Homeoffice oder Pendeln: Wie soll die Zukunft aussehen?

Foto: woi, tba
27.03.2021

Die Menschen pendeln im Schnitt immer länger in die Arbeit. Durch Homeoffice fallen Fahrt und Stress derzeit oft weg. Wer aber will zurück zur Normalität?

Wenn alles gut gelaufen ist, hat Martin Zeh aus Biberbach bis vor einem Jahr dreimal pro Woche rund drei Stunden täglich im Zug verbracht. Seit vier Jahren arbeitet der 57-Jährige als TÜV-Sachverständiger in München, zweimal pro Woche war er bereits vor Corona zu Hause im Homeoffice. An den restlichen drei Werktagen war er elf Stunden – von 6.32 Uhr bis 17.32 Uhr – unterwegs.

Knapp die Hälfte der Pendler legt mehr als 20 Kilometer zum Arbeitsplatz zurück

Martin Zeh ist Berufspendler. Laut Bundesagentur für Statistik wird als Berufspendler bezeichnet, wer seinen Arbeitsplatz in einer anderen Gemeinde als seinen Wohnort hat. Das sind etwa sechs von zehn Arbeitnehmern, eine Zahl, die in den vergangenen Jahrzehnten konstant gestiegen ist – und bei der zum Beispiel all die sogenannten Binnenpendler, die innerhalb einer Großstadt Strecke machen, gar nicht mitgezählt werden. Was die durchschnittliche Strecke betrifft, die Pendler tagtäglich zurücklegen – auch die ist stetig gestiegen. Laut einer Umfrage des ADAC im Dezember 2019 legten 47 Prozent der befragten Pendler in Deutschland mehr als 20 Kilometer bis zu ihrem Arbeitsplatz zurück. Mit 42 Prozent brauchten die meisten der Befragten für ihren Arbeitsweg einfach zwischen 20 und 30 Minuten, 24 Prozent zwischen 31 und 59 Minuten, 11 Prozent mehr als 60 Minuten. Soweit also zu den Zahlen.

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Foto: Julian Leitenstorfer
Foto: Julian Leitenstorfer

Droht ein Pendler seinen Zug zu verpassen, kann sein Stresspegel stärker steigen als der von Kampfpiloten

Nach drei Jahren Pendeln mit dem Zug vom Allgäu an den Nordrand von Augsburg lautet das eher traurige Resümee: Den aktuellen Angaben der Bahn-App sollte man nie trauen. Öfters hieß es etwa, der Zug soll zehn Minuten Verspätung haben. Nicht nur einmal kam ich aufgrund dessen etwas später am Bahnhof an. Und der Zug war trotzdem schon weg, weil er dann auf einmal doch plangerecht fuhr. Selten war der Zug ohnehin morgens pünktlich am Ziel, am Augsburger Hauptbahnhof. Ich raste deshalb mindestens zweimal pro Woche hektisch vom Bahnsteig zur Bushaltestelle, weil ich das Gefährt nach Lechhausen erwischen musste. Immer wieder fuhr es mir vor der Nase weg. Abends ähnliche Spielchen beim Rückweg. Durch Wartezeiten an Bushaltestellen und Bahnhöfen verlor ich nicht selten, neben der reinen Zug- und Busfahrtzeit, noch eine weitere Stunde pro Tag, was mir immer sinnloser vorkam. Eines kann ich sagen: Das viel zitierte Lesen im Zug – es wird irgendwann fad. Genauso wie der immer gleiche Blick nach draußen. Zum Glück kam dann Corona, auch wenn das zynisch klingt. Nun sitze ich seit einem Jahr im Homeoffice. Eine echte Erlösung. Ich sage nur: Nie wieder täglich pendeln, wenn es irgendwie geht … Markus Bär, Redakteur


Pendeln: Höherer Stresspegel als der eines Kampfpiloten

Dass es vor allem unpünktliche Züge sind, die Pendler stressen, haben mehrere Studien belegt. Der britische Stressforscher David Lewis stellte beispielsweise fest: Droht ein Pendler seinen Zug zu verpassen, kann sein Stresspegel stärker steigen als der von Kampfpiloten. Der Schweizer Ökonom Bruno Frey wiederum kam zu dem Ergebnis: Wer für den Weg zur Arbeit eine Stunde benötigt, müsste theoretisch 40 Prozent mehr verdienen, um so glücklich wie jemand zu sein, dessen Job vor der Haustüre liegt.

