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Foto: Eckhart Matthäus
Foto: Eckhart Matthäus

So sonnig, wie es dieser Blick vermittelt, sah es in der Fuggerei beileibe nicht immer aus. Das Buch zum 500-Jahr-Jubiläum spürt Wohl und Wehe der Sozialsiedlung auf.

Jubiläumsband
07.10.2020

Die Fuggerei: Fünfhundert Jahre Geschichte in einem Sammelband

Von Hans Krebs

Plus Die Fuggerei wird als älteste Sozialsiedlung der Welt gewürdigt. Noch heute zahlen die Bewohner die Miete, die 1521 festgelegt wurde. Stifter Jakob Fugger wollte ein Wirken „in ewig zeyt“. Wie ist es diesem Wunsch ergangen?

Eines der denkwürdigsten Jubiläen steht 2021 an, doch ein fundamentales Buch dazu ist schon da. Es trägt den Titel „Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521“. Herausgegeben hat es die für das 500-Jahr-Jubiläum zuständige Astrid Gabler. Was da auf 240 großformatigen Seiten als Sammelband von acht Autorinnen und Autoren vorgelegt wird, beeindruckt gleichermaßen durch Wissen, Vermittlung und Gestaltung. Wer die zwölf Kapitel gelesen hat, geht anders durch diese älteste Sozialsiedlung der Welt – jedenfalls anders als die Mehrzahl der jährlich 220.000 Besucher.

„Die sind fast enttäuscht, dass wir nicht ärmer aussehen“, wird eine Frau M. zitiert. Sie zahlt wie alle ca. 150 Fuggerei-Bewohner nominell immer noch dieselbe Jahresmiete, wie sie im Stiftungsbrief vom 23. August 1521 festgelegt wurde – nämlich einen Rheinischen Gulden, nur dass der heute auf 88 Cent umgerechnet ist, aber seinerzeit immerhin den Wochenlohn eines Handwerkers ausmachte. Für alle Lebenshaltungskosten und die Nebenkosten ihrer Wohnung kommt Frau M. selbst auf. Ob sie auch die in vorreformatorischer Frömmigkeit formulierten drei Gebete am Tag für das Seelenheil der Stifter spricht, überprüft niemand.

Schon zur Gründungszeit der Fuggerei gab es soziale Spannungen

Wichtig ist zu wissen, das Jakob Fugger (auch im Namen seiner bereits verstorbenen Brüder Ulrich und Georg) die Stiftung nicht nach Art damaliger Hospital-, Siechen-, Armen- oder Seelhäuser für untätige „Habnits“ bestimmt hat, sondern für katholische Mitbürger, die bei aller Not „offentlich das almuesen nit suechen“, weil sie dem Broterwerb dienen und sich vor dem „Bettel“ bewahren wollen. Heute sind übrigens ein bis zwei Drittel der Fuggerei-Bewohner berufstätig. In diesem Zusammenhang geht der Jubiläumsband über das Referierende hinaus und zieht aus der langen Geschichte der Fuggerei aktuelle gesellschaftspolitische Forderungen. Ein „Masterplan zur Armutsbekämpfung“ sei geboten. Tatsächlich war die Fuggerei früh auf Armut als nicht individuelles Problem ausgerichtet, denn schon zu ihrer Gründerzeit gab es in Augsburg soziale Spannungen wie den Aufstand der Weber. Und es gab dazu auch die Pest, deren erste epidemische Zahlen wenige Tage vor Ausstellung der Stiftungsurkunde bekannt wurden.

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Die Fugger – im Bild die Büste von Jakob Fugger dem Reichen in der Fuggerei – waren einst eine der bedeutendsten Familien in Augsburg.

