i
Foto: Stephan Goerlich, Imago
Foto: Stephan Goerlich, Imago

Hubert Aiwanger, 50, ist stellvertretender bayerischer Ministerpräsident sowie bayerischer Wirtschaftsminister. Der Niederbayer ist Bundes- und bayerischer Landesvorsitzender der Freien Wähler.

Interview
26.07.2021

"Sind Sie ein Populist, Herr Aiwanger?"

Von Uli Bachmeier, Margit Hufnagel, Holger Sabinsky-Wolf

Hubert Aiwanger fällt immer wieder mit unkonventionellen Äußerungen auf. Im Gespräch erklärt der der Chef der Freien Wähler, was ihn antreibt und wieso sich die CSU dem Zeitgeist unterwirft.

Herr Aiwanger, wir haben gehört, dass es Sie nach Berlin zieht. Falls ihre Freien Wähler es in den Bundestag schaffen, wollen Sie Bayern verlassen. Mal ehrlich: Das ist doch ein Wahlkampf-Manöver, oder?

Hubert Aiwanger: Natürlich gehe ich nach Berlin, wenn wir die fünf Prozent knacken. Das hat die CSU immer so gemacht: Die Spitzenkandidaten haben kandidiert, sind aber nicht nach Berlin gegangen. Das ist bei mir anders.

Was reizt Sie denn an Berlin?

Aiwanger: In Berlin hätten wir Freien Wähler schlichtweg einen längeren politischen Hebel. Vielleicht sind wir dort sogar an der nächsten Regierung beteiligt – das schließe ich jedenfalls nicht aus, weil man am Ende in der Mitte die Stimmen zusammenzählen muss. Aber auch wenn wir in der Opposition wären, hätte ich Arbeit genug. Ich schreibe ja ständig Briefe nach Berlin, rufe Peter Altmaier an. Gleich selbst in Berlin dabei zu sein, wäre auf jeden Fall besser. Und auch für die Freien Wähler wäre das der Durchbruch, auf den wir seit Jahrzehnten hinarbeiten.

Konnten die Freien Wähler in der Staatsregierung zu wenig bewirken?

Aiwanger: Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten viel erreicht im Landtag und seit 2018 in der Regierung, aber in Berlin könnte es noch mehr werden. In Bayern Unterschriften sammeln und Briefe nach Berlin schreiben ist nicht so durchschlagskräftig, wie selbst dort zu sein und mitzuentscheiden.

Würden Sie auch nach Berlin wechseln, wenn Sie dort in der Opposition wären?

Aiwanger: Ja, natürlich. Lieber wäre mir die Regierung, aber auch die Opposition ist spannend genug.

Liegt ihnen Opposition sogar mehr?

Aiwanger: Opposition gegen Unsinn schon. Fehlentwicklungen zu benennen und die Stimme des Volkes zu sein, das mache ich gerne. Das ist in der Opposition einfacher als in der Regierung. In der Regierung kann man weniger sagen, dafür mehr bewegen. In der Opposition kann man mehr sagen, Erfolge aber nur durch öffentliches Trommeln erreichen. Momentan, in der Regierung, ist es manchmal sogar besser, wenn es die Öffentlichkeit nicht erfährt, dass ein Thema von uns ist, weil es dann leichter durchsetzbar ist.

Aiwanger: "Wir stellen ein Korrektiv für die CSU dar"

Ehrlich gesagt kommt es uns hin und wieder jetzt schon vor, als ob Sie in der Opposition wären, so oft wie Sie sich mit Ministerpräsident Markus Söder streiten ...

Aiwanger: Ich halte mich doch sehr zurück. Aber die Dinge, die man sagen muss, an denen komme ich eben nicht vorbei. Das gehört zu einer funktionierenden Koalition dazu, dass sich beide Seiten zu Wort melden. Es ist doch so: Wenn ich zu sehr einer Meinung bin mit Markus Söder, dann heißt es, ich habe nichts mehr zu sagen. Und wenn ich aufbegehre, dann gelte ich als Zündler. Ich zündle aber nicht, ich sage meine Meinung, wenn es nötig ist. Meine Daseinsberechtigung ist nicht, stillschweigend für den größeren Partner die Mehrheiten zu organisieren. Wir stellen ein Korrektiv für die CSU dar.

Häufig ist es die Wortwahl, die zum Streit führt. Etwa dass Sie vor einer Apartheidsdiskussion warnen, wenn es ums Impfen geht. Oder sagen, Politiker hätten Spaß am Bevormunden. Oder behaupten, die Grünen würden Männer mobben.

i
Foto: Peter Kneffel, dpa
Foto: Peter Kneffel, dpa

Längst nicht immer einer Meinung: Markus Söder und Hubert Aiwanger. Aber der Wille zur Macht und das Wissen, dass es ohne den anderen noch viel schwieriger wäre, hält CSU und Freie Wähler in der Koalition zusammen.