Die negativen Folgen also sind bekannt, dass die Zahl der Pendler dennoch steigt, hat für Florian Hördegen, stellvertretender Leiter der Bereiche Verkehr, Technik und Umwelt beim ADAC Südbayern, mehrere Gründe: Zum einen habe sich die Infrastruktur verbessert und Verkehrsträger seien schneller geworden. „Vor 50 Jahren hätte man noch eine lange Zeit im Zug oder Auto gesessen, um beispielsweise von Augsburg nach München zu pendeln, wie das heute viele machen. Inzwischen ist das ganz normal.“ Zum anderen aber spielten natürlich auch die steigenden Mietpreise in Großstadträumen eine entscheidende Rolle. Laut der Umfrage des ADAC sieht eine Mehrheit der befragten Pendler keine Möglichkeit oder Veranlassung, die Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstelle zu verringern. 60 Prozent gaben an, in ihrer unmittelbaren Nähe keinen vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden, 54 Prozent fühlten sich zu emotional mit ihrem Wohnort verbunden, um umzuziehen. Die Stadt, in die die meisten Arbeitnehmer fahren, ist mit 390 000 Pendlern im Übrigen München – gefolgt von Frankfurt und Hamburg. Das ergab eine Auswertung von Pendlerdaten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung für das Jahr 2018.

Prinzipiell ist das Pendeln nach München das Grauen. Auch weil du nie wissen kannst, wie lange du brauchst. Egal zu welcher Zeit: Es kann gut gehen und du brauchst nur eine Stunde, oder aber nicht, und dann brauchst du drei Stunden. Das Navi ist auch kein verlässlicher Partner, denn die Stauanzeige wiederum kann stimmen oder sie kann nicht ... Und wenn Stau ist, sind die Ausweichrouten meist voll. Im Moment ist wegen Corona gerade weniger Verkehr. Deswegen fahre ich nun mit dem Auto, sonst nehme ich den Zug. Der ist aber zu 80 Prozent nicht pünktlich. Ich tue mir die Pendelei dennoch an, weil es in Augsburg für mich keinen vergleichbaren Job gibt. Nach München zu ziehen, kommt für mich nicht infrage: Ich möchte mir das Leben dort nicht leisten, ich möchte dort auch nicht leben. Dass ich so viel Benzin verfahre, macht mir ein schlechtes Gewissen. Und natürlich muss ich am Tag mindestens zwei Stunden von meiner Freizeit abziehen. Ich versuche das zu neutralisieren, indem ich im Auto Hörbuch höre, um das Fahren als Freizeit auch sinnvoll zu nutzen. Richard Sauer, Ernährungstherapeut

Die Statistik für 2020 wird natürlich ganz anders aussehen als in den Vorjahren: Kurzarbeit und Homeoffice zwingen beziehungsweise erlauben vielen Berufstätigen noch immer, zu Hause zu bleiben. Auch Martin Zeh arbeitete, mit Ausnahme der Sommermonate, bis heute durchgehend zu Hause. Ihn freut das: „Ich bin viel flexibler in meiner Zeiteinteilung und kann jetzt auch meine 86-jährige Mutter besser unterstützen, indem ich sie zum Beispiel zum Arzt bringe. In der Hinsicht ist Corona für mich ein echter Segen.“ Er habe das große Glück, in seinem Beruf Dokumente beurteilen zu müssen, was von zu Hause aus gut machbar sei. Zudem halte er Online-Schulungen, für die sein Aufenthaltsort ebenfalls unwichtig sei. Dass er gut im Homeoffice arbeiten könne, hänge aber auch damit zusammen, dass er mit seiner Familie in einem Haus auf dem Land lebe, seine drei Töchter seien außerdem alle schon erwachsen. „Ab und zu muss man sich schon mal aus dem Weg gehen, aber insgesamt klappt es recht gut.“

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Das Schöne ist, dass mir täglich zwei Stunden Lebenszeit durch Wegfall der Fahrtzeiten geschenkt sind. Das Unschöne ist, dass die sozialen Kontakte eingeschränkt sind – und das gilt auch für die Bahnfahrten selbst mit interessanten Menschen und guten Gesprächen. Renate Ulm, Redakteurin

Nicht allen geht es im Homeoffice gut

Dennoch: Nicht allen geht es im Homeoffice gut. Die Zufriedenheit über das weggefallene Pendeln käme nicht maßgeblich zum Tragen, erklärt Hördegen vom ADAC. „Gerade für Eltern, deren Kinder gleichzeitig ins Homeschooling geschickt wurden, bedeutet die Situation, in der sich jetzt alles zu Hause abspielt, viel Stress.“ Bei den Pendlern, die nicht ins Homeoffice oder in die Kurzarbeit geschickt wurden, beobachte man beim ADAC den deutlichen Trend weg von öffentlichen Verkehrsmitteln. „Wir erleben sozusagen eine natürliche Renaissance des Autos. Natürlich besteht in der Bahn oder im Bus die Angst vor Ansteckung, zudem sind ja gerade wegen der vielen Homeoffice-Arbeiter die Straßen deutlich leerer als sonst.“ Darum habe der Umstieg vom ÖPNV auf das Auto auch in dem Umfang funktioniert.

