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Foto: Bernhard Weizenegger
Foto: Bernhard Weizenegger

Cornelia Wenske ist Frauenärztin in Günzburg. Sie ist eine der wenigen Ärztinnen in Bayern, die auch Abtreibungen vornimmt.

Interview
08.09.2021

Warum eine Günzburgerin Abtreibungen anbietet

Von Christina Heller-Beschnitt

Abtreibungen sind ein Tabuthema. Die Frauenärztin Cornelia Wenske aus Günzburg bietet sie an und spricht darüber. Dieser Text hat besonders viele Leser interessiert.

In einer offiziellen Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind in ganz Bayern nur elf Ärzte oder Praxen aufgezählt, die Abtreibungen anbieten. Eine davon sind Sie, Frau Wenske. Können Sie erklären, warum die Zahl so niedrig ist?

Cornelia Wenske: Mir wurde das auch erst bewusst, als ich die Liste sah. Ich denke, es hat zwei Gründe: Zum einen ist es vielleicht schwierig für manche Ärzte, Abtreibungen im Krankenhaus zu machen. Etwa 60 Prozent der Ärzte in Bayern sind Belegärzte und vielleicht wollen das manche Krankenhäuser nicht. Zum anderen denke ich, viele Kollegen bieten es für eigene Patientinnen an, wollen aber keine externen Patientinnen aufnehmen, weil sie keine Abtreibungspraxis oder -klinik sein wollen.

Kommen denn viele Frauen zu Ihnen, die nicht Ihre Patientinnen sind?

Wenske: Das hält sich in Grenzen. Ich biete Schwangerschaftsabbrüche für externe Patienten an und es kommen zwar einige Patientinnen – die meisten kommen aber aus der Region, werden von Kollegen aus der Umgebung vermittelt oder kommen aus Augsburg. Dort ist es schwierig, weil zum Beispiel das Josefinum in Augsburg keine Abtreibungen anbietet. Aber es kommt niemand aus Nürnberg oder Würzburg.

Wie lange bieten Sie selbst schon Abtreibungen an und warum?

Wenske: Ich biete das an, seit ich niedergelassene Ärztin bin. Also seit 1989. Für mich haben Schwangerschaftsabbrüche immer zum Frauenarztsein dazu gehört. Ich glaube, in meinem Beruf sollte man nicht mit Moral arbeiten. Bevor ich Frauenärztin wurde, habe ich mich lange hingesetzt und überlegt: Willst du das? Du hast mit Abtreibungen zu tun, du hast zwar auch mit Geburten zu tun, aber auch mal mit Totgeburten. Du hast Vergewaltigung, du hast Missbrauch, du hast Prostituierte, Geschlechtskrankheiten. Viele Dinge, die mir begegnen, sind gar nicht so schön. Auf der anderen Seite ist es erfüllend, wenn man Frauen in solchen Konfliktsituationen begleiten kann und sieht, es ist auch mal gut gelaufen. Es war vielleicht nicht optimal, aber aus dem, was war, hat man das Beste gemacht. Ich habe zu manchem eine eigene Meinung, aber man kann in niemanden reinsehen. Moral hilft da nicht weiter.

Hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Schwangerschaftsabbrüchen geändert in der Zeit, die Sie überblicken können?

Wenske: Als ich meine Ausbildung zur Fachärztin mache, war es selbstverständlich, dass man an Frauenkliniken lernt, wie Abtreibungen funktionieren. Die Chefs sagten: Das muss man lernen, das gehört zum Fach. Wir waren damals 17 oder 18 Assistenzärzte und nur einer machte es nicht. Der hat auch deshalb nie Ärger bekommen. Heute könnte es sein, dass es bei dem Thema Ressentiments gibt - von jüngeren Ärzten oder Kliniken. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass offensichtlich viele jüngere Kollegen keine Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Ich las neulich einen Text des Präsidenten der amerikanischen Gynäkologen. Dort ist es ja ganz, ganz schwierig, Abtreibungen sind nur in wenigen Bundesstaaten erlaubt. Er schrieb, er hätte sich nie träumen lassen, dass er sich mit knapp 70, kurz vor der Rente, noch mal äußern soll, wie wichtig legale Abtreibungen für Frauen sind. Damit ihnen nichts passiert, keine Sepsis entsteht. Das habe ich mir auch heute gedacht. Ich habe in meiner Anfangszeit an Diskussionen teilgenommen oder wurde eingeladen von Organisationen, um zu erklären, warum ich das mache, aber dass das Thema heute noch so präsent ist, hätte ich nicht erwartet.

Naja, die Gesetzeslage in Deutschland ist ja nicht gerade locker. Abtreibungen bleiben zwar straffrei, aber in den meisten Fällen verboten. Das führt immer wieder zu Diskussionen.