Aiwanger: Wenn ich all diese Worte nicht gewählt, sondern meine Meinung in zehnminütigen Gesamtdarstellungen erklärt hätte, wäre der Sachverhalt doch nie öffentlich geworden. Ich formuliere eben sehr griffig und punktgenau. Das sind auch keine Wörter, die ich vorher plane. Und dass es in linken Kreisen Tendenzen gibt, dass Männer gemobbt werden, zeigt doch der sprichwörtliche „alte weiße Mann“. Wenn das kein Mobbing gegen Männer ist ... Eine Klimaaktivistin schrieb nach der Überschwemmung in einem Post auf Twitter vom „fossilen Patriarchat“. Es kann doch nicht sein, dass in dieser Stunde der Not die Geschlechterrolle auch noch wichtiger ist als der Sachverhalt.

Für manche ist Aiwanger nur der "polternde Landwirt"

Fühlen Sie sich auch gemobbt?

Aiwanger: Vor kurzem hat ein Journalist über mich geschrieben. Die Überschrift war „Opflsoft“. Dabei sage ich das gar nicht so. Es ging um meinen Dialekt, und ich war der „polternde Landwirt“. Es gibt eben Leute, die haben kein Problem damit, jemanden wegen des Berufs und der ländlichen Herkunft lächerlich zu machen. Wenn man das bei anderen Bevölkerungsgruppen machen würde, würde man als Rassist hingestellt.

Sie warnen vor Populisten, aber sind Sie nicht selber einer?

Aiwanger: Das kommt darauf an, wie man Populismus definiert. Wenn Populismus bedeutet, wider eigenes besseres Wissen Stimmung zu machen: Das bin ich nicht. Wenn ein Populist jemand ist, der den Bürgern auf den Mund schaut, dann sei es so. Für mich hat der Begriff aber schon den negativen Beigeschmack. Und so handle ich nicht.

Sie bemühen häufig den Begriff des „gesunden Menschenverstands“. Meistens ist es doch so, dass man den „gesunden Menschenverstand“ denen bescheinigt, die der gleichen Meinung sind wie man selbst ...

Aiwanger: Nein, nein, das heißt nicht, dass man einer Meinung sein muss. Mit „gesundem Menschenverstand“ lässt sich vernünftige, bodenständige, realistische Politik machen. Keine schrille Ideologie, die an der Wirklichkeit scheitert.

"In der Politik fehlt der gesunde Menschenverstand"

Fehlt dieser „gesunde Menschenverstand“ also zurzeit in der Politik?

Aiwanger: Ja, das ist so. Wir haben diesen gesunden Menschenverstand, weil die Freien Wähler in vielen Kommunalparlamenten vertreten sind und daher wissen, was es bedeutet, wenn beispielsweise eine „Bundesnotbremse“ verhängt wird. Deshalb haben wir auch Verfassungsklage dagegen eingereicht. Die politische Mitte muss den Menschen auf den Mund schauen, damit sie nicht zu den Parteien am Rand laufen, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen. Bei der Impfdebatte ist es genauso: Wenn die Ungeimpften sozial unter Druck gesetzt werden, treibt das diese Menschen extremen politischen Kräften in die Arme. Wir sind Ansprechpartner für die Vernünftigen, die nicht jeden schrillen Mainstream mitgehen. Ich fühle mich auch den vernünftigen gesellschaftlichen Minderheiten verpflichtet.

Sie lassen sich nicht impfen. Müssten Sie als Politiker nicht Vorbild sein?

Aiwanger: Vorbild für wen?

Für diejenigen, die zweifeln.

Aiwanger: Vielleicht zweifeln die ja im jeweiligen Einzelfall zu Recht. Wir hatten schon Impfstoffe, die für bestimmte Altersgruppen wieder zurückgezogen worden sind, nachdem sie vorher beworben wurden. Wenn wir kein Nachdenken mehr zulassen, verlieren wir Vertrauen. Bei den Senioren sind die schweren Erkrankungen nach einer Coronainfektion bei Geimpften offenbar deutlich zurückgegangen, bei Kindern und Jugendlichen ist die Wissenschaft noch uneins.

Was sagen denn die Gastwirte, für die Sie seit Monaten kämpfen, zu ihrer Haltung? Die sind doch darauf angewiesen, dass das Impfen vorangeht.

Aiwanger: Ich habe für die Gastwirte viel getan und werde das weiterhin tun. Ich muss mich aber nicht zwingend impfen lassen, um die Wirtshäuser offen zu halten. Mit einem vernünftigen Test-Konzept können wir auch öffnen. Impfen ist ein Werkzeug von mehreren – und wir wären dumm, wenn wir auf die anderen Werkzeuge verzichten würden.

Warum lässt sich Aiwanger nicht impfen?

Sie haben die Frage, warum Sie sich selbst nicht impfen lassen, nie beantwortet. Wollen Sie das jetzt nachholen?