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Foto: Oliver Berg, dpa
Foto: Oliver Berg, dpa

So wie hier in Köln vor einem Jahr sieht es nur noch selten im Berufsverkehr aus. In der Corona-Pandemie sinkt die Mobilität in Deutschland.

Ich bin 15 Jahre mit dem Zug gefahren, dann bin ich aufs Auto umgestiegen, was eine extreme Verbesserung meiner Lebensqualität bedeutet hat: Fünf Minuten später dran – beim Zug ist das ein Problem, beim Auto nicht. Im Auto hast du natürlich auch sofort deine Privatsphäre. Jetzt arbeite ich von zu Hause, das ist bei uns die Vorgabe, und was ich natürlich merke: Ich kann mir eigentlich nicht mehr vorstellen, fünf Tage die Woche auf der Straße zu sein. Für die Zukunft hoffe ich, dass es genügt, einmal in der Woche ins Büro zu fahren, und den Rest von zu Hause zu arbeiten. Natürlich vermisse ich meine Kollegen, aber der Gewinn an Zeit wiegt alles auf. Klara Angerer, kaufmännische Angestellte

Viele werden wohl bei Bedarf auch künftig von zu Hause aus arbeiten wollen

Martin Zeh wiederum kann sich nicht vorstellen, mit dem Auto in die Arbeit zu fahren. „Das wäre für mich der Horror. Außerdem ist das Bahnfahren immer interessant, man sieht viele spannende Menschen.“ Während der Sommermonate habe es sich für ihn so ergeben, dass er jede Woche einmal ins Büro nach München gefahren sei. „Es war schön, die Kollegen mal wieder zu sehen. Das fehlt schon im Homeoffice.“ Allein für den Kontakt zu den Mitarbeitern ist es aus seiner Sicht wichtig, ein- bis zweimal in der Woche wieder ins Büro zu fahren. Diesen Wunsch nach mehr Flexibilität auch nach dem angeordneten Homeoffice erwartet Hördegen vom ADAC von vielen Arbeitnehmern. Langfristig rechne er damit, dass viele bei Bedarf auch von zu Hause aus arbeiten wollen. „Es wird auf jeden Fall interessant, wenn die Pandemie zu einem Ende kommt – ob sich die Pendler dann wieder umverteilen und mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Und wie der ÖPNV darauf reagiert.“ Denn sollten Berufstätige sich dann wirklich vermehrt für zwei bis drei Tage Pendeln und den Rest im Homeoffice entscheiden, müssten die Angebote des ÖPNV entsprechend angepasst werden. „Mit den aktuellen Tickets steht die Rentabilität für Teilzeit-Pendler infrage. Da muss dann der neuen Wirklichkeit Rechnung getragen werden.“

Nach jahrelangem Pendeln von München nach Augsburg kannte ich am Schluss die A8 fast besser als meine Aktentasche. Ein Beispiel: Ortsschild Odelzhausen, Fahrtrichtung Augsburg. Wenn der Verkehr gut lief, wusste ich genau, ich bin in 15 Minuten zu Hause. Dazu brauchte ich keine Berechnungen des Navi, das waren im wahrsten Sinne des Wortes Erfahrungswerte. Jetzt pendel ich nicht mehr, aber manchmal fehlen mir die Fahrten, sie waren perfekt, um abzuschalten. Peter Wegner, Banker

Martin Zeh muss sich, was die Zukunft betrifft, derzeit keine Sorgen machen: Er bekomme von seinem Arbeitgeber die Bahncard 100 gestellt, außerdem habe sein Chef schon angekündigt, im Hinblick auf das Thema Homeoffice noch flexibler sein zu wollen, da die Produktivität zuletzt nicht abgenommen habe. Und besonders diese angekündigte Flexibilität ist für Zeh – wie wohl für viele Arbeitnehmer nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres – besonders wichtig. Pendeln, wenn man möchte, nicht wenn man muss.

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