Wenske: Ja. Kurz vor meiner Ausbildungszeit erschien dieses berühmte Stern-Titelbild „Wir haben abgetrieben“. Anfang der 70er Jahre war das. Danach wurde ja das Gesetz verändert. Schon damals waren alle Fachleute unzufrieden mit dieser Regelung. Aber über Jahre hieß es: An dieser Regelung ändern wir nichts, weil es so schwierig ist, mit den verschiedenen Gruppen einen Konsens zu finden. Losgetreten wurde die große öffentliche Debatte jetzt erst wieder mit dem Prozess, den Kristina Hänel begonnen hat und der Debatte darüber, ob Frauenärzte auf ihrer Homepage veröffentlichen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen. Das finde ich natürlich auch blödsinnig. Wo sollen sich die Frauen denn informieren? Das ist scheinheilig.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Bis wann darf man abtreiben?

In Deutschland dürfen Frauen bis zur 14. Schwangerschaftswoche ein Kind abtreiben, ohne dafür bestraft zu werden. Es sei denn, das Leben der Mutter oder des Kindes ist bedroht oder eine Frau ist wegen einer Vergewaltigung schwanger geworden. Dann ist eine Abtreibung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Sind Abtreibungen in Deutschland legal?

Es kommt drauf an. Wenn das Leben der Mutter oder des Kindes in Gefahr ist, sind Abtreibungen erlaubt. Dann spricht man von einer medizinischen Indikation. Wurde eine Frau zum Beispiel vergewaltigt und ist deshalb schwanger, ist ein Schwangerschaftsabbruch ebenfalls erlaubt. In diesem Fall spricht man von einer kriminologischen Indikation. In allen anderen Fällen sind Abtreibungen zwar rechtswidrig, sie bleiben aber straffrei, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Stellen werdende Eltern nach einer Pränataluntersuchung fest, dass ihr Kind eine Behinderung haben wird, gilt das nicht als medizinische Indikation.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Wer übernimmt die Kosten für eine Abtreibung?

Auch hier kommt es wieder darauf an. Liegt eine medizinische oder kriminologische Indikation vor, bezahlt die Krankenkasse der Frau die Abtreibung. In allen anderen Fällen, müssen Frauen die Kosten selbst übernehmen – es sei denn, ihr monatliches Einkommen liegt unter 1258 Euro. Dann trägt das Bundesland, in dem sie leben, die Kosten. Die Kosten für die Beratung und die Nachbehandlung übernimmt die Krankenkasse.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Wie viel kostet eine Abtreibung?

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) liegen die Kosten zwischen 300 und 650 Euro. Sie hängen davon ab, welche Methode und welche Narkoseart gewählt wird.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Welche Methoden zur Abtreibung gibt es?

Grundsätzlich gibt es zwei Methoden: medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche – diese sind bis zum 63. Tag nach der Befruchtung der Eizelle machbar – und operative. Bei einer Operation wird die Gebärmutter entweder ausgeschabt – diese Methode wird heute nicht mehr empfohlen, da die Komplikationsrate höher liegt – oder eine Absaugung wird gemacht. Die Operationen finden entweder unter lokaler Betäubung oder mit Vollnarkose statt.

Wie sind Abtreibungen in Deutschland geregelt?

Muss man sich vor einer Abtreibung beraten lassen?

Ja. Damit eine Abtreibung straffrei bleibt, muss eine Frau, die gerne abtreiben möchte, sich vorher bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Ist das passiert, bekommt sie einen Beratungsschein. Zwischen der Beratung und dem Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen. (hhc)

In welchen Situationen befinden sich die Frauen, die zu Ihnen kommen und einen Schwangerschaftsabbruch machen möchten?

Wenske: Es ist fast immer eine Konfliktsituation. Ich kenne schon ein paar Fälle, in denen es überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Aber das sind Ausnahmen. Für mich gehört dazu zum Beispiel jemand, der zum dritten Mal kommt. Das mache ich nicht. Einmal kann es jedem passieren. Beim zweiten Mal sage ich: Aber noch mal möchte ich Sie deswegen nicht sehen. Aber beim dritten Mal? So viel Schicksal gibt es nicht. Das ist für mich eine Regel. Aber die meisten, die hier sitzen, sind wirklich im Konflikt, weinen, tun sich ganz, ganz schwer mit der Entscheidung. Ich sage ihnen auch immer: "Es kann sein, dass Sie es in fünf Jahren nicht noch mal so machen würden. Überlegen Sie gut, wie die Situation jetzt für sie ist." Wenn sie sich für eine Abtreibung entscheiden, dann helfe ich.

Haben Sie es schon erlebt, dass eine Frau zu Ihnen kommt und sagt, sie möchte abtreiben und sich dann umentscheidet und das Kind behält?

