
Experte im Interview: Nach jeder Mahlzeit Zähne putzen? Unrealistisch!

Kann man Zahnschmelz wirklich wegschrubben? Prof. Elmar Hellwig spricht im Interview über moderne Mundpflege und Mythen, die immer noch kursieren.
Einmal kurz schrubben, ausspucken, spülen – fertig: Dass zu einer sorgfältigen Mundpflege mehr gehört als ein derart minimales Zähneputz-Programm, ist klar. Ansonsten gibt es zu dem Thema aber nur wenige allgemeingültige Aussagen. Der Prophylaxe-Experte Prof. Elmar Hellwig von der Uniklinik Freiburg erklärt, warum er Patienten ganz unterschiedliche Tipps gibt.
In aller Kürze: Was ist das Wichtigste bei der Mundpflege?
Prof. Elmar Hellwig: Man sollte zweimal täglich gründlich die Zähne putzen – und zwar mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta. Abends ist eine sorgfältige Reinigung besonders wichtig.
Früher hat man gesagt: Nach jeder Mahlzeit Zähne putzen! Warum ist man von dieser Empfehlung abgerückt?
Hellwig: Weil sie unrealistisch ist. Viele Menschen haben am Arbeitsplatz ja gar nicht die Möglichkeit, gleich die Zähne zu putzen. Und mit unrealistischen Forderungen erreicht man nur das Gegenteil von dem, was man möchte. Außerdem braucht der Biofilm auf den Zähnen, der Karies verursacht, längere Zeit, um zu reifen.
Kann übertriebene Pflege auch dazu führen, dass man den Zahnschmelz wegschrubbt?
Hellwig: Der Zahnschmelz ist die härteste Substanz des ganzen Körpers. Die schrubben Sie so schnell nicht weg, wenn Sie eine normale Zahnpasta verwenden. Allerdings muss man vorsichtig sein, wenn man sehr oft Obst und saure Getränke konsumiert. Bei ständigem Säurekontakt kann es sein, dass die Zahnoberfläche gelöst und dann weggeputzt wird. Patienten, die schon Erosionen, also Mulden, in der Zahnoberfläche haben, sollten deshalb vor dem Essen die Zähne putzen. Aber nur die.
Es gibt ein immenses Angebot an Zahnpflegeprodukten. Allein bei den Bürsten stellt sich die Frage: Elektrisch oder nicht? Weiche oder harte Borsten? Welcher Kopf? Was ist wirklich wichtig?
Hellwig: Wichtig ist, dass der Patient mit der Bürste gut zurechtkommt. Und das ist individuell sehr unterschiedlich. Deshalb ist es hilfreich, wenn er seine Bürste mit in die Praxis bringt und dort geschaut wird, wie er damit umgeht und wie viel Biofilm beseitigt wird. Grundsätzlich gilt: Elektrische Zahnbürsten entfernen etwas mehr Plaque als Handzahnbürsten. Mit Handzahnbürsten braucht man ein bisschen länger, um das gleiche Ergebnis zu erreichen. Zum Härtegrad gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Im Allgemeinen empfehle ich mittelharte Zahnbürsten. Es kommt aber immer auf den Druck an, mit dem Patienten putzen, und der ist sehr unterschiedlich.
Wie oft muss man die Bürste wechseln?
Hellwig: Man sollte sie spätestens dann austauschen, wenn sich die Borsten umbiegen. Das ist oft nach etwa acht Wochen der Fall. Es gibt aber auch Patienten, die wesentlich länger mit einer Bürste putzen können, ohne dass sie sich verändert.
Stimmt es, dass man die Bürste nach jeder Erkältung austauschen muss?
Hellwig: Ich kenne keine Untersuchung, die nachweist, dass man sich sonst wieder erkältet. Das ist wohl eher ein Mythos.
Muss man regelmäßig Zahnseide oder Zwischenraumbürstchen benutzen?
Hellwig: Ja. Zum einen dient es der Kosmetik, Speisereste aus den Zahnzwischenräumen zu entfernen. Zum anderen können Zahnfleischerkrankungen entstehen, wenn Bakterien in den Zahnzwischenräumen bleiben. Deshalb sollte man diese Bereiche auf jeden Fall pflegen.
Bei den Zahnpasten ist das Angebot ebenfalls verwirrend groß. Muss es die teure Marken-Creme sein oder tut es auch das billige No-Name-Produkt?
Hellwig: Was die Kariesprophylaxe anbetrifft, so kommt es nur darauf an, dass Fluorid in ausreichender Konzentration enthalten ist. Ansonsten sollte die Creme keine schädlichen Stoffe enthalten, aber das ist bei den gängigen Produkten ohnehin nicht der Fall. Daher kann man durchaus auch ein günstiges Produkt aus dem Discounter empfehlen. Einen direkten Vergleich der Zahnpasten hat es in den letzten zehn, fünfzehn Jahren nicht gegeben. Und das ist ein Problem. Manche Dinge werden nur aus dem Bauch heraus empfohlen.
Gehört auch die Zungenreinigung zur Standard-Mundpflege?
Hellwig: Eigentlich schon. Vor allem Patienten, die Parodontitis oder Mundgeruch haben, sollten täglich einen Zungenschaber benutzen. Bei Mundgeruch sitzen auf der Zunge nämlich vermehrt Bakterien, die übel riechende Substanzen produzieren.
Empfehlen Sie Mundwasser?
Hellwig: Es kommt darauf an, um was es sich dabei handelt. Mundspüllösungen, die Fluorid enthalten, tragen zum Schutz vor Karies bei. Sie sind etwa bei fest sitzenden Zahnspangen sinnvoll oder dann, wenn Patienten ihre Zähne, etwa wegen Behinderungen, nicht richtig putzen können. Lösungen, die Chlorhexidin enthalten, sollte man aber nur nach Rücksprache mit dem Zahnarzt nehmen. Diese Mittel sind für bestimmte Patienten gedacht, etwa solche mit Parodontitis oder Mundgeruch. Wenn man solche Produkte mehrere Wochen verwendet, kann das den Geschmackssinn beeinträchtigen und möglicherweise dann auch die Schleimhäute schädigen.
Ist eine professionelle Zahnreinigung (PZR) immer sinnvoll?
Hellwig: Das kommt drauf an. Es gibt Patienten, die sie nicht brauchen. Nämlich solche, die gesund sind, eine sehr gute Mundhygiene und keinen Zahnstein haben. Andere sind nicht in der Lage, ihre Zähne gut zu pflegen, oder sind starke Zahnsteinbildner. Bei ihnen ist die professionelle Zahnreinigung sinnvoll. Wie oft sie nötig ist, ist unterschiedlich. Ich habe Patienten, die brauchen die PZR nur alle zwei Jahre. Andere brauchen sie gar nicht und wieder andere hingegen alle drei Monate. Sie dient hauptsächlich dazu, Zahnfleischentzündungen und Zahnbetterkrankungen zu vermeiden.
Studien, die das belegen, gibt es aber offenbar nicht.
Hellwig: Das stimmt. Man neigt immer dazu, anzunehmen, dass etwas nicht funktioniert, wenn es keine Studien dazu gibt. Aber: In der Nachsorge von Parodontalerkrankungen brauchen Sie die professionelle Zahnreinigung. Sonst haben Sie irgendwann wieder die gleiche Situation wie vor der Behandlung. Und das ist erwiesen.
Zur Person Prof. Elmar Hellwig, 65, ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Uniklinikum Freiburg.
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