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Die Ukrainerin Jelena begrub ihren Sohn im eigenen Garten

Foto: Till Mayer

In Jelenas Garten schlug eine Granate ein. Zurück blieb ein Trichter, in dem die Ukrainerin ihren Sohn beerdigte. Er war von russischen Soldaten ermordet worden.

Das Kreuz ist fertig. Jelena hat es aus dünnem Holz zusammengenagelt. Mittig hat sie mit durchsichtigem Klebeband ein kleines Passfoto angebracht. Darauf ist ein junger Mann zu sehen, mit ernstem Gesicht. Anatoli, ihr Sohn. Jelena hat ihn vor dem Haus begraben. Im Garten, in dem eine Granate einen Krater ins Grün gesprengt hatte. Anatoli wurde 36 Jahre alt.

Die Druckwelle ließ die Scheiben splittern und riss Ziegel aus der Fassade. Jetzt kleben durchsichtige Plastikplanen in den leeren Fensterrahmen. Eine verblühte Rose leuchtet rot auf dem Grab.

Die 57-Jährige hat sie dort eingepflanzt. Es war das Einzige, das sie fand, um das Grab zu schmücken. Grobe Bretter einer Holzkiste rahmen das Grab ein. Jelena steht verloren davor. Ihr gelbes Shirt leuchtet vor der dunklen Erde.

Das Dorf wurde evakuiert. Doch Mutter und Sohn beschlossen zu bleiben

Sie nimmt ihre Kraft zusammen und drückt das angespitzte Kreuz in das Erdreich. Dann atmet sie tief durch. „Was kann eine Mutter über ihren toten Sohn erzählen?“, fragt sie leise. „Er war immer hilfsbereit. Zu jedem. Als mein Mann schwer an Krebs erkrankte und in die Stadt zur Behandlung musste, kam er zu mir ins Dorf zurück. Er half, unseren kleinen Hof zu bestellen, unsere Ernte zu verkaufen. Er wusste, dass ich es ohne ihn nicht geschafft hätte. Dann kam der Krieg zu uns, die Russen rückten an.“

Die meisten aus dem Dorf nahe der Kleinstadt Kupjansk im Osten der ukrainischen Oblast Charkiw flohen. Doch Mutter und Sohn beschlossen, der Evakuierungsaufforderung der ukrainischen Behörden nicht zu folgen.

Jelena am Tatort eines Kriegsverbrechens: Ihr Sohn wurde gezielt von russischen Truppen beschossen. Hinten links ist Anatolis Transporter zu sehen.
Foto: Till Mayer

„Wir dachten, wir überstehen das, wenn wir uns ruhig verhalten. Wir hatten genug Lebensmittel und wollten unser Haus nicht einfach so zurücklassen. Es war doch alles, was wir hatten“, erzählt Jelena. Also mieden sie in all den Monaten der Besatzung russische Soldaten, wann immer es ging. Unten am Fluss zum Beispiel, den eine Brücke überspannt, die sie kontrollierten. Es sind nur wenige Hundert Meter Luftlinie vom Haus Jelenas.

Jetzt ist dort nur noch ein Trümmerfeld zu finden. Eine ganze Häuserreihe abgebrannt, ausgebombt. Die Äste von Bäumen ragen nackt und schwarz zwischen zerstörtem Mauerwerk empor. Es riecht dort immer noch nach einem Brand. Im Schlamm liegt ein Streumunitionsbehälter nahe einem völlig zerstörten russischen Schützenpanzer. Vier schwarze Säcke, je zwei hinter Büschen und am Straßenrand, bergen die Körper von toten russischen Soldaten. Sie werden bald abgeholt. Fliegen haben sich auf dem Plastik niedergelassen. Trotz der Hülle stinkt es nach Tod.

Dann zeigt Jelena ihrem Gast den Ort, an dem ihr Sohn starb

Die Kämpfe im September waren heftig. Oberhalb des Dorfs rückten die Ukrainer auf einer Anhöhe vor, auf der gegenüberliegenden Flussseite schossen die russischen Soldaten aus ihrer Stellung. Mittendrin liegt das Haus von Jelena.