Wenske: Das kommt gar nicht so selten vor. Manche sagen auch am OP-Tag noch ab, oder einen Tag vorher. Das sind bestimmt zehn Prozent. Die Frauen bekommen eine Tablette, die sie am Vorabend selbst in die Scheide einführen müssen, damit sich der Gebärmutterhals etwas weitet. Ich thematisiere auch, dass das der Beginn des Abbruchs ist. Da kommt es vor, dass Frauen anrufen und sagen: Das konnte ich nicht.

Was passiert bei der Abtreibung selbst?

Wenske: Zuerst bekommen die Frauen eben eine Tablette, die sie am Abend vorher selbst zu Hause einführen müssen. Davon können sie eine Blutung bekommen, die auch schmerzhaft sein kann. Deshalb bekommen sie Schmerztabletten von mir. Am nächsten Tag müssen sie nüchtern kommen und bekommen im OP eine Spritze in den Arm und schlafen ein. Wenn sie aufwachen, ist es vorbei. Dann werden die Frauen noch zwei Stunden überwacht, ob alles in Ordnung ist und müssen dann abgeholt werden, weil sie nicht alleine nach Hause gehen können. Eine Woche danach gibt es eine Untersuchung, die üblicherweise der eigene Frauenarzt macht. In selten Fällen – etwa, wenn der es nicht wissen soll – machen wir das.

Und was passiert im Operationssaal?

Wenske: Also wir machen den Abbruch in Narkose. Da wird der Embryo oder Fötus abgesaugt. Und das Abortmaterial kommt in die Pathologie nach Ulm. Dort wird untersucht, ob das Kind eventuell nicht ganz gesund gewesen wäre. Das ist manchmal entlastend. Dann wird es in einem Sammelgrab auf dem Friedhof in Ulm beerdigt. Das kommt auch hin und wieder vor, dass jemand anruft und fragt, wo das ist.

In welcher Verfassung sind die Frauen nach der Abtreibung?

Wenske: Ich kann das relativ gut beantworten, weil ich meine eigenen Patientinnen ja auch hinterher sehe und es bei ihnen beobachten kann. Auch wenn die Frauen es gut überlegt haben, geht es ihnen hinterher trotzdem immer schlecht. Bei der Nachuntersuchung ist keine Frau glücklich. Aber ich habe sehr selten Patientinnen, die über Jahre damit ein Problem haben. Die überwiegende Mehrheit, die es sich gut überlegt hat, sagt: Ich mache das nicht nochmal. Oder: Es hat mir leidgetan und es war ganz schlimm. Aber es bereuen ganz wenige. Ich denke, das hängt auch daran, ob man sie wirklich gut begleitet. Deshalb finde ich es ganz wichtig, diese Entscheidung wenigstens zwei bis drei Tage zu überdenken.

Ein Argument der Abtreibungsgegner im Streit darum, ob es erlaubt sein sollte, für Abtreibungen zu werben, über sie zu informieren, war, dass eine Information dazu führen würde, dass sehr viel mehr Frauen sich entschließen würden, ihr Kind abzutreiben. Ist da was dran?

Wenske: Das glaube ich überhaupt nicht. Ich erlebe hier wirklich, dass die Frauen meistens weinen oder sichtbar verstört sind. Eine Abtreibung fällt keiner Frau leicht. Dieses Argument halte ich für dumm. Ich sehe auch nicht ein, warum ich als Frauenärztin nicht auf meine Website schreiben kann: Leistungen: Mammapunktion, Sexualberatung, Schwangerschaftsabbruch. Vielleicht wäre es etwas anders, wenn man das Beratungsgebot abschaffen würde. Ich war früher auch gegen diese Zwangsberatung. Aber inzwischen sehe ich das anders. Die Frauen finden die Beratung überwiegend gut. Wenn das nur ein Angebot wäre, würden es viele nicht machen. Es gibt ja Länder, die Abtreibungen ohne Beratung erlauben. Aber dort liegen die Zahlen auch nicht höher als hier. Ich glaube, insgesamt ist die Lage in Deutschland schon okay, Frauen bekommen eine Abtreibung, wenn sie eine brauchen und werden dann auch gut versorgt.

Es heißt ja häufig, Schwangerschaftsabbrüche sind eines der letzten großen Tabus, über die keiner spricht. Würden Sie dem zustimmen?

Wenske: Sicherlich geht man nicht damit hausieren, dass man abgetrieben hat. Die Entscheidung wird moralisch bewertet. Es gibt aber auch andere Tabuthemen, die nicht so gerne besprochen werden. Worüber auch viele nicht sprechen, sind Fehlgeburten. Darüber wundere ich mich immer. Sie kommen häufig vor und sind zwar traurig, aber nicht moralisch angreifbar. Oder ein anderes Tabuthema: Stressinkontinenz. Das sind Themen, über die ich in meinem Alter denke: Warum sollte man darüber nicht reden?

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