Zweieinhalb Monate steht das Klimacamp nun in Augsburg. Die Stimmung der Aktivisten ist zugleich fröhlich und deprimiert. Unser Reporter hat eine Nacht im Lager neben dem Rathaus verbracht.
Sie nerven. Und sie wissen es. Zumindest einen Anruf, eine Fahrt und eine Menge Zeit haben die Bewohner des Klimacamps eine Werbefirma wieder gekostet, wenn ihre Mitarbeiter das entfernen, was die Aktivisten nachts angebracht haben. Sie seien keine Sadisten, sagen sie, die anderen aus Freude daran auf den Geist gehen. Seit Anfang Juli campen sie neben dem Rathaus in Augsburg, weil sie keinen anderen Ausweg sehen.
Es ist schon dunkel an diesem Donnerstag, aber noch warm genug für eine kurze Hose. Unter den Linden in der Augsburger Fuggerstraße sitzen Leute vor einem Irish Pub, sie trinken, reden, lachen. Gegen Mitternacht läuft eine Gruppe junger Menschen an ihnen vorbei, zwei von ihnen tragen ein großes weißes Papier. 20 Meter vom Pub entfernt bleiben sie stehen, begutachten eine Werbetafel und lassen ihren Blick über die Straße von Theater bis Königsplatz streifen. Die Polizei ist nicht in Sicht, und niemand sonst, der sich am Treiben der Gruppe stören könnte. Also legt sie los.
Wer genau zu der Gruppe gehört, die hier unterwegs ist, soll niemand erfahren. Denn das, was die jungen Menschen gerade tun, ist nicht erlaubt. Einer von ihnen zieht einen Metallschlüssel aus der Hosentasche, lockert damit die Befestigung der Werbetafel, um das Fenster vor dem Plakat öffnen zu können. Zwei Begleiterinnen reichen ihm das Papier, das sie hergetragen haben. "Wollt ihr mir kurz helfen?", fragt der Mann mit dem Schlüssel. Die Mädchen rümpfen die Nase. "Kein Problem", entgegnet der Mann. "Bitte tut niemals etwas, bei dem ihr euch nicht wohlfühlt."
Aktivisten im Augsburger Klima-Camp betreiben Adbusting in der Stadt
Ein Junge kommt ihm stattdessen zu Hilfe. Gemeinsam klemmen sie das Stück Papier in die Leiste am oberen Rand des Kastens. Es verdeckt jetzt ein Plakat, auf dem eine Werbefirma dafür wirbt, hier zu werben. Sie schließen das Fenster und gehen. Noch am nächsten Nachmittag, wenn die ersten Menschen auf der Fuggerstraße schon auf dem Weg in ihr Wochenende sind, können sie dort die Botschaft lesen, die die Augsburger Klimacamper in der Nacht zuvor aufgehängt haben: "Söder (2007): Fordert Verbot von Verbrennungsmotoren bis 2020 - Auch Söder (2020): Will Kaufprämie für Verbrennungsmotoren".
Wenige Minuten später erreichen die Klimaaktivisten wieder ihre Basis am Fischmarkt neben dem Augsburger Rathaus. Dort campen sie seit Anfang Juli. Sie dürfen das, weil ihr Lager offiziell eine Versammlung ist, geschützt durch das Grundgesetz. Ingo Blechschmidt hat die Versammlung angemeldet, solange er sich im Camp aufhält, fungiert er meist als Versammlungsleiter. Um ihn herum sind teils mehrere Dutzend Menschen, die vorbeischauen, an Aktionen teilnehmen oder fast schon hier leben.
"Das alles ist furchtbar deprimierend."
Die Mischung im Camp ist bunt, sie ist unbeständig und wirbt um Neuzugänge. Die meisten Bewohner kommen aus Augsburg und Umgebung, einige von ihnen sind nur gelegentlich zu Besuch oder über Nacht da. Heute übernachten zudem Luise und Helena hier, sie kommen aus der Nähe von Stuttgart und besuchen das Lager. Kaum einer im Camp ist älter als 20 Jahre, sie sind Schüler, Azubis, Studenten und sie wollen hier bleiben, auch über den Winter. Die Bewohner sind jung, sie harmonieren, sie verfolgen ein gemeinsames Ziel. Das klingt nach Ferienlager. Und tatsächlich haben die Camper Spaß. Doch Blechschmidt sagt: "Das alles ist furchtbar deprimierend."