Als am 10. September die Granate im Garten einschlug, wussten Mutter und Sohn, dass sie fliehen müssen. „Aber mein Sohn wollte unbedingt noch anderen Dorfbewohnern bei der Evakuierung helfen“, erklärt die 57-Jährige. Dazu musste er zur Dorfstraße, um dann zur Anhöhe abzubiegen. „Die Russen haben ihn vom Fluss aus gesehen und mit einem Panzer, oder was auch immer, auf ihn geschossen“, vermutet Jelena.

„Kommen Sie, ich will Ihnen zeigen, was passierte. Davon sollen die Menschen in Deutschland erfahren“, sagt die Frau. Über den unbefestigten Weg vor ihrem Haus führt sie ihre Gäste quer über die asphaltierte Dorfstraße. Links liegt der Fluss, auf gleicher Höhe steht ein ausgebranntes gepanzertes Fahrzeug der Ukrainer. Es steht in Richtung Fluss und Brücke. Wohin man auch schaut, überall sieht man zerstörte Häuser.

Jelena nimmt einen Feldweg, der sanft nach oben führt. 300 Meter etwa. Dort steht Anatolis Transporter, besser, was von ihm übrig ist. Alles ist verbrannt, der Stahl der Fahrerkabine deformiert. Es war ein glatter Treffer aus Richtung des Flusses, der russischen Positionen. Auf dem Weg steht noch ein anderes ziviles Auto quer zur Fahrbahn. Silber-metallicfarben.

Von Anatolis Transporter sind nur noch Trümmer übrig

Durch die Fenster des betagten Nissan sieht man Decken und Kleidung. In der Windschutzscheibe ist ein Einschussloch in Kopfhöhe des Fahrers zu sehen. Der Sitz ist dunkel eingefärbt. Vermutlich getrocknetes Blut. „Das war ein russischer Sniper", glaubt Jelena. Ein Sniper ist ein Scharfschütze. „Mein Gott, am Schluss haben sie auf alles geschossen, was sich bewegt hat. Ich hatte den Fahrer gesehen, sein Gesicht war völlig entstellt. Ukrainische Behörden haben seinen Leichnam schon geborgen“, sagt sie leise. Nahe Anatolis Transporter steht auch noch ein ausgebrannter Lada.

Diese Sprengfalle war in einem Busch am Wegrand platziert.
Foto: Till Mayer

Jelena umrundet das Wrack des Transporters. „Das Auto war weiß. Es sah bestimmt nicht wie ein Militärfahrzeug aus“, sagt sie. Durch die aufgerissene Ladetür fällt der Blick ins Wageninnere. Was sich darin befand, ist zum größten Teil zu Asche verbrannt. Bis auf die Kochtöpfe, die Felge des Ersatzrads und eine Tasse, die Jelena aus den verkohlten Überresten zieht. „Als mein Sohn nicht zurückkam, bin ich geblieben. Vielleicht wartete er ja nur, bis es sicherer war. Bis weniger geschossen wird. Ich hatte den Panzer feuern hören. Aber gehofft habe ich noch die ganze Zeit auf Anatolis Rückkehr“, erzählt sie.

Anrufen konnte sie ihn nicht, Mobilfunk und Festnetz sind schon lange tot. Bis zum 18. September harrte sie im Haus aus. Die Kämpfe nahmen zu. Dann floh sie durch den Wald nach Kupjansk, das von den ukrainischen Truppen zurückerobert worden war.

Jelena nahm einen Handwagen und brachte ihren Sohn nach Hause

Eine Woche später kehrte sie zurück. Sie hatte gehört, dass das Auto ihres Sohnes getroffen worden sein sollte. Als sie am Transporter angekommen war, sah sie schon den Leichnam ihres Sohnes neben dem Wagen liegen. Jelena konnte ihn nicht bergen. Ein Sniper habe sie von russischer Seite aus unter Beschuss genommen, berichtet sie. Also wartete sie weitere fünf Tage, bis die ukrainischen Streitkräfte das Dorf und die nächste Umgebung endgültig unter Kontrolle brachten.

