Die Frau, die in ihrem Wohnzimmer sitzt, hält sich den Kopf. Ihr ist schwindlig, sie hat hohen Blutdruck und vor Übelkeit habe sie sich schon mehrfach übergeben, berichtet sie Notfallsanitäterin Franzi Romm. Die macht zuerst einfache Tests, fragt, ob die Frau ihre Hände hochhalten kann, testet die Zehen und schließt sie ans EKG an. Mit ihrer Ausbildung kann Romm der Frau einige Medikamente bereits verabreichen, allerdings gäbe es Mittel, für die sie einen Notarzt dazurufen müsste. Dazu zählt die Ampulle Vomex, die sie Seidel vorbereiten lässt. Das Medikament soll bei der Übelkeit helfen. "Aber Schmerzmittel wie Morphin dürfte ich ihr spritzen", sagt Romm. Das Notarztteam trifft ein und die Patientin wird in den Rettungsdienstwagen gerollt, mit einem Arzt und Romm an ihrer Seite geht es für sie auf die Liege. Rettungssanitäterin Kathleen Seidel setzt sich nach vorn. "Déjà-vu", sagt sie, als sie wieder vor der Notaufnahme in Murnau stehen.
Gewöhnlich fahren Rettungsdienste keine Krankentransporte
Im Verwaltungsgebäude des Bayerischen Roten Kreuz in Landsberg brennt noch kein Licht hinter den Fenstern. Auf dem Hinterhof, wo die Rettungswagen in einer Halle stehen, sind allerdings einige Fenster beleuchtet. Es ist kurz vor halb sieben am Morgen und bevor die zwölf-Stunden-Schicht für Romm und Seidel offiziell anfängt, werden sie zu einem Krankentransport gerufen. Es sei "nur" ein Krankentransport, sagt Seidel, die bereits umgezogen die Treppe in Richtung Fahrzeughalle hinuntergeht. "Nur", weil der Rettungsdienst theoretisch keine Transporte übernehmen muss – dafür seien gewöhnlich Krankenwagen im Einsatz. Doch um die Uhrzeit und weil der Patient Atemprobleme hat und auf eine kontinuierliche Sauerstoffzufuhr angewiesen ist, wird auch mal eine Ausnahme gemacht.
Am Wohnhaus angekommen gehen die zwei erst einmal rein, um sich ein Bild von der Situation und dem Zustand des Mannes zu machen. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss, Seidel kann allein die Liege holen. 70 Kilogramm wiegt das Gestell – ohne Patient. Sie rollt sie in die Wohnung. Den Mann heben sie mithilfe eines Patientenlifts auf die Trage. Gemeinsam stemmen Romm und Seidel die Liege am Rettungswagen auf die Schiene, bis das Gestell einrastet und klickt. Eine Stunde ist es bis nach Murnau, aus dem Einsatzgebiet des Rettungsdienstes ins "Oberland". Romm setzt sich dafür zu dem Patienten nach hinten, während Seidel das Steuer übernimmt.

Die 43-Jährige ist noch gar nicht so lange in Landsberg und auch Rettungssanitäterin ist nicht ihr erster oder zweiter Job. Eigentlich hat sie die Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht, dann zeitweise im Sicherheitsdienst in einem Freizeitpark gearbeitet. "Da wurden wir gefragt, ob wir nicht den Kurs zur Sanitäterin machen möchten. Aber am Ende verlernt man die Theorie ohne Praxiseinsätze wieder schnell", sagt sie, während sie auf der B17 in Richtung südliche Landkreisgrenze fährt. Während in der Corona-Pandemie der Freizeitpark teilweise geschlossen war und sie Zeit hatte, sich neben der Arbeit zur Rettungssanitäterin ausbilden zu lassen, habe sie schließlich entschlossen, zum BRK zu gehen. Für den Job brauche man Leidenschaft: "Das ist kein nine-to-five. Man muss den Job wollen."
Trotz trauriger Schicksale könne sie abschalten. "Man muss einfach funktionieren in den Momenten", erklärt sie mit einem Kopfnicken. Darauf konzentriere sie sich. Und gelegentlich gäbe es auch was zu lachen. In Erinnerung ist ihr eine besonders absurde Einsatzbeschreibung geblieben, die ihr aufs Gerät geschickt wurde: "Finger versus Gurkenhobel" habe ihr das Tablet wie eine Kampfmeldung mal angezeigt. "Der Patient stand dann schon an der Straße und hat uns gewunken, er hatte sich die Fingerkuppe abgehobelt. Der Mann war einfach schon sehr bereit mitzufahren – so habe ich das noch nie erlebt", erzählt sie mit einem Lachen. Dabei hätte es bei der Tiefe des Schnitts ein Verband getan.
Man muss einfach funktionieren in dem Moment.
Kathleen Seidel,43, Rettungssanitäterin beim BRK Landsberg
Auf der Höhe von Reichling schaltet Seidel die Funkfrequenz um und hebt das Gerät an ihren Mund: "Guten Morgen, wir sind auf der Durchreise", begrüßt sie die Leitstelle. "Wir merken schon, dass Schongau zu ist." Murnau sei kein seltenes Ziel, so wie an dem Tag. Angekommen, wird der Patient samt Liege in die Notaufnahme geschoben. Romm gibt die Krankenkartenkarte ab, macht Übergabe mit einem Arzt. Dann heißt es den Wagen wieder sauber machen, die Liege neu beziehen.
