Wissenschaftler warnen vor Allergie-Boom in Europa
Wissenschaftler warnen: In Zukunft wird es immer mehr Pollen geben, die Allergien auslösen. Vor allem die hochallergene Pflanze Ambrosia ist auf dem Vormarsch.
Deutschland grünt und blüht und freut sich über warme Temperaturen. Doch was bei den meisten von uns Frühlingsgefühle weckt, lässt Allergiker stöhnen. Die Pollen fliegen und machen Heuschnupfengeplagten das Leben schwer.
Wissenschaftler befürchten, dass die Zahl der Allergiker bald gewaltig steigen könnte. Sie warnen vor einem Allergie-Boom in Deutschland und Europa und fordern deshalb die Politik zum Handeln auf. In den kommenden Jahren werde die Pollenbelastung weiter steigen, mittelfristig könnte fast die Hälfte der Bevölkerung unter Allergien leiden, wie die Forscher prognostizieren. Heute gebe es bereits 20 Millionen Allergiker in Deutschland - Tendenz weiter steigend, sagte der Direktor des Zentrums für Allergie und Umwelt, Carsten Schmidt-Weber, am Freitag in München.
Das beinhaltet dem Experten zufolge auch eine steigende Zahl an Nahrungsmittel-Allergikern. Noch bis zu den 1950er Jahren seien nur etwa zwei bis fünf Prozent der deutschen Bevölkerung betroffen gewesen. In England leide schon heute jeder Zweite an einer Allergie.
Die Politik steht in der Pflicht
Problematisch seien auch Folgeerkrankungen von Allergien wie Asthma, sagte Schmidt-Weber. "Da kommt was auf uns zu", ergänzte Jeroen Buters, Professor für Molekulare Allergologie an der Technischen Universität (TU) München und forderte: "Wir brauchen ein besseres Frühwarnsystem für Pollen." Er sieht da vor allem die Politik in der Pflicht, die das Thema auf ihre Agenda heben solle - auch um hohe Folgekosten für das Gesundheitssystem zu vermeiden.
Ambrosia breitet sich über Deutschland aus
Gar nicht göttlich sondern eher lästig düfte die hochallergene Pflanze Ambrosia werden, die sich laut Wissenschaftlern immer weiter ausbreitet. "Wenn wir noch fünf bis acht Jahre warten, ist Bayern durchinfiziert", warnte Buters. Die Ausbreitung setzt sich laut Schmidt-Weber jetzt westwärts fort, vor allem entlang von Autobahnen - vermutlich weil die Samen an Autos kleben bleiben. Zahlreiche Bundesländer meldeten Ambrosia-Befall. Besonders stark betroffen sei der Raum Berlin.
Juckreiz und Hautrötung
Die Ambrosia-Pflanze (Beifußblättriges Traubenkraut, engl. Ragweed) wurde vor mehr als 150 Jahren aus Nordamerika eingeschleppt. Ihr Verbreitungsgrad in Europa ist unterschiedlich. Während Frankreich, Ungarn und die Schweiz schon länger intensiv betroffen sind, breitet sich die Pflanze nach Angaben von Wissenschaftlern auch in Deutschland immer weiter aus.
Ambrosia-Pollen sind starke Allergene und können zu Heuschnupfen und Asthma führen. Eine Berührung löst bei vielen Menschen starken Juckreiz und Hautrötung aus. Je nach Einwirkungsintensität können auch noch nicht allergische Menschen sensibilisiert werden.
Ein weiteres Problem: Ambrosia blüht erst, nachdem die meisten anderen Allergie auslösenden Pflanzen bereits verblüht sind. Dadurch verlängert sich die Beschwerdezeit der Allergiker um mehrere Wochen.
Der Blühzeitraum wird noch länger werden
Und es gibt noch mehr schlechte Nachrichten für Allergiker: Die Pollen werden nicht nur mehr, der Zeitraum, in dem sie ihr Unwesen treiben, dehnt sich wegen der globalen Erwärmung immer weiter aus, wie Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der TU, sagte. "Insgesamt verlängert sich der Blühzeitraum. Hasel blüht schon im Dezember." Und wenn die meisten anderen Allergie auslösenden Pflanzen verblüht seien, komme in zahlreichen Regionen die Ambrosia dazu.
In ganz Europa sei die Pollenmenge deutlich gestiegen und mit dem Klimawandel werde sich dieser Trend noch verstärken, sagte Menzel. Als Grund vermuten die Wissenschaftler die steigende Konzentration von Kohlendioxid (CO2): Denn Pflanzen, die in Studien einer verstärkten CO2-Menge ausgesetzt worden waren, wuchsen schneller und produzierten mehr Pollen.
Die Menge der enthaltenen Allergene ist entscheidend
Allerdings ist einer neuen, am Freitag vorgestellten Studie zufolge wahrscheinlich nicht die Menge der Pollen für die Allergiebelastung entscheidend, sondern die darin enthaltene Menge an Allergenen - Pollen ist nicht gleich Pollen.
Es komme darauf an, wie lange die Pollen reifen und "Zeit haben, sich mit Allergenen voll zu pumpen", sagte Buters. Das hätten Untersuchungen in elf europäischen Ländern ergeben. "Abhängig von Zeit und Region produzieren die Pollen verschieden große Mengen an Eiweißverbindungen, die letztlich für die allergische Immunantwort verantwortlich sind."
Um diese Annahme zu festigen, ruft Buters Betroffene auf, ein Online-Pollentagebuch zu führen und den Wissenschaftlern damit die Möglichkeit zu geben, die Krankheitserfahrungen mit ihren Erkenntnissen abzugleichen. dpa
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