Sie nahm sich einen kleinen Handwagen, zerrte den toten Sohn darauf und schleppte den Leichnam bis zu ihrem Haus. Das war gerade einmal 24 Stunden vor dem Treffen hier.

Der Trichter vor ihrem Haus ist nun ein Grab. „Das also ist die Geschichte vom Ende meines Antoli. Warum haben ihn die Russen ermordet? Er hat niemandem etwas getan. Er hat sie nicht bedroht. Er war Zivilist und wollte anderen Menschen helfen.“

Ein Nachbar hat noch ein Foto von Anatoli gemacht – zur Beweissicherung

Dann bittet sie ihren Gast, noch kurz zu warten. Ein Mann aus der Nachbarschaft hatte ihren toten Sohn mit dem Handy fotografiert, um die Spuren des Verbrechens zu sichern. Er kommt gerade am Haus vorbei. Weil sie keinen Strom mehr im Dorf haben, fragen sie einen Soldaten, ob er eine Powerbank hat, einen mobilen Zusatzakku für Mobilfunkgeräte . „Nur damit wir das Bild zeigen können“, sagen sie.

Volodymyrs Haus ist eine Ruine. Der Mann konnte nur seine Ziegen retten.
Foto: Till Mayer

Tatsächlich besorgt der Soldat die Powerbank eines Kameraden. Kurz darauf leuchtet der Bildschirm des Smartphones auf. Das Foto ist grausam. Jelena gibt dem Nachbarn das Smartphone zurück, ihr Gesicht ist versteinert.

Zurück auf der Dorfstraße treibt gerade ein anderer Dorfbewohner seine Ziegen vorbei. Jelena hat ihren Sohn verloren, Volodymyr sein gesamtes Hab und Gut. Hinter ihm steht, was von seinem zweistöckigen Haus übrig ist, von seinem Auto und den Gerätschaften. Von dem kleinen Wohlstand, den er sich aufgebaut hatte. An leeren Fensterhöhlen zieht sich Ruß am Mauerwerk nach oben. Vom Dach ragen nur noch verkohlte Balken in den Himmel. „Jetzt bin ich 67 Jahre alt. Alles ist verloren. Ich kann betteln gehen“, sagt er verbittert.

Nach ukrainischen Angaben starben bislang 7000 Zivilisten

Dann treibt er seine Ziegen in Richtung einer Wiese. Das ist gefährlich genug, auf das Dorf wurde mutmaßlich mit Streumunition geschossen. Keine Seltenheit, folgt man den Vorwürfen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Sie beschuldigt vor allem die russische Seite, die international von vielen Staaten geächtete Waffe zu verwenden. Diese hat eine hohe Blindgängerquote, die nicht detonierten Sprengsätze können überall in den Ruinen liegen.

„Sei vorsichtig!“, warnt ein ukrainischer Soldat. Er hat an diesem Tag mit Kameraden erst eine Sprengfalle entschärft. Ein dünner Draht, über den Boden gespannt, hätte eine Granate zünden sollen, die an nahen Ästen befestigt war. Ein tödlicher Gruß der fliehenden russischen Truppen. Wer weiß, wie viele solcher Fallen sie noch gelegt haben.

Das Dorf Kupjansk erscheint an diesem Tag in den ukrainischen Medien. Sie berichten, dass russische Streitkräfte eine zivile Autokolonne beschossen hätten. 24 Tote, darunter 13 Kinder, heißt es. Wie so oft übernimmt Russlands Führung dafür keine Verantwortung.

Bis Anfang September starben nach offiziellen ukrainischen Angaben 7000 Zivilistinnen und Zivilisten, 5500 wurden verwundet. Fast 400 Kinder zählen zu den Getöteten. Die Menschen kamen bei Raketenangriffen, Folterungen, Vergewaltigungen, Minen- und Sprengfallenexplosionen oder, wie Anatoli, durch gezielten Beschuss ums Leben.

Zum Jahreswechsel haben wir für Sie die besten Reportagen des Jahres zusammengestellt. Dieser Text erschien erstmals am 7. Oktober 2022.

Von  Till Mayer