Wie leicht kann ein Mensch unverschuldet in Not und Elend kommen, können auch Niedrigverdiener unter den heutigen Fuggerei-Touristen, die das Leben dort „wie einen Film betrachten“, selbst einmal auf eine der Wartelisten geraten! Diese sind (auch in Begleitung der Bittbriefe) ein sozialer Index von Zeitumständen. Und die bedingten schlimmstenfalls Wartezeiten von 25 Jahren und mehr. Hingegen standen im Wirtschaftsaufschwung wie 1979 sogar 13 Fuggerei-Wohnungen leer. Heute, da Menschen jeden Alters und Familienstands aufgenommen werden können, beträgt die Wartezeit drei bis fünf Jahre. Vielsagend sind im Jubiläumsband aufgeführte Schicksale aus Vergangenheit und Gegenwart – so aus Nachkriegs-Augsburg von 1948, da ein versehrter Mann nach fast 15 Jahren Wartezeit in der Nacht vor dem Einzug in die Fuggerei einem Herzschlag erlag. Besucher und Bewohner geraten auch als Foto in den Blick. Zum Beispiel ein Ehepaar aus Japan 2017 als zweimillionster Besucher seit Einführung von Eintrittsgeld 2006; zum Beispiel der von zigtausend Kindern geliebte Zauberer Hardy samt seinem weißen Kaninchen, dem er ein Fuggerei-Ställchen eingerichtet hat.

Ländereien gewährten Sicherheit in stürmischer Zeit

Um das bis heute und nach Jakob Fuggers Willen „hinfüro in ewig zeyt“ Gute zu tun, musste zuerst Stifterkapital vorhanden sein. Und das entwickelte sich, seit der Name Fugger nach Zuwanderung aus dem Umland erstmals 1367 im Augsburger Steuerbuch vermerkt und hundert Jahre später durch die Brüder Ulrich, Georg, Jakob (seit 1512 durch letzteren allein) zum Kennwort für Wirtschaftserfolg wurde. Die Verbindung von Montanunternehmungen (Silber, Kupfer, Blei) mit Handels- und Bankgeschäften verhalf Jakob Fugger zu seinem Beinamen „der Reiche“. Er war, 1511 in den Adels- und 1514 in den Grafenstand erhoben, in einem Maße reich, dass er die Kaiserwahl des Habsburgers Karl V. durch rund 283.000 Gulden mitfinanzieren und ihm bis an sein Ende rund 5,5 Millionen Dukaten an Darlehen gewähren konnte. Aber schon Jakobs Nachfolger, sein Neffe Anton Fugger, strebte weg vom Handelsgeschäft und hin zum Erwerb von Ländereien. So stützten sich Unterhalt und Gewinn bald nicht mehr auf den Handel, sondern auf die Feudalleistungen der Bauern. Die Fugger waren aus ihren Kontoren und Faktoreien auf den Schlössern angekommen. Dass ihr Landbesitz (zumal auch in Forstwirtschaft) besser als das anfällige Kapital, dass also Liegenschafts- statt Kapitalstiftung bessere Sicherheit in stürmischer Zeit gewähren können, das beweist die Geschichte der Fuggerei hinlänglich.

Zerstörung in der Augsburger Bombennacht

Diese Siedlung der Fürsorge erholte sich von der Verwüstung durch schwedische Besatzung im Dreißigjährigen Krieg ebenso wie vom schweren Zusammensturz in der Augsburger Bombennacht des 25./26. Februar 1944, den die Bewohner im 1943 angelegten, heute als Museum erhaltenen Luftschutzbunker der Fuggerei überlebten. Schon am 1. März 1944 beschloss das Fuggersche Familienseniorat, das seit 1548 als Leitungsgremium fungiert, unverdrossen die Wiederherstellung der Fuggerei. „Durchdrungen von der Aufgabe, den Stifterwillen getreulich zu erfüllen“, beginnt der auf Schloss Kirchheim gefasste Wiederaufbau-Beschluss. Er gleicht einer zweiten Gründung – nach der ersten von 1521.

So ist es eine runde Geschichte, zu danken den Kapiteln von Stefan Birkle, Sigrid Gribl, Anja Kampmann, Franz Karg, Dietmar Schiersner, Anke Sczesny, Hilde Strobl.

Buch: Astrid Gabler (Hrsg): Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521. Hanser, 240 Seiten, 22 Euro.

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