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Foto: Ulrich Perrey, picture alliance (Symbolbild)
Foto: Ulrich Perrey, picture alliance (Symbolbild)

Aufgaben am Laptop zu lösen, gehört für Schüler mittlerweile zum Alltag. Auch Nachhilfe-Unterricht findet größtenteils online statt.

Augsburg
21.04.2021

Wissenslücken wegen Corona: Wo Nachhilfelehrer helfen können

Von Susanne Klöpfer

Seit mehr als einem Jahr haben Schüler aufgrund der Pandemie weniger Unterricht. Das reißt Wissenslücken. Wie Nachhilfelehrer versuchen zu helfen und auf welche Probleme sie stoßen.

Im Nachhilfeunterricht wirft Johanna Bichelmaier normalerweise einen Blick über die Schulter ihrer Schüler, zeigt auf Fehler auf den Arbeitsblättern und erklärt Aufgaben erneut. Doch nun ist alles anders. Die meisten Nachhilfeschüler trifft die 21-Jährige online. Dafür sitzt die junge Frau, die im sechsten Semester Grundschullehramt an der Universität in Augsburg studiert, vor ihrem Laptop in ihrem Zimmer in ihrer Wohngemeinschaft.

Digitale Corona-Nachhilfe: Viele Schüler schalten nicht Kamera ein

In der Videokonferenz sind oft nur die Namen der Nachhilfeschüler zu lesen, weil die meisten der Jugendlichen ihre Kamera nicht einschalten möchten. Mehrere Kurse betreut Bichelmaier so jeden Dienstag und Freitag über das Nachhilfeinstitut Schülerhilfe in Augsburg-Hochfeld. In Deutsch, Englisch und Französisch hilft sie Schülern ab der 7. Klasse. Privat gibt Bichelmaier, die gebürtig aus Greifenberg am Ammersee kommt, zusätzlich einem Buben und einem Mädchen in der vierten Klasse Nachhilfe. Dafür geht sie jedoch weiterhin persönlich zu den Familien.

Wenn Bichelmaier die digitale mit der persönlichen Nachhilfe vergleicht, sagt sie: „Es ist anders. Über Zoom, eine Plattform für Videokonferenzen, ist es viel komplizierter, weil die meisten ihre Kamera nicht anschalten. Den Überblick zu haben, ob sie was machen, ist schwierig.“ Wenn die Schüler sagten, dass alles passe, wisse sie nicht, ob das den Tatsachen entspreche. Normalerweise gehe sie sonst während der Nachhilfe mal eben kurz rum und schaue, was alle machten.

Aufgaben während Online-Nachhilfe zu korrigieren ist aufwendiger

Alleine Arbeitsblätter während dem Online-Unterricht zu korrigieren, ist aufwendiger: Schüler fotografieren die bearbeiteten Aufgaben ab, schicken sie per Mail, Bichelmaier korrigiert sie digital und sendet sie zurück. Danach schaltet sie sich mit den Schülern einzeln erneut zusammen, teilt ihren Bildschirm und bespricht die Aufgaben. Dazu sagt sie: „Es ist erstens mehr Aufwand und zweitens schickt die Hälfte ihre Aufgaben mir sicher so nicht zu.“

Mittlerweile nutzt Bichelmaier für die Online-Nachhilfe sogenannte Breakout-Räume, eine separate Sitzung während eines digitalen Treffens, sodass sie mit jedem Kind alleine reden kann. „Alle schalten dann ihre Kamera an, weil wir eben nur zu zweit sind. Sie stören sich eher an den Gruppen, weil sie sich auch nicht wirklich alle kennen und sich deswegen nicht trauen“, sagt Bichelmaier.

Nachhilfelehrerin hält digitale Nachhilfe während Corona für notwendig

Zwar bereitet die digitale Nachhilfe Bichelmaier mehr Arbeit, sie hält sie dennoch für notwendig: „Ohne würden noch mehr Kinder in der Schule abgehängt werden.“ Man merke schon, wenn die Eltern nicht hinterher seien. Die Schüler schafften das nicht alleine. Wenn sie nichts machen würden, fielen sie komplett zurück und hätten keine Ahnung mehr.

Bei einem ihrer Nachhilfeschüler in der 4. Klassen sei es so, dass er einen Wochenplan von der Schule bekomme und Aufgaben abhake, obwohl er sie nicht erledigt habe. Angeblich, weil er Übungen nicht gefunden oder verstanden habe oder seine Mutter nicht fragen wollte. „Es ist einfach für Schüler in der Grundschule zu viel Eigenverantwortung, die sie tragen müssen.“ Nicht immer könnten Eltern helfen. Manche Themen hätten Schüler gar nicht mitbekommen.

Corona-Lerndefizite: 20 Prozent der Schüler haben erhöhten Förderbedarf

Bei mindestens 20 Prozent der Schüler geht der Deutsche Lehrerverband davon aus, dass wegen der Corona-Krise ein stark erhöhter Förderbedarf entstanden ist. „Viele Kinder und Jugendliche werden zukünftig begleitende Förderangebote etwa in Form zusätzlichen Nachmittagsunterrichts oder digitaler Nachhilfe brauchen“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

Beim Großteil der Schülerinnen und Schüler könnten die coronabedingten Lerndefizite in den nächsten zwei Schuljahren wieder aufgeholt werden. Zwischen 300 und 600 Präsenz-Unterrichtsstunden seien je nach Bundesland, Schulart und Infektionslage pro Schüler inzwischen weggefallen und nur teilweise durch Distanzunterricht ersetzt worden, sagt Meidinger. Er erwartet daher, dass eine Lernförderung über mehr als nur ein Schuljahr laufen müsse.

