Leben in einem Tiny House: "Für mich war das die beste Entscheidung"

Foto: Paula Binz
13.12.2022

Plus Inge Sauer lebt in Wehringen in einem Tiny House. Für die Seniorin sei das kleine Häuschen die beste Entscheidung gewesen. Warum sie den Trend auch kritisch sieht.

Von der Straße aus ist das Tiny House von Inge Sauer nicht zu sehen. Nur ein kleines Klingelschild an der Garage eines großen Holzhauses weist auf den Wohnort der Wehringerin hin. Inge Sauer führt den Besuch durch die Garage in den Garten. Dort bietet sich ein Anblick wie aus einem Bilderbuch: Ein gepflasterter Weg schlängelt sich zwischen Sträuchern und Blumen auf das fünf mal acht Meter kleine Holzhaus zu. Wie das kleine Geschwisterchen des großen Hauses sieht es aus. 

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Tiny House ist die englische Bezeichnung für "winziges Haus". Der Begriff wurde vor etwa 15 Jahren zum Eigennamen eines modernen Wohnkonzepts. Die Idee: das Eigenheim und den Besitz auf das Wesentliche reduzieren. In der Regel haben solche Häuschen eine Wohnfläche zwischen 15 und 45 Quadratmetern. Oftmals sind sie auf Rädern gebaut. Wie groß und wo ein Tiny House gebaut werden darf, kann jede Kommune individuell entscheiden. Das war auch kürzlich im Wehringer Gemeinderat Thema. Dort setzte das Gremium allen zukünftigen Tiny-House-Besitzern eine Grenze: Sechs mal sechs Meter Wohnfläche bei maximal drei Metern Höhe dürfen es nur noch sein.

Inge Sauer kann die neue Bauvorschrift für Tiny Houses nicht nachvollziehen

"Ich kann nicht nachvollziehen, wie der Gemeinderat auf diese Maße kam", sagt Inge Sauer. Die Seniorin ist froh, dass sie ihr Tiny House mit 40 Quadratmetern Grundfläche und einem zweiten Stock vor dieser Vorschrift bauen konnte. "Ich habe unter meiner Treppe einen kleinen Stauraum, aber auf sechs Mal sechs Metern fehlt einfach der Platz dafür", sagt Sauer. 

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Foto: Paula Binz
Foto: Paula Binz

Inge Sauer hat ihr Tiny House größtenteils selbst entworfen.

Beim Eintreten findet man sich zuerst in einem schmalen Flur wieder. "Hier links ist das Badezimmer", sagt Inge Sauer, während sie im Gehen auf eine Türe zeigt. Dann steht sie auch schon im Hauptzimmer. Die Küche ist durch eine niedrige Wand vom Wohnbereich samt Sofa, Fernseher und Esstisch abgetrennt. Durch die offene Decke und die hohen Fenster wirkt der Raum gar nicht so "tiny". Beim Blick nach oben stößt man auf eine Galerie, die über Flur und Küche thront. Dort ist das Schlafzimmer. "Für mich allein reicht das vollkommen aus. Ich habe hier alles, was ich brauche", sagt die Seniorin.

Inge Sauer: "Ich habe mich allein im großen Haus nicht mehr wohlgefühlt"

Vor anderthalb Jahren sah Sauers Wohnsituation ganz anders aus. An die 30 Jahre lebte die gebürtige Oberpfälzerin in dem etwa 200 Quadratmeter großen Holzhaus nebenan. Die meiste Zeit davon gemeinsam mit ihrem Mann. Knapp 900 Quadratmeter Grund hatte das Ehepaar zu pflegen. "Als mein Mann verstarb, war ich allein dafür zuständig. Aber ich möchte in meinem Alter nicht mehr das ganze Haus mit Garten in Schuss halten", sagt die 72-Jährige. "Außerdem habe ich mich allein in dem großen Haus mit den vielen leeren Zimmern nicht mehr wohlgefühlt." Dazu kommt, dass das Tiny House gerade jetzt in der Energiekrise einiges an laufenden Kosten spart. 

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Foto: Inge Sauer, Privat
Foto: Inge Sauer, Privat

Für die 72-Jährige ging mit dem kleinen Haus ein Traum in Erfüllung.

In eine Mietwohnung zu ziehen, war für Sauer keine Alternative: "Ich habe mir einige Wohnungen angeschaut, aber immer hat irgendetwas nicht gepasst. "Daher nahm die Seniorin ihr Glück selbst in die Hand. "So wie ich jetzt wohne, ist es ja keine neue Erfindung", sagt Sauer. "Wenn früher die Kinder den Bauernhof übernahmen, wurde oft auf das Grundstück ein Alterswohnsitz für die Eltern gebaut." Tiny House ist für Sauer nur eine neumodische Bezeichnung für solche "Austragshäusle". 

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Foto: Paula Binz
Foto: Paula Binz

Ihr ehemaliges Haus mit etwa 200 Quadratmetern Wohnfläche und 900 Quadratmetern Grund wollte Inge Sauer nicht mehr allein instand halten.

"Bei mir ist nur der Unterschied, dass ich mein altes Haus an eine Familie verkauft habe", sagt Sauer. Ihre Idee, mit einem Tiny House in den Garten zu ziehen, sei dabei kein Problem gewesen. Durch eine blickdichte Umzäunung haben beide Parteien einen gesonderten Außenbereich. Ganz unabhängig von ihrem alten Haus ist Sauer aber nicht: Ihre Heizanlage läuft über einen Zwischenzähler, den Kanalanschluss teilen sich beide Parteien. 

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Foto: Paula Binz
Foto: Paula Binz

Inge Sauers Tiny House zählt aufgrund einer Galerie als zweistöckig. Das ist in Wehringen nun nicht mehr erlaubt.

Ihr Tiny House hat die 72-Jährige selbst entworfen. "Ich habe viel Fantasie und ein gutes Vorstellungsvermögen", sagt die gelernte Maskenbildnerin. Im Herbst 2019 gab Sauer den Bauauftrag an eine Südtiroler Firma und zog im März 2021 ein. 

"Ich freue mich jeden Tag darüber", sagt Sauer. Trotzdem sieht die Seniorin den Trend zum Tiny House auch kritisch: "Meinem Eindruck nach, gehen viele zu blauäugig an das Thema ran und sehen nicht, welche Schwierigkeiten und Kosten dahinterstecken. Ein Schnäppchen ist das nicht." Gerade bei den mobilen Tiny Houses, die eigentlich ein ungebundenes Leben versprechen, sei die Umsetzung schwierig. "Wenn man das irgendwo hinstellen möchte, braucht es einen eigenen Kanalanschluss für mehrere tausend Euro", sagt Sauer. 

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Foto: Paula Binz
Foto: Paula Binz

Eine schmale Treppe führt auf die Galerie zum Schlafzimmer.

Sie sieht nur zwei rentable Möglichkeiten: "Entweder, man macht es so wie ich, oder man zieht in eine Siedlung für Tiny Houses mit einer zentralen Wärme- und Wasserversorgung." Beide Varianten haben aber ebenfalls ihre Tücken. Durch die bauliche Verdichtung wird es immer weniger Grundstücke geben, auf denen ein Tiny House dazu passt, überlegt Sauer. Für die Siedlungen braucht es eine Genehmigung von der Stadt und geeignete Investoren. Auch, wenn der Traum vom Tiny House nicht so leicht in Erfüllung geht – für Inge Sauer wurde er zur Wirklichkeit. 

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