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Foto: Biontech/dpa
Foto: Biontech/dpa

Hoffnungen werden unter anderem in den Impfstoff gesteckt, den Biontech und Pfizer entwickeln.

Corona-Pandemie
18.11.2020

Logistikherausforderung: Wie kommt der Covid-19-Impfstoff zu den Menschen?

Von Matthias Zimmermann

Einen Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln ist das eine. Ihn in kurzer Zeit rund um die Welt zu verteilen, um Milliarden Menschen impfen zu können, das andere.

Die Krise beschleunigt alles. Seit sich das neuartige Coronavirus im Frühjahr binnen kurzer Zeit um die ganze Welt verbreitet hat, geht alles plötzlich ganz schnell. In Rekordtempo werden weitreichende Einschränkungen von Wirtschaft und öffentlichem Leben beschlossen und milliardenschwere Hilfspakete organisiert. Noch nie in der Geschichte ist mit vergleichbarem Aufwand nach einem Impfstoff gesucht worden.

Jetzt scheint ein Durchbruch auf diesem Feld ganz nahe – und wieder muss extrem schnell auf eine völlig neue Herausforderung reagiert werden. Vor gut einer Woche hat das Mainzer Unternehmen Biontech die Ergebnisse einer zulassungsrelevanten Studie veröffentlicht. Demnach schützt der von Biontech in Zusammenarbeit mit Pfizer auf Basis der sogenannten Boten-RNA (mRNA) entwickelte Impfstoff zu 90 Prozent vor Covid-19. Am Montag meldete der US-Konzern Moderna mit seinem ganz ähnlichen Impfstoff nach vorläufigen Ergebnissen gar einen Schutz von 94,5 Prozent. Am Mittwoch meldeten Pfizer und Biontech, dass neue Studien für ihren Impfstoff sogar eine Wirksamkeit von 95 Prozent nachweisen.

Wenn die Vakzine die Zulassung bekommen und im Laufe der nächsten Monate weitere Hersteller ebenfalls fertige Impfstoffe haben, muss die Arznei zu den Menschen – weltweit. Das setzt die Logistikbranche derzeit gehörig unter Strom. Denn die Planungen laufen längst. Doch auf viele Fragen haben die Transport-Experten einfach noch keine Antworten.

Experten gehen von zehn Milliarden Dosen Corona-Impfstoff aus

Das fängt schon mit der Frage an, wie viele Impfdosen weltweit überhaupt verteilt werden müssen. Moderna und Pfizer haben mitgeteilt, dass bei ihren Produkten für den vollen Schutz zwei Dosen im Abstand von wenigen Wochen geimpft werden müssen. Verbreitete Modellrechnungen, etwa in einem gemeinsamen Strategiepapier des Logistik-Dienstleisters DHL und der Unternehmensberatung McKinsey, gehen daher davon aus, dass, um einen wirksamen Schutz für einen Großteil der Weltbevölkerung zu erreichen, in den kommenden beiden Jahren rund zehn Milliarden Impfdosen transportiert werden müssen. Umgerechnet bedeutet diese Zahl 200.000 Palettenlieferungen und 15.000 Flüge. Hergestellt werden die Impfstoffe wohl vorwiegend in Westeuropa, Nordamerika und Indien, so viel ist bekannt. Doch dann beginnen die Unsicherheiten.

Sowohl Biontech wie auch Moderna nutzen für ihre Impfstoffe ein neues Verfahren. Die Vakzine bestehen im Prinzip aus einem Stück Erbinformation des Virus. Dieses ist selbst nicht infektiös, gaukelt dem Körper aber eine Infektion mit dem Coronavirus vor. So hat es Biontech-Mitbegründer Uğur Şahin bereits Ende Oktober in einem Videointerview mit der Mainzer Allgemeinen Zeitung erklärt. Erst die menschlichen Zellen, also der Körper der geimpften Person, produzieren auf Basis dieser Bauanleitung Antigene – den eigentlichen Impfstoff.

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Dieses neue Verfahren ist sehr elegant und präzise, da, wie Sahin erläutert, das Immunsystem sauber und stark nur auf Erbinformationen des Virus reagieren kann. Der Nachteil ist aber, dass weniger Daten über die Stabilität des Impfstoffs verfügbar sind. Aus Sicherheitsgründen werden die Vakzine daher bei Temperaturen von minus 80 Grad gelagert. Das ist im Labor problemlos möglich. Biontech hat auch bereits Impfstoff produziert, um nach einer Zulassung sofort mit der Auslieferung beginnen zu können. Aber die Kühlkette auf dem gesamten Weg von den Produktionsstätten bis zu den Impfzentren gewährleisten zu können ist eine ungleich größere Herausforderung.