Schulsystem gibt häufig schon einen weiteren Berufsweg vor
Für den Rückweg lässt Romm sich auf den Fahrersitz fallen. Sie kommt eigentlich aus der Ecke Weilheim, hat ursprünglich eine Ausbildung im Einzelhandel gemacht. "Nebenbei war ich schon immer bei der Wasserwacht", sagt sie. Durch das Ehrenamt sei sie erst auf die Idee gekommen, Notfallsanitäterin zu werden. Doch das habe sich in Weilheim schwierig gestaltet. In Landsberg sei es dann schnell gegangen.
Dass es gerade in den medizinischen und sozialen Ausbildungsberufen an Personal mangelt, habe ihrer Meinung nach aber unterschiedliche Gründe. "Wer aufs Gymnasium geht, studiert danach. In Real- und Mittelschule macht man Praktika und wird auf eine Ausbildung getrimmt", sagt Romm. Über Freiwillige Soziale Jahre oder Ähnliches müsse man sich immer selbst informieren. So werde schon häufig in der Schulzeit einiges sortiert. "Ich weiß aber auch, dass andere bei der gleichen Ausbildungslänge 1000 Euro pro Monat mehr verdienen, fünf Stunden die Woche weniger arbeiten müssen und mehr Urlaub bekommen, als ich. Den Beruf muss man wollen." Und natürlich gäbe es diejenigen, die immer noch vom Job als Influencer auf Social Media träumen.
Das sind die fünf Glieder der Rettungskette
Sofortmaßnahmen am Unfallort: Wer als Ersthelferin oder Ersthelfer an einen Unfallort kommt, sollte sich zunächst einen Überblick verschaffen. Was ist passiert? Gibt es Verletzte? Dann geht es darum, die Unfallstelle abzusichern und betroffene Personen aus der Gefahrenzone zu bringen. Sich selbst sollte man dabei übrigens auch nicht gefährden. Zu den lebensrettenden Sofortmaßnahmen zählen auch Wiederbelebung, Blutstillung, Schockbekämpfung oder die stabile Seitenlage.
Notruf: Den Notruf erreicht man unter der Rufnummer 112. Sie gilt in Deutschland, in der EU und vielen weiteren Ländern der Welt. Wichtig sind die fünf W-Fragen: Wo ist der Unfall passiert? Was ist geschehen? Wie viele Verletzte gibt es? Welche Verletzungen? Warten auf Rückfragen.
Erweiterte Erste Hilfe: Bei schweren Notfällen können Augenblicke über Leben und Tod entscheiden. Bis der Rettungsdienst eintrifft, sollte man als Ersthelferin oder Ersthelfer am Unfallort erweiterte Sofortmaßnahmen anwenden. Um sich im Ernstfall auch wirklich auszukennen, sollte man einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen oder seine Kenntnisse ständig auffrischen. Es ist wichtig, weiterhin die Atmung des oder der Verletzten zu prüfen, mit ihnen zu sprechen und beruhigend auf sie einzuwirken.
Rettungsdienst: Der Rettungsdienst umfasst die Notfallrettung und den Krankentransport. Er stellt die lückenlose Versorgung des Notfallpatienten sicher. Sobald die Rettungskräfte eintreffen, übernehmen sie auch die Hilfeleistung. Ersthelferinnen und Ersthelfer können sie dabei aber weiterhin unterstützen.
Krankenhaus: Das Krankenhaus oder die Klinik ist das letzte Glied der Rettungskette. Das dortige Fachpersonal übernimmt nach Vorinformationen durch den Rettungsdienst die medizinische Versorgung.
Notaufnahme Landsberg meldet sich mittlerweile auch schon mal ab
Das alles wäre für die Notfallsanitäterin aber nichts. "Hier spreche ich oft mit Menschen, muss keine Büroarbeit machen und bin auf den Beinen." Dass sie ihr Leben lang Rettungsdienst fährt, glaubt sie nicht – jetzt gerade mache er ihr aber sehr viel Spaß. "Aber klar, jeder hat mal einen schlechten Tag." Wenn sie reanimieren müsse, könne sie nur ihr Bestes geben, sodass sie nicht an sich selbst zweifelt. Die 25-Jährige sagt, dass sie mittlerweile immer öfter merken, dass Landsberg mal für eine Stunde die Notaufnahme abmeldet. "Das liegt teilweise am mangelnden Personal, vielleicht an zu wenig Betten." Am Ende liege das aber nicht in ihrer Hand. "Ich versuche den Leuten zu helfen und ich kann es nicht an mich ran lassen. Falls es doch mal passiert, gibt es für die Rettungskräfte nach Einsätzen die Möglichkeit zur psychosozialen Seelsorge."
Bevor der Rettungsdienst die unsichtbare Grenze zum eigenen Leitgebiet erreicht, wird das Team von der Leitstelle Oberland angefragt. Ein Notfall in Altenau, Garmisch-Partenkirchen. Romm schaltet das Blaulicht an. Im Wagen ist nur das leichte Echo der Sirene zu hören, auf die Autos und Lastwagen an dem Vormittag kaum reagieren. "Es gibt Tage, da funktioniert es super und Tage wie diese." Sie wechselt zwischen den drei Sirenen: Landhorn, Stadthorn und Presshorn, um den Fahrzeugen klarzumachen, dass sie an die Seite fahren und am besten anhalten sollen.
Nach dem Transport geht es wieder in Richtung Landsberg. Diesmal schafft das Team es bis zum Innenhof des BRK-Gebäudes. Dort muss jetzt alles aufgefüllt werden und vielleicht bleibt sogar ein Moment für eine Pause.
(In unserer neuen Serie "Im Dienst" möchten wir Menschen vorstellen, die in medizinischen und sozialen Berufen arbeiten.)