Die Deutschen wünschen sich weniger Autos in den Städten
Eine neue Studie zeigt: Während früher die Angst vor der Atomkraft viele beunruhigte, wünschen sich heute die Bürger weniger Autos in den Städten.
Willy Brandt forderte einst: "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden." 1961, als der SPD-Politiker erstmals als Kanzlerkandidat antrat, wurde die Forderung noch vielfach belächelt. Umweltpolitik fristete lange ein Schattendasein. Erst mit den Wahlerfolgen der Grünen gewann sie verstärkt an Bedeutung, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde 1986 ein eigenes Umweltministerium eingerichtet. Heute gibt es im Bereich Umweltschutz für die Bürger ganz neue Herausforderungen.
Es ist ein ambivalentes Bild, das die seit 1996 alle zwei Jahre durchgeführte und am Montag in Berlin vorgestellte Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen offenbart. Nur noch knapp jeder fünfte (19 Prozent) hält den Umweltschutz für ein drängendes Problem, auch weil hier bereits viele Erfolge erzielt werden konnten. Heute treibt viele eher die Sorge um soziale Sicherheit oder internationale Konflikte um.
Noch 2012 sahen 35 Prozent der Bürger Umweltschutz im Rahmen der Erhebung für das Umweltbundesamt (UBA) als eines der zwei drängendsten Probleme - dies hatte wohl mit dem Eindruck der Atomkatastrophe in Fukushima im März 2011 zu tun. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entschloss sich damals zu einer spektakulären Kehrtwende, die gerade in Kraft getretene schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke wurde flugs kassiert, und der schrittweise Atomausstieg bis 2022 beschlossen.
Heute beschäftigt die Bürger etwas ganz anderes, sehr alltägliches: gesundheitsgefährdender Lärm und Feinstaub in den Städten. Die große Mehrheit der Befragten wünscht sich daher die Abkehr von der vorrangig auf den Autoverkehr ausgerichteten Städteplanung. 82 Prozent fordern einen stärkeren Fokus auf Fuß- und Fahrradwege sowie den öffentlichem Nahverkehr. Bei den befragten 14- bis 17-Jährigen sind sogar 92 Prozent für eine entsprechende Umgestaltung. "Die Auto-zentrierte Stadt wird von vielen offensichtlich längst mehr als Belastung denn als Erleichterung des Alltagslebens erfahren", wird betont.
"Der klare Auftrag lautet, mehr gegen den Lärm zu tun", meint UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. In den Städten müsse die Lebensqualität verbessert werden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) spricht vom Wunsch nach einer "neuen Mobilität", gerade die in die Städte ziehenden Jüngeren wollten dies. Mit einem Car-Sharing-Gesetz will die Bundesregierung bald unter anderem mehr Stellplätze für gemeinsam genutzte Autos schaffen.
21 Prozent der Befragten können sich vorstellen, auf das in deutschen Großstädten mit tausenden "Teil-Autos" beliebte Car-Sharing umzusteigen. Dabei wird beispielsweise mit einer Kundenkarte das Auto geöffnet und mit einem Code gestartet. Ein Schlüssel ist nicht notwendig. Autobauer wie Mercedes und BMW buhlen mit solchen Modellen um Kunden, die kein eigenes Auto mehr wollen. Vor allem jüngere Bürger finden das interessant. Das Auto als Statussymbol scheint hier ausgedient zu haben. Je höher Bildungsniveau und Einkommen, desto größer sei der Wunsch nach Konzepten wie dem Auto-Teilen. Die Studie bringt daher eine Ausweitung auch auf ländliche Regionen ins Spiel.
Laut Hendricks sind sozial Benachteiligte in Städten oft stärker von negativen Umweltauswirkungen betroffen, etwa durch Feinstaub und Lärmbelästigung. Eine große Baustelle für die Politik, meint die Umweltministerin.
Unterschiede gibt es auch beim Konsum: Wer es sich leisten kann, kauft in immer größerer Zahl Bio-Produkte. Krautzberger sieht aber hier noch viel Luft nach oben. "Nur zwei Prozent kaufen immer umweltschonende Kleidung. Hier stimmt einfach das Angebot nicht." So habe Biobaumwolle einen Marktanteil von unter einem Prozent.
Die Studie lässt den Schluss zu, vieles sei erfolgreich gelöst. Der Himmel über der Ruhr ist längst wieder blau, die meisten Flüsse sauber und immer mehr Müll wird recycelt. Aber gerade die Debatte um eine Klimaabgabe für alte Kohlemeiler und das drohende Verfehlen des Klimaziels (40 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990) zeigt: Es gibt weiter harte Konflikte im Spannungsfeld zwischen Industrie- und Umweltschutzinteressen.
Etwa auch im Ringen um die unkonventionelle Gasförderung mit Hilfe eines Wasser-Sand-Chemikalienmixes, bei der Schiefergestein aufgebrochen wird (Fracking). Am Mittwoch will das Kabinett nach jahrelanger Debatte eine gesetzliche Regelung hierzu auf den Weg bringen. Geplant ist vorerst ein weitgehendes Fracking-Verbot. Aber hier ist sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen. dpa
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