Rund drei Jahrzehnte lang jagte Steuerfahnder Frank Wehrheim Wirtschaftsverbrecher. Ein Gespräch über Steueroasen, korrumpierbare Politiker und menschliche Tragödien.
Herr Wehrheim, Sie arbeiteten 28 Jahre lang bei der Hessischen Steuerfahndung. Was war Ihr Antrieb in dieser Zeit?
Frank Wehrheim: Ich bin am Anfang meiner Karriere erst bei der Finanzverwaltung gelandet und fand Steuersachen überhaupt nicht spannend. Irgendwann hörte ich von einer Abteilung, von der niemand recht etwas wusste: die Steuerfahndung. Das interessierte mich dann doch. Mit 25 Jahren wurde ich Steuerfahnder und habe das seitdem nie bereut. Im Rahmen der Finanzverwaltung war das so etwas wie Polizeiarbeit, Ermittlungsarbeit. Ich fand das viel spannender, als acht Stunden am Tag in einem Finanzamt rumzuhocken.
In dieser Zeit haben Sie oft in Abgründe geblickt...
Wehrheim: Ich hatte das Glück oder Pech, in den 1980er Jahren mitzuarbeiten an der Flick-Parteispendenaffäre. Bis dahin war ich politisch gesehen recht blauäugig. Doch von diesem Fall an begriff ich, in welch seltsamer Republik ich lebe.
Inwiefern seltsam?
Wehrheim: Ich habe gesehen, wie Politiker geschmiert werden, dass ein Bundeskanzler (Helmut Kohl, Anm. der Red.) Bargeld einsteckt. Bei meinen Ermittlungen habe ich immer wieder festgestellt, dass politische Parteien nicht davor scheuen, ihr Geld nach Liechtenstein oder in die Schweiz zu transferieren und so ihren eigenen Staat zu betrügen. Da hatte ich schon auch Zweifel, ob diese Demokratie überhaupt funktionsfähig ist.
Und fernab der Politik?
Wehrheim: Da spielen sich menschliche Tragödien ab. Wir bekamen Anzeigen von Ehefrauen, deren Männer junge Geliebte hatten. Die sagten dann: So, den mache ich jetzt fertig. Das ist natürlich hervorragendes Material für Steuerfahnder. Ein anderes Beispiel: In Firmen streiten sich immer wieder Geschäftsfreunde oder Angestellte mit ihrem Chef. Da kamen viele aus Wut zur Steuerfahndung und erklärten, wie der Chef falsch abgerechnet hat.
Panama- oder Pandora-Papers: Immer wieder decken Recherchen milliardenschwere Steueroasen und Verbrechensgeflechte auf. Fühlt ein Steuerfahnder sich da nicht machtlos?
Wehrheim: Motivierend ist das nicht (lacht). Aber nein. Sicher können sich die Mächtigen nicht fühlen. Weil ja immer wieder Skandale hochkommen. Machtlos waren wir Steuerfahnder immer dann, wenn grenzüberschreitend betrogen wurde. Wenn ein deutscher Steuerfahnder in die Schweiz gereist wäre, um zu ermitteln, wäre er nach dortigem Recht verhaftet worden. Das Gleiche gilt für Luxemburg. Da waren die Fahnder ohnmächtig, fragten sich: Wie viel Geld kriegt unser Staat eigentlich geraubt? Das geht ja in die Milliarden.
Tut die Politik zu wenig, um das zu verhindern?
Wehrheim: Natürlich tut sie zu wenig. Ich frage mich ernsthaft, was das für unfähige Gesellen sind, egal wie sie heißen. Sie sagen: Wir bekämpfen Steuertricksereien, vor allem innerhalb der EU. Aber machen tun sie nahezu nichts. Das ist traurig.
Wie kann verhindert werden, dass die Reichen ihr Geld in Steueroasen parken?
Wehrheim: Die Amerikaner haben die Schweizer in die Knie gezwungen, indem sie gesagt haben: Ihr nehmt in Amerika nicht mehr am Geldverkehr teil. Das funktioniert nur mit immensem Druck. Es geht ja darum, jemanden dort zu besteuern, wo er die Wertschöpfung holt. Wenn Amazon oder Ikea in Deutschland riesige Geschäfte machen, dann sollen sie auch hier Steuern zahlen. Dann ginge es einen großen Teil gerechter zu. Gut wäre außerdem eine Finanztransaktionssteuer. Damit wenigstens unter bestimmten Umständen eine Art Umsatzsteuer anfällt, etwa bei Börsengeschäften.
Was halten Sie vom Vorschlag einer globalen Mindeststeuer?
Wehrheim: Da müssen die Politiker sich erst einig sein. Und das sehe ich noch lange nicht. Ich halte nicht so viel von unseren Politikern, um es ganz deutlich zu sagen.
Vor einigen Jahren sagten Sie in einem Interview, Steuerhinterziehung sei ein Volkssport. Steht es wirklich so schlimm um die deutsche Steuermoral?
Wehrheim: Dass die Leute nicht gern Steuern zahlen, das kann man doch verstehen. Man zahlt und erhält nicht unbedingt eine positive Gegenleistung. Eher sieht man, für welchen Blödsinn Politiker Steuergelder verschleudern.
Seit zwölf Jahren haben Sie den Spieß umgedreht. Sie arbeiten mittlerweile als Steuerberater und helfen unter anderem Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich selbst wegen Hinterziehung anzuzeigen. Wie kam es dazu?
Wehrheim: Mit 60 bin ich in Pension gegangen. Von da an konnte ich als Steuerberater auf die Piste gehen. Heute hat mein Steuerbüro über hundert Mandanten. Die Arbeit ist nahezu genauso spannend, wie bei der Steuerfahndung. Ich berate nicht nur Selbstanzeiger, sondern auch Leute, die von der Steuerfahndung überrollt werden. So ein Angriff kann existenzbedrohend sein. Der Nebeneffekt meiner Arbeit ist natürlich: Ich verdiene auch ein bisschen Geld damit (lacht).
Zur Person: Frank Wehrheim wurde 1949 in Bad Homburg geboren. Von 1971 bis 2009 war er leitender Beamter bei der hessischen Landesfinanzverwaltung. Im Zuge der sogenannten „Steuerfahnder-Affäre“ erhielt er 2009 den „Whistleblower-Preis“.