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Foto: Ulrich Perrey, dpa (Symbolbild)
Foto: Ulrich Perrey, dpa (Symbolbild)

Ein zwölfjähriger Gymnasiast löst am Computer in seinem Zuhause seine Schulaufgaben, die ihm seine Lehrer für jeden Tag über den Schulserver geschickt haben.

Interview
21.01.2021

Bildungsforscher: "Wir rüsten Kinderzimmer auf - aber nicht Klassenzimmer"

Von Markus Bär

Plus Um kaum etwas wird in puncto Corona-Maßnahmen so gerungen wie um die Schulen. Doch woher kommt das? Ein Erklärungsversuch des Augsburger Bildungsforschers Klaus Zierer.

Herr Professor Zierer, Sie sind renommierter Bildungsforscher an der Uni Augsburg und Vater von drei Schulkindern. Warum wurde bei der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag einmal mehr so heftig politisch um das Thema „Schulen und Corona“ gerungen?

Klaus Zierer: Schule und Bildung sind doch nachweislich das Zukunftsthema eines Landes. Die Kinder waren schon beim ersten Lockdown die Hauptleidtragenden – und sie gehören auch jetzt wieder dazu. Während große Teile der Wirtschaft weiterhin laufen. Das Thema ist so wichtig, dass man darüber nicht nur streiten sollte, sondern muss.

Aber handelt es sich bei dem politischen Streit um eine weltanschauliche Diskussion? Etwa, dass einem das Funktionieren der Wirtschaft wichtiger ist als soziale Anstrengungen – hier im Bereich der Bildung?

Zierer: Ich würde nicht sagen, dass das eine Frage der Parteizugehörigkeit ist, sondern eine Frage der jeweiligen Person, die entscheidet. In diesem Falle also die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin. Aus dem Beschluss, Schulen weiter einfach zu schließen, kann man aber folgern: Die Schule genießt nicht die höchste Priorität, Kinder stehen in der Summe nicht vorn. Da liegt nicht der Fokus drauf.

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Foto: Klaus Zierer
Foto: Klaus Zierer

Professor Klaus Zierer ist Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.

Auch Ihre drei Kinder lernen jetzt daheim, wir erwischen Sie gerade telefonisch beim Homeschooling. Wie empfinden Sie das Thema als Vater?

Zierer: Meine Kinder gehen in die erste, vierte und sechste Klasse. Ich fühle mich als Vater maximal herausgefordert und muss ständig zwischen Homeschooling und meinem eigenen Homeoffice als Hochschultätiger hin- und herschalten. Derweil könnte meine Ausgangssituation nicht besser sein: Ich bin Homeoffice schon lange gewöhnt, überdies gelernter Grundschullehrer und Schulpädagoge. Wie zerreißend muss das erst für Menschen sein, die nicht im Homeoffice arbeiten können, die gerade Angst um den Job oder ihre Selbstständigkeit haben müssen, jemanden pflegen oder was auch immer. Dazu kommen praktische Probleme: Da soll man morgens mal eben 40 Seiten Arbeitsmaterial ausdrucken. Beim Homeschooling gibt es immer wieder technische Probleme. Wie gesagt: Es ist sehr herausfordernd.

Welche Gefahren sehen Sie derzeit wegen der Schulschließung?

Zierer: Zu nennen sind vier Punkte. Aus aktuellen Forschungen weiß man, dass es schon nach vier Wochen Lockdown zu einem deutlichen Rückgang des Leistungsniveaus kommt. Dabei haben wir jetzt schon ein Jahr „Stotterbetrieb“ in der Schule. Eine Katastrophe.

Welche Punkte sind noch wichtig?

Zierer: Zweitens fehlen die Struktur und die Autorität der Schule, sodass das Lernverhalten und die -motivation leiden. Niemand sollte denken, dass das sofort wieder besser wird, wenn der Lockdown beendet ist. Drittens wird die deutsche Bildungsungerechtigkeit noch weiter verschärft, insbesondere Kinder aus bildungsfernen Milieus erhalten zu wenig Rückendeckung, während bildungsnahe Milieus ganz gut durchkommen. Und viertens: Bildungsökonomen wissen längst, je mehr Bildung in einer Gesellschaft vorhanden ist, desto leistungsfähiger, letztlich wohlhabender ist sie. Die derzeitige Bildungsmisere wird also zweifelsfrei Auswirkungen auf unseren Wohlstand haben.

 

Welche konkreten Vorschläge können Sie der Kultuspolitik unterbreiten?

Zierer: Der Ausbau der Technik klappt zwar allmählich, aber jeder Lehrer ist im Prinzip alleingelassen und arbeitet auf eigene Faust. Das ist nicht immer gut. Da werden dann Schüler plötzlich in sechsstündigen Videokonferenzen „totgeredet“. Das kann nicht funktionieren. Darum brauchen wir einen „pädagogischen Masterplan“, der von den besten Pädagogen des Landes aufgesetzt wird – damit auch überall wieder die gleichen Standards gelten.

Wie soll das gehen?

Zierer: Ich finde, dass man hier wieder auf Schulfernsehen zurückgreifen könnte, das von den besten Lehrpersonen weiterentwickelt wird, damit eben nicht jeder Lehrer sein eigenes Süppchen kochen muss. Statt sechs Stunden Frontalunterricht würden 20 Minuten Schulfernsehen drei, vier Mal am Tag pro Klasse gesendet. Anschließend müssen die Schüler dazu Aufgaben lösen, die Lehrer Feedback geben. Einen Fernseher hat so gut wie jeder. Und das Verfahren kann auch in bildungsfernen Milieus wirken. Eine andere Idee ist die „Sommerschule“, die ebenfalls via Fernsehen in den letzten vier Wochen eines Schuljahres oder in den Sommerferien angeboten werden könnte. Viele Defizite ließen sich damit noch ausgleichen.

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Würden Sie die Schulen einfach wieder öffnen?

Zierer: Ich bin kein Virologe und kann darum nur als Pädagoge antworten. Aus dieser Sicht gibt es ein deutliches Ja. Wir sind soziale Wesen und brauchen das direkte Gegenüber. Bislang rüsten wir die Kinderzimmer mit Technik auf – aber nicht die Klassenzimmer mit Hygienestandards. Warum? Es gibt Raumentlüfter, die 95 Prozent der Viruslast beseitigen können. Warum wird das von der Politik nicht konsequenter verfolgt? Wo wir wieder am Anfang wären: Kinder stehen derzeit bei der Politik in der Summe nicht vorn.

Zur Person: Professor Klaus Zierer, 44, ist seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.

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