Lufthansa Cargo lässt eigentlich ausgemusterte Jets erst mal weiter fliegen

Als eines der größten Luftfrachtunternehmen der Welt bereitet sich auch Lufthansa Cargo auf diese Aufgabe vor. Thorsten Braun leitet die eigens gegründete Task Force Impfstofftransporte in dem Unternehmen. Wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt, rechnet Lufthansa Cargo erst zum Ende des ersten Quartals 2021 mit signifikanten Volumina im Impfstofftransport. Ungefähr 20 bis 25 Strecken hat die Task Force identifiziert, auf denen die entsprechenden Ströme wohl transportiert werden.

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Foto: Lufthansa Cargo (Symbolbild)
Foto: Lufthansa Cargo (Symbolbild)

Lufthansa Cargo bereitet sich auf den Transport des Corona-Impfstoffs vor.

Um genügend Kapazität in Reserve zu haben, fliegen drei MD-11-Transportmaschinen, die im Rahmen einer Flottenerneuerung Ende 2020 ausgemustert werden sollten, nun erst einmal weiter. Hintergrund ist auch, dass bei der Lufthansa rund die Hälfte der Frachtkapazität über Zuladung in Passagiermaschinen abgewickelt wird. Weil dieses Geschäft aber seit dem Frühjahr am Boden liegt, ist das Angebot an Transportkapazitäten deutlich zurückgegangen. Um dringend benötigte Schutzausrüstung aus China nach Deutschland zu fliegen, funktionierte die Lufthansa damals auch nicht gebrauchte Passagiermaschinen zu Frachtflugzeugen um, sogenannten „Prachtern“, wie sie schnell hießen. Auch für diesen eventuellen Fall trifft die Task Force nun Vorbereitungen, sagt Braun.

Doch die rechnerische Transportkapazität ist nur ein Faktor in der Rechnung mit vielen Unbekannten. Um die Anforderungen an Temperatur und Hygiene garantieren zu können, müssen die Impfstoffe auch in speziellen Verpackungen und Containern transportiert werden. Im Umgang mit extrem gekühlter Ware müssen zudem bestimmte Prozesse eingehalten werden, das Personal muss entsprechend geschult sein. Lufthansa Cargo habe auf diesem Bereich einen gewissen Startvorteil, wie Braun betont. Am Heimatstandort Frankfurt betreibt das Unternehmen den mit 8800 Quadratmetern Größe wichtigsten europäischen Pharma-Umschlagplatz, an dem all dies gewährleistet werden könne. Weltweit verfüge man zudem über eine Vielzahl an Flughafenstationen, an denen temperatursensible Güter abgefertigt werden können. Doch Lufthansa kümmert sich auf der Transportkette um den Weg von Flughafen zu Flughafen. Die Herausforderungen auf der sogenannten „letzten Meile“, also bis zum Zielort der Ware, sind aber nicht kleiner.

Womöglich sinken die Anforderungen an die Kühlkette noch

Statt eines großen Containers sind dann plötzlich einzelne Paletten oder Kühlboxen zu transportieren, das heißt, die Anzahl der Sendungen steigt. DHL und McKinsey kalkulieren etwa mit 15 Millionen Kühlboxen, die unter Umständen mit Trockeneis auf Temperatur gehalten werden müssen. Die Zollabfertigung ist eine weitere Hürde, vor allem wenn sie nicht am Flughafen erfolgt. Eine weitere Gefahr ist, dass sich die Ware staut oder nicht umgeschlagen werden kann, wenn an einer Stelle der Kette Verzögerungen auftreten. Darum sollten die Daten zum Transportaufkommen möglichst allen Beteiligten jederzeit in Echtzeit zur Verfügung stehen.

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So sachlich und verständlich wie der Unternehmer Şahin die Impfstoffentwicklung erklären kann, analysiert er die logistische Herausforderung. Auch da hat er gute Nachrichten: Wenn der Biontech-Impfstoff aus dem Minus-80-Grad-Kühlschrank kommt, ist er wohl mindestens fünf Tage im Kühlschrank stabil. Für Dezember erwartet er neue Daten, womöglich sei sogar eine Lagerung über zwei Wochen bei vier Grad möglich. Moderna geht bereits jetzt von einer Lagerung von bis zu 30 Tagen bei zwei bis acht Grad aus.

Über alle Entwicklungen informieren wir Sie auch immer in unserem Corona-Live-Blog.

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