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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

So sah der Manzùbrunnen im Jahr 2007 aus, bevor der Königsplatz umgestaltet worden ist.

Kunst im öffentlichen Raum
21.04.2021

Die Geschichte des Brunnenmädchens auf dem Königsplatz

Von Rüdiger Heinze

Plus 1985 wurde die Brunnenfigur von Giacomo Manzù am Königsplatz in Augsburg aufgestellt. Vorausgegangen war dem aber ein – süffisant kommentierter – langer Prozess.

Wieder sind die Museen geschlossen, dennoch gibt es in der Stadt Augsburg reichlich Kunstwerke zu betrachten – unter freiem Himmel. In einer Serie stellen wir Ihnen Kunstwerke im öffentlichen Raum vor, die sich auf einem Spaziergang erkunden lassen, hier das Brunnenmädchen auf dem Königsplatz, das eine durchaus bewegte Geschichte hat…

„Größer als die Kunst, einen Brunnen zu schaffen, ist in Augsburg die Kunst, einen Brunnen aufzustellen.“ So hieß es einmal in dieser Zeitung. Und weiter: „Nur noch im Handstreich lassen sich die Augsburger offenbar Veränderungen in ihrer 2000-jährigen Stadt gefallen.“

Aufregung um Brunnenfigur in Augsburg

Wer nun glaubt, diese zwei stark pointierten Sätze seien im Zusammenhang mit der Entstehung von Markus Lüpertz’ „Aphrodite“-Brunnenskulptur im Jahr 2000 gefallen, der irrt ganz gehörig.

Schon in den Jahren um 1980 hatten Augsburger ihre liebe Mühe, ein „richtiges“ Kunstwerk an den „richtigen“ Platz zu stellen. Schon um 1980 gab es Aufregung und Widerspruch, Hin und Her auf einem steinigen Weg – an dessen Ende schließlich das Brunnenmädchen von Giacomo Manzù seine Füße im flachen Becken am Königsplatz netzte. Das Mädchen tut es (mit Unterbrechung) bis heute, jedenfalls in der wärmeren Jahreszeit. Kaum je dürfte es so sehnsuchtsvoll erwartet worden sein wie 2021: Sonne, Licht, Frühling – bei allerdings steigenden Corona-Zahlen …

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Mit diesem Brunnen muss sich Augsburg nicht verstecken. Das Mädchen stammt von dem international renommierten, italienischen Künstler Giacomo Manzù.

Giacomo Manzùs Mädchen mit gebundenem Haar und seinem leicht über die Schultern geworfenen Tuch, das in Anklang an die Gotik reiche und tiefe Falten wirft, dürfte unter den Brunnenfiguren Augsburgs wohl dasjenige des bekanntesten modernen Künstlers sein – und dasjenige von höchster allgemeiner Akzeptanz. In leicht übernatürlicher Größe von 2,20 Meter stört sie keine ästhetischen Kreise, sondern tut sympathisch das, was im Sommer so mancher vorbeihetzende Passant eigentlich auch gerne tun würde: wenigstens mal mit den Zehen planschen...

Es war nämlich so, dass die Industrie- und Handelskammer 1980 mit Spenden der einheimischen Wirtschaft einen „Bürgerbrunnen, der von der Bevölkerung geliebt wird“ errichten wollte – und zwar zur damals anstehenden 2000-Jahrfeier der Stadt 1985 und zwar dort auf dem Königsplatz, wo bis 1977 der sogenannte „Pilz“ stand, ein Rondell mit weit kragendem Dach, Normalzeituhr und Kiosk.

Augsburg: Werk des Schweizers Max Bill wurde abgelehnt

Eigentlich hätte ja eine neue Art von „Pilz“ dort hinkommen sollen, aber das hatte – nach einer durch unsere Zeitung initiierten Abstimmung – die Mehrheit der Bürgerschaft abgelehnt.

Also ein Brunnen. Zu finden von einer Jury, in der nicht nur Künstler und Kunstexperten den Ton vorgeben sollten. Mit dem Vorschlag zu einem abstrakten, mehr als zehn Meter in die Höhe wachsenden Werk des Schweizers Max Bill – auch er ein renommierter Bildhauer –, mochte man sich trotz plausibler Experten-Fürsprache nicht anfreunden.

Manzús Honorar war der Industrie- und Handelskammer erst zu teuer

Stattdessen sollte es Manzù als ein figürlicher beziehungsweise gegenständlicher Vertreter der Moderne sein. Und Manzù (1908 – 1991), documenta-Teilnehmer 1959, machte sich Gedanken – die letztlich zum Entwurf einer abstrahierten Weinrebe als Plastik führten.

Nur hatte die Industrie- und Handelskammer nicht mit dem hernach von Giacomo Manzù präsentierten Honorar für die Weinrebe gerechnet: 1,6 Millionen Mark. Das war weder wenig noch herbeizuschaffen. Man trat den geordneten, gleichwohl leicht peinlichen Rückzug an – nicht ohne Alternativen zu sondieren.

Brunnenmädchen am Königsplatz ist der Jugend gewidmet

Also besuchte eine Augsburger Kommission den Künstler in seinem Heim bei Rom und schaute sich in dessen Fundus um. Zwei Stücke stachen ins Auge: ein stürmisch sich umarmendes Liebespaar, von dem man aber Abstand nahm, weil das Kleid der jungen Dame, womöglich in voller Absicht, über ihren Steiß hochgerutscht war – und das durchaus elegante Mädchen mit gebundenem Haar und seinem leicht über die Schultern geworfenen, jedenfalls bis zu den Waden reichenden Tuch.

Und es wurde auserkoren – und konnte mit 340.000 Deutsche Mark auch bezahlt werden. Wobei die seinerzeit flach-getreppte Brunnenanlage noch einmal Kosten in ähnlicher Höhe verursachen sollte. Die Industrie- und Handelskammer mit ihrem Ohr am Volk sah in dem Mädchen ein „Sinnbild der Jugend“ und ein Sinnbild des Glaubens an die Zukunft. Und so ist es, wie im Boden vor der Skulptur deutlich vermerkt, auch der Jugend gewidmet.

Giacomo Manzú arbeitete auch für den Vatikan

Wenn auch Impetus, Argumentation und Entscheidungsfindung seinerzeit apart waren und nicht wenig Süffisanz auslösten: Heute braucht sich Augsburg mit dem Brunnenmädchen, seinerzeit in dieser Zeitung „als nettes Ding“ bezeichnet, gewiss nicht verstecken. Es hat seinen Wert – und die Stadt wird sich hoffentlich nie auf dem Kunstmarkt als Mädchenhändler betätigen wollen.

Dem international anerkanntem Bildhauer Giacomo Manzù gelang in seinen Ballerinen- und Mädchenskulpturen eine moderne Anmutigkeit – und eine moderne Strenge in seinen katholisch-sakralen Arbeiten. Ja; er, der kommunistische Künstler, durfte sogar für den Vatikan arbeiten.

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