Mindestlohn von 12 Euro: Diese Chancen und Probleme sehen Unternehmer
Plus Beschäftigte sollen von ihrem Lohn auch leben können, daher soll der Mindestlohn steigen. Was Arbeitnehmervertreter gut finden, bereitet mancher Branche Sorgen.
Roswitha Kugelmann leitet das Sozialkaufhaus Contact in Haunstetten. Das Projekt ist für sie eine Herzensangelegenheit - und zwar nicht nur im Hinblick auf viele ihrer Kundinnen und Kunden. Von den 120 Beschäftigten des Sozialprojekts hätte der überwiegende Teil auf dem ersten Arbeitsmarkt keine oder nur sehr geringe Chancen, erzählt sie. "Manche können wegen einer Behinderung oder psychischen Erkrankung pro Tag nur wenige Stunden arbeiten, andere müssen tageweise spontan pausieren", so Kugelmann. Man besetze bei Contact nicht Stellen mit Menschen, sondern schaffe Stellen für Menschen. Die Beschäftigten erhielten auf diese Weise Anerkennung, seien in ein soziales Umfeld eingebettet und verdienten vor allem auch ihr eigenes Geld. Aber genau dieses Thema treibt Kugelmann derzeit um.
Bezahlt wird aktuell der Mindestlohn von 9,60 Euro, belastbarere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten etwas mehr. "Uns ist bewusst, dass das eigentlich zu wenig ist", sagt Roswitha Kugelmann. Gleichzeitig macht ihr die Vorstellung, der Mindestlohn steige auf 12 Euro - wie ihn die wahrscheinliche neue Bundesregierung schon 2022 einführen will - Sorgen. Setzt sich diese Forderung durch, kämen auf das Sozialkaufhaus monatliche Mehrkosten von mindestens 20.000 Euro zu. Finanziert wird Contact aber ausschließlich über Warenspenden und Verkaufserlöse. "Diese Steigerung wäre für uns nur finanzierbar, wenn wir die Preise erhöhen oder Personal entlassen", so Kugelmann. Beides sei für ein Sozialkaufhaus keine Option. Wie sie das Dilemma lösen will, weiß sie noch nicht. Noch plant sie mit der bereits von der Mindestlohnkommission festgelegten Anhebung in 2022 auf 9,82 Euro im ersten und dann auf 10,45 Euro im zweiten Halbjahr.
Mindestlohn steigert aus Sicht der Augsburger DGB-Chefin die Kaufkraft
Dass die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro unumgänglich ist, steht dagegen für Silke Klos-Pöllinger, DGB-Chefin in Augsburg, fest. "Der Mindestlohn würde es endlich ermöglichen, dass Vollzeitbeschäftigte in einem reichen Land wie Deutschland von ihrem Gehalt auch leben können", sagt sie. Um ein Rentenniveau oberhalb der Grundsicherung zu erreichen, wären sogar 12,63 Euro nötig. In einer Stadt wie Augsburg, mit bekanntlich geringer Kaufkraft, würde die Erhöhung des Mindestlohns daher einen deutlichen Gewinn bedeuten. Auch eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Thema stütze diese These. "Außerdem hat der Mindestlohn auch etwas mit Würde und Wertschätzung zu tun", so die Augsburger DGB-Chefin. Besonders profitieren würden aus ihrer Sicht Branchen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten, die Logistik, der Einzelhandel oder die Gastronomie.
Doch wie das Beispiel des Sozialkaufhauses zeigt, gibt es aufseiten der Arbeitgeber durchaus Skepsis. Jochen Deiring, Chef des Schwäbischen Hotel- und Gaststättenverbands, treibt die Vorstellung von einem Mindestlohn in dieser Höhe die Sorgenfalten auf die Stirn. Stellvertretend für die Branche sagt Deiring: "Wenn eine ungelernte Küchenhilfe 12 Euro Mindestlohn erhält, muss eine Fachkraft deutlich mehr bekommen. Das bedeutet, die Anhebung des Mindestlohns setzt sich nach oben fort und die Lohnkosten für die Gastronomen steigen deutlich an." Schon jetzt müssten die Gastronomen die Lohnkosten gut im Blick behalten. Teils machen sie 40 Prozent oder gar noch mehr des Umsatzes aus. Steigen sie, hätte dies zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Preise. "Irgendwann müsste ein Schnitzel dann beispielsweise 20 Euro kosten." Dann bestehe jedoch die Gefahr, dass - insbesondere auch auf dem Land - der Gast dies nicht mehr bezahlen kann oder will. Die mögliche Folge: Die Gäste bleiben aus und die Gaststätte muss schließen. Statt Mindestlohn gebe es dann Arbeitslosengeld.
Augsburgerin Sina Trinkwalder fordert Unternehmen zum Handeln auf
Eingeführt worden ist der Mindestlohn 2015. Damals lag er bei 8,50 Euro. Bis zum zweiten Halbjahr 2022 wird er dann um 22,9 Prozent gestiegen sein. Kommen die 12 Euro, wäre das dann sogar ein Plus von rund 41 Prozent. Für die Augsburger Unternehmerin Sina Trinkwalder eine logische Entwicklung. Auch sie beschäftigt in ihrem sozialen Textilunternehmen Manomama Menschen, die es im normalen Arbeitsmarkt schwer hätten. Schon von Beginn an erhalten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dennoch mehr als den Mindestlohn. Viele liegen schon jetzt mit einem Grundlohn plus Boni über den 12 Euro, sagt sie.
Auch Sina Trinkwalder vertritt die Meinung, dass Menschen von ihrem Lohn leben und die Zukunft sichern können müssen, "ausbeuterische Geschäftsmodelle" könne man nicht hinnehmen. Unternehmer und Unternehmerinnen müssten daher dafür sorgen, dass dies auch gelingt. "Man muss eben manchmal umdenken und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Dann kann man auch den Mindestlohn bezahlen", ist sie überzeugt.
Das "Gejammer" mancher Kolleginnen und Kollegen könne sie daher nicht nachvollziehen. Vielmehr müsste man seine Energie dafür nutzen, den Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft als Chance für Veränderungen zu verstehen und darauf mit neuen Geschäftsmodellen und Verdienstmöglichkeiten reagieren. Hier sei Kreativität und Unternehmertum gefragt. Dann sei auch in Branchen wie der Gastronomie der Mindestlohn drin.