Das unterstützt auch Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Die Ungerechtigkeit der Bildung habe während der Corona-Pandemie zugenommen. „Viele sind verloren gegangen, weil sie am Anfang nicht die digitalen Endgeräte hatten, wir nicht die Kompetenzen hatten, sie zu Hause nicht richtig lernen konnten“, sagt die 50-Jährige. Nachhilfe und Förderung seien bei Wissenslücken immer das richtige Instrument.

Weniger Schule bedeutet auch weniger Nachfrage nach Nachhilfe

Bedeutet dieser erhöhte Förderbedarf eine höhere Nachfrage nach Nachhilfe? „Eben nicht. Wir hätten uns auch gedacht, dass das so ist“, sagt Claudia Sussieck, Vorsitzende des Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen. Hausaufgabenhilfe bezeichnet sie als eine Art „Spiegelbild des Schulsystems“. Nachhilfe mache nie selber etwas, sondern die Lehrer bearbeiteten mit den Schülern das, was in der Schule besprochen wurde. Wenn in der Schule wenig laufe, dann laufe auch in der Nachhilfe zwangsläufig wenig.

Als weiteren Grund sieht Sussieck: „Wenn die Schüler schon einen halben oder ganzen Vormittag wegen der Schule vor dem Bildschirm sitzen, dann womöglich wegen Nachhilfe am Nachmittag auch noch mal – da haben doch viele Eltern gestreikt. Viele finden es nicht richtig, dass ihr Kind den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt.“

Der meiste Unterricht finde aktuell digital statt. Eine persönliche Nachhilfe zu Hause sei möglich, aber teurer, weil Schüler einzeln unterrichtet werden. Sussieck fügt hinzu: „Man kann sich vorstellen, wie es ist, wenn die französische Aussprache oder das englisch ,th‘ mit Maske geübt werden sollen. Das sind ganz fürchterliche Umstände.“

Bei Schülerhilfe und Studienkreis fragen Kunden nach Unterricht vor Ort

Die zwei größten Nachhilfeinstitute in Deutschland, Schülerhilfe und Studienkreis, haben ähnliche Beobachtungen angestellt „Die Leute legen Wert auf Nachhilfe in Präsenz“, sagt Thomas Momotow von Studienkreis. Er berichtet, dass die Kunden zwar dankbar für das digitale Angebot seien, doch die Leute, die sich aktuell meldeten, oft fragten, ob die Nachhilfe in Präsenz stattfinde. Manche kämen, andere hingegen warteten dann ab. Als Gründe nennt er hierfür die Monate des digitalen Lernens und die Angst, sich anzustecken.

„Sobald die Schulen wieder öffnen und die Präsenznachhilfe vor Ort möglich ist, steigt auch die Nachfrage nach Nachhilfe erneut“, teilt Denise Kirchberger von Schülerhilfe mit. Die Zeit im Lockdown habe gezeigt, wie wichtig die individuelle und emotionale Ansprache im Präsenzunterricht sei. Zudem habe das Institut den Eindruck gewonnen, dass die Schüler vom Distanz- beziehungsweise Digitalunterricht gesättigt seien und schlechter interagierten.

Studenten helfen mit "Corona-School" benachteiligten Schülern

Im Gegensatz dazu stehen einige digitale Lern- und Nachhilfenetzwerke, die während der Corona-Pandemie entstanden sind. Eine davon ist „Corona-School“, eine Plattform für Schüler, deren Eltern es aus zeitlichen, finanziellen oder inhaltlichen Gründen aktuell nicht möglich ist, ihren Kindern unter die Arme zu greifen.

Online bieten Studierende ehrenamtlich und kostenfrei ihre Hilfe an: Ihre Lernpartner können nach Hilfe bei den Hausaufgaben fragen, sich Sachverhalte erklären lassen oder Fragen stellen. Ein Konzept, das sich Studenten überlegt haben. Über die Internetseite (corona-school.de) können sich Schüler sowie Studierende anmelden. In einem digitalen Gespräch werden fachliche und pädagogische Fähigkeiten der Studierenden geprüft, bevor ein Algorithmus passende Partner findet, die sich später zuerst online kennenlernen können. Über 10500 Lernpaare haben sich so gefunden.

Bei digitaler Nachhilfe geht persönlicher Bezug verloren

Zu einem dieser Lernteams gehört Lea Lippert, die im 6. Semester Medizin an der Technischen Universität München studiert. Bereits über ein Jahr unterstützt die 21-Jährige aus Marxheim im Landkreis Donau-Ries in Latein eine Sechstklässlerin, die in Baden-Württemberg lebt. „Wir haben jede Woche meist eine Stunde. Das ist größtenteils mittwochs, aber wenn sie früher Hilfe benötigt, dann machen wir das auch spontan früher“, sagt Lippert, die schon als Schülerin Nachhilfe gegeben hat.

Lippert sitzt dann vor ihrem Laptop, die Sechstklässlerin vor ihrem Tablet. Fragen und Aufgaben erhält Lippert zuvor per E-Mail. In einer Videokonferenz besprechen sie alles. Doch gelegentlich ist die Verbindung schlecht, der Ton bricht ab oder sie müssen die Kamera ausschalten, um technische Probleme zu überwinden. Lippert findet diese digitale Barriere irgendwie komisch. Ihr fehlt vereinzelt, dass sie auf Arbeitsblättern Sachen anstreichen und erklären kann. Online habe sie zwar die Möglichkeit, jemandem aus einem anderen Ort zu unterrichten und alles gehe spontaner, aber: „Es wäre schöner, wenn man sich doch mal persönlich sehen würde. Durch diesen Bildschirm geht schon der menschliche Bezug verloren.“

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