia Welzel, Chefärztin der Klinik für Dermatologie und Allergologie, von einer „Zeitenwende“. Die beiden Dermatologinnen haben große Erwartungen an die neuen Medikamente gegen Neurodermitis, die in den nächsten Monaten oder Jahren neu auf den Markt kommen werden und die Behandlung der chronisch-entzündlichen Hautkrankheit revolutionieren sollen.
Ein Symposium mit nationalen und internationalen Experten hat sich kürzlich am Augsburger Klinikum ausschließlich mit der Neurodermitis befasst. Der Grund: Es gebe Licht am Ende des Tunnels, wie Traidl-Hoffmann sagt. Und es scheint sehr viel Licht zu sein: Die neuen Medikamente, die sich bereits in Studien bewährten und deren Zulassung in nächster Zeit zu erwarten ist, zeigten „die vielversprechendsten Daten seit Jahrzehnten“, so die Professorin. Es handele sich um sogenannte Systemtherapeutika, also Mittel, die in regelmäßigen Abständen gespritzt oder in Tablettenform eingenommen werden. Das heißt, so Welzel, sie machen das Leben der Patienten „genial einfach“.
Neurodermitis: Oft kratzen sich Betroffene blutig
Die Neurodermitis, auch „atopisches Ekzem“ genannt, ist eine Krankheit, die in Schüben auftritt. Mit ihr verbunden sind eine trockene Haut und ein fast unerträglicher Juckreiz. Es kommt zu roten, schuppenden Ekzemen auf der Haut. Nicht selten kratzen sich Betroffene blutig, wenn solch ein Ekzem auftritt. Leidet ein Kind an Neurodermitis, ist die Lebensqualität der gesamten Familie massiv beeinträchtigt, sagt Traidl-Hoffmann. Und die Zahl der Neurodermitis-Patienten ist groß: Bis zu 30 Prozent der Kinder seien betroffen, heißt es, auch wenn nur drei bis fünf Prozent an einer schweren Form der Krankheit leiden.
Und auch im Erwachsenenalter kommt die Neurodermitis noch vor, wobei den Angaben zufolge fünf bis sieben Prozent der Erwachsenen darunter leiden. Bislang sind die Behandlungsmöglichkeiten recht begrenzt. Es gibt entzündungshemmende Cortisoncremes, die auf das Ekzem aufgetragen werden können, oder Cremes mit Abkömmlingen des Cyclosporins, eines Medikamentes, das aus der Transplantationsmedizin stammt und das körpereigene Immunsystem unterdrückt. Cyclosporin kann auch eingenommen werden. Doch frei von Nebenwirkungen ist es nicht.
Die Behandlung der Neurodermitis ist das eine Problem, die Tatsache, dass die Krankheit nicht selten den Beginn einer Allergikerkarriere darstellt, ein anderes. „Die meisten Kinder verlieren die Neurodermitis irgendwann“, berichtet Traidl-Hoffmann, „sie bekommen dann aber eine Allergie oder ein Asthma.“ Das bedeute: Wenn man über Allergie-Prävention spreche, müsse man auch über die Neurodermitis reden. „Stoppt man sie, stoppt man auch den Weg des Allergikers.“ Deshalb müsse die Krankheit von Ärzten besonders beachtet werden.
Neue Behandlung für Neurodermitis in Aussicht
Wie Welzel bei der Tagung berichtete, erkennt man mit modernen bildgebenden Verfahren Entzündungsreaktionen in der neurodermitischen Haut, auch wenn von außen mit bloßem Auge nichts zu sehen ist. „Neurodermitis-Haut ist immer ein bisschen entzündet“, erklärt sie. Die Entzündung sitze unter der Haut und warte sozusagen darauf, mit dem nächsten Schub auszubrechen. Und: Die Schübe stünden in Zusammenhang mit einer Dysbalance in der bakteriellen Besiedlung der Haut.
Aus diesem Grunde solle eine Neurodermitis „proaktiv“ behandelt werden, sagt Julia Welzel – nicht „reaktiv“ wie Kopfschmerzen beispielsweise, bei denen man eine Tablette nehme, sobald der Kopf weh tut. Proaktiv, das heißt: Auch in beschwerdefreien Zeiten, also wenn kein Ekzem zu sehen ist, soll die Haut vorbeugend zweimal wöchentlich mit einem antientzündlichen Präparat eingecremt werden, so die Professorin. Das verhindere, dass es zu neuen Schüben komme.
Heilbar ist die Neurodermitis bislang nicht, und auch von den neuen Medikamenten, sogenannten Biologics, ist keine Heilung zu erwarten. Doch haben sie sich in Studien als sehr vielversprechend erwiesen. Dasjenige Medikament, das als erstes auf dem Markt erwartet wird, habe in Studien die Symptome um bis zu 60 Prozent verringert, so Traidl-Hoffmann. Und: Weil die Biologics nicht das gesamte Immunsystem herunterfahren, sondern gezielt Schlüsselmoleküle angreifen, die für den Entzündungsprozess bedeutsam sind, gebe es praktisch keine Nebenwirkungen, so die beiden Chefärztinnen.
Neurodermitis-Versuch in Augsburg mit bis zu 10.000 Patienten
Die Tagung am Augsburger Klinikum war auch die Auftaktveranstaltung für ein „Neurodermitis-Register“. Es handele sich um ein internationales Register mit Niederlassungen in Augsburg, Zürich, St. Gallen und Davos, das von der Christine-Kühne-Stiftung finanziert werde, so Traidl-Hoffmann. Es sollen insgesamt 5000 bis 10.000 Patienten in das Register aufgenommen werden. Diese Patienten werden einmal jährlich untersucht sowie Abstriche, Gewebe- und Blutproben von ihnen genommen. Die Daten werden im Register gesammelt, um zu sehen, „was passiert mit der Neurodermitis im natürlichen Verlauf“.
Neurodermitis sei nicht eine Erkrankung, sondern sehr vielfältig – je nach Alter, Auslösern und weiteren Faktoren, erklärt Welzel. Da sie viel facettenreicher sei als die Psoriasis (Schuppenflechte), sei es bei der Neurodermitis weitaus schwieriger als bei der Psoriasis gewesen, Schlüsselmoleküle als Angriffsziele für neue Medikamente zu finden. Jetzt kämen also neue Medikamente gegen verschiedene Schlüsselmoleküle, doch noch könne man nicht vorhersehen, welcher Patient auf welches Medikament ansprechen werde. Hier versuche man derzeit, sogenannte Marker in Haut oder Blut zu finden, die zeigen könnten, welcher Patient profitieren werde.
Es ist also vieles im Gange. „In den nächsten zehn Jahren wird sich bei der Neurodermitis so viel tun wie nie zuvor, und Augsburg ist mit dabei“, freut sich Traidl-Hoffmann.
Die Diskussion ist geschlossen.