Aiwanger: Diese Frage ist ja allenfalls drittrangig. Ich bin da einer von ungefähr 30 Prozent und es ist ja völlig egal beim Corona-Management insgesamt, ob jetzt einer mehr oder weniger geimpft ist. Wir müssen den Gesamtsinn sehen und aus ethischen und demokratischen Gründen kann die Lösung nur sein: Das letzte Wort über seinen Körper muss der einzelne Bürger haben. Wenn wir diese rote Linie bei den Impfungen überschreiten, dann fallen mir, ohne groß nachzudenken, zehn weitere Fälle ein, wo es im Gefährlichen endet, wenn der Staat das letzte Wort über den Körper des Einzelnen hat.

Daraus lässt sich unschwer erkennen, dass Sie gegen eine Impfpflicht sind?

Aiwanger: Ja. Aber es beginnt schon vorher. Ich bin auch gegen übertriebenen sozialen Druck. Man kann für Dinge werben, aber wenn der soziale Druck auf den Einzelnen zu groß wird, dann führt das zur Spaltung der Gesellschaft. Das will ich verhindern. Sozialer Druck kann grausam sein.

Wie meinen Sie das jetzt?

Aiwanger: Die Erwartungshaltung der Gesellschaft wirkt auf jeden anders. Der eine hält Druck besser aus, der andere geht heim und tut sich was an. Die Auswirkungen auf die Psyche des Einzelnen haben wir in der Corona-Debatte bisher zu wenig berücksichtigt. Kinderärzte und Elternverbände berichten mir, dass es immer mehr Kinder mit Zwangshandlungen und Angstzuständen gibt. Das hängt auch stark vom Elternhaus ab. Wenn man den Kindern ständig sagt, sie müssen desinfizieren und dürfen nicht mehr zur Oma hin, sonst wird sie krank, dann kriegen die Angst. Wir müssen schon aufpassen, dass wir Corona nicht zu einer Psycho-Nummer entwickeln.

Aiwanger hält Spahns Warnung für "Alarmismus"

Jens Spahn hat gerade vor Inzidenzen von 800 im Oktober gewarnt…

Aiwanger: Das halte ich für Alarmismus, der die Menschen abstumpfen lässt. Ich bin dafür, dass wir die Dinge nüchtern analysieren und die verschiedenen Maßnahmen vernünftig kombinieren.

Das hätten wir gerne konkreter. Haben Sie ein Gesamtkonzept für Corona?

Aiwanger: Wir werden heute nicht punktgenau den Herbst und Winter vorhersagen können. Aber wir müssen den ganzen Werkzeugkasten parat haben. Die große Überschrift muss sein: Die Überlastung der Krankenhäuser verhindern. Dazu müssen wir aber auch die Krankenhauskapazitäten aufrüsten und nicht nur sagen, der Stand, den wir heute haben, das ist halt der Maßstab. Dann ist das Ziel: möglichst wenig Lockdown. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben ihn ja in Teilen noch: größere Veranstaltungen, Discos. Wenn wir weitere Lockdowns verhängen müssen, dann bitte wissenschaftlich fundierter als zuletzt. Der Staat muss genau begründen können, warum er eine Branche dichtmacht. Die Branche muss nicht umgekehrt beweisen, dass sie „clean“ ist.

Kehren wir noch mal zum Thema Volksnähe zurück. Das war immer eine der Kernkompetenzen der CSU. Haben Sie das Gefühl, dass sich die CSU vom Volk entfernt?

Aiwanger: Die CSU hat sich aufgrund parteitaktischer Überlegungen einem Mainstream angeschlossen und einem gewissen Zeitgeist unterworfen. Ich bin nicht gegen den Zeitgeist aus Prinzip, aber für mich ist der Zeitgeist auch nicht immer die letzte Wahrheit.

Da wären wir wieder beim gesunden Menschenverstand

Aiwanger: Der gesunde Menschenverstand überlagert den Zeitgeist. Wenn der Zeitgeist und die Mode sagen, heute sind Szenedrogen oder schrille Schuhe modern, dann rennen sie alle in schrillen Schuhen herum. Und in ein paar Jahren schauen sie die Fotos an und sagen, was war denn das, war da Fasching? Nein, das war damals modern. Oder bestimmte Frisuren oder Musik oder eben politische Positionen. Und dieses politische In-Sein-Wollen, das hat die CSU schon infiziert in den letzten Jahren – auch, weil man in Berlin dabei sein wollte. Wir Freien Wähler machen die Dinge so, wie sie sich bewährt haben. Das heißt nicht, dass wir nicht dazulernen. Aber wir machen Dinge nicht gegen die eigene Überzeugung, weil wir jemandem gefallen wollen.

Sie glauben also, dass die CSU dem Zeitgeist hinterherläuft?

Aiwanger: Ja.

Ist Söder zu grün?

Aiwanger: Das liegt im Auge des Betrachters.