"Wenn ich die Klimakrise an mich heranlasse und alleine darüber nachdenke, dann weine ich", erzählt Blechschmidt. Er ist Mathematiker, hat eine Stelle an der Universität Padua und lehrt dort, momentan ohnehin virtuell. Er sei bereit, seine Karriere für das Camp zu opfern, sagt er, Forschung betreibe er aktuell nicht. "Ich muss das hier tun, und wenn ich nur ein My zur Verbesserung beitragen kann", sagt Blechschmidt. Der Weg, den der 32-Jährige und seine Mitstreiter gehen, ist, auf sich aufmerksam zu machen, zu nerven, Druck zu machen - in der Hoffnung, dass Politiker dann auf sie hören.
"Wenn ich an die Klimakrise denke, dann weine ich."
Deshalb sind sie hier, direkt an der Schaltstelle der Augsburger Politik. In Augsburg steht das erste Klimacamp in Deutschland, inzwischen gibt es fast ein Dutzend. Wer sich dem Lager nähert, blickt auf eine Fassade aus Paletten und Pflanzen, über denen eine Tafel montiert ist. Tag 72 steht heute darauf, darunter das Programm des Tages, der gerade vorbei geht. Die Aktivisten haben mit Stadträten gesprochen, einen Vortrag gehört und ein Plenum gehalten. Das tun sie täglich, setzen sich zusammen, beraten, stimmen ab, meist auf den Sofas, die direkt hinter den Paletten im Camp stehen, heute im Kreis auf dem Kopfsteinpflaster.
Die Aktivisten haben eine klare Tagesordnung. Einige Dinge wiederholen sich täglich, Organisatorisches etwa: Wann die gespendeten Lebensmittel im Camp ankommen, mit denen die Aktivisten sich versorgen. Wer wann Nachtwache hält. Oder, wer wann die Versammlungsleitung übernimmt, sodass Polizei und Stadt einen Ansprechpartner haben, wie bei einer gewöhnlichen Demonstration. Die Camper müssen penibel darauf achten, dass niemals alle Teilnehmer das Lager gleichzeitig verlassen - sonst gilt die Versammlung als beendet. An den Stellen, an denen das Recht die Camper schützen soll, müssen sie es befolgen.
Heute geht es noch um ein anderes Thema: Den "Platzpark", wie die Aktivisten es nennen, ein Hochbeet, dass sie tags zuvor auf einen Parkplatz in der Maximilianstraße gestellt haben, sodass dort niemand parken konnte. CSU-Stadtrat Max Weinkamm hat deshalb nachmittags mit Blechschmidt gesprochen. "Er hat mich zur Seite genommen und gesagt, wie unanständig er das fand", berichtet er und schnauft dabei. Die Augsburger Stadtregierung frustriert Blechschmidt. Auch die, die viele für Verbündete halten würden. Wie Umweltreferent Reiner Erben, ein Grünen-Politiker.
Blechschmidt erzählt, schlägt vor, lässt abstimmen. Manchmal bringt sich einer der anderen aus der Runde ein, manchmal fordert Blechschmidt seine Mitstreiter vorher dazu auf. Das Protokoll führt Luise, eine der beiden Besucherinnen aus Baden-Württemberg.
Während die Aktivisten tagen, wehen unweit vor ihnen die Flaggen der Gruppierungen und Ideale, die im Camp vertreten sind: Anti-Atomkraft-, Anti-Kohlestrom- oder Regenbogenflaggen, aber auch eine Flagge der Umweltschutzbewegung "Extinction Rebellion", die Linken-Politikerin Jutta Ditfurth als "intellektuellenfeindlich" und "esoterische Weltuntergangssekte" bezeichnet.
Heute Nacht sind noch acht Campbewohner übrig, die sich um ein Uhr auf ihre Matten in den Zelten oder auf die Sofas unter den freien Himmel legen, um zu schlafen. Dieses Camp könnte ein Ferienlager sein. Doch den Bewohnern ist es ernst, durchmachen ist nicht. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker früh. Um sieben Uhr richten Fahrradaktivisten auf der Hermannstraße einen Radweg ein, fast alle aus dem Klimacamp sind dabei. Sie sperren eine der beiden Fahrstreifen stadteinwärts so ab, dass ihn eine Stunde lang nur Fahrräder benutzen können. 500 Meter werden sich die Autos stauen. Die Radler genießen es. Vielen Autofahrern sieht man an: Sie sind genervt.
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