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Foto: Dagmar Hub
Foto: Dagmar Hub

Claudia Riese und Heinz Koch, die beiden Betreiber des Theaters Neu-Ulm, wünschen sich von der Politik mehr Fantasie bei der Bekämpfung der Pandemie.

Neu-Ulm
23.02.2021

Kampf gegen Corona: Warum Theaterbetreiber aus Neu-Ulm die Politik kritisieren

Von Dagmar Hub

Plus Die beiden Betreiber des Theaters Neu-Ulm, Claudia Riese und Heinz Koch, sind keine Verschwörungstheoretiker, aber einen guten Job machen die Pandemiebekämpfer ihrer Ansicht nach nicht.

Heinz Koch und Claudia Riese wollen nicht über ihre Situation in der Pandemie jammern. Das Schauspieler-Paar, private Betreiber des Theaters Neu-Ulm, betont: "Jeder ist zu 100 Prozent vom Lockdown betroffen." Die Auswirkungen seien zwar auf Kinder andere als auf Senioren, auf Selbstständige anders als auf abhängig Beschäftigte, aber die Pandemie habe Auswirkungen auf jeden, sagt Claudia Riese. Dennoch: Die absolute Unplanbarkeit der letzten vier Monate plagt das Paar, das das einzige professionelle Theater Neu-Ulms führt, schwer. "Weil wir keine Vorstellungen haben, darf ich keine Verträge abschließen." Und weil keiner weiß, wann das wieder anders werden könnte, stellen sich die beiden Theatermenschen viele Fragen.

Erst mal wird nur ein Schauspieler auf der Bühne in Neu-Ulm stehen

Wenn die Theater wieder öffnen dürfen, dann werden Ein- und Zwei-Personen-Stücke auf dem Spielplan stehen müssen, und die Zuschauer werden sich auf diese Stücke stürzen, davon ist Claudia Riese überzeugt. Was aber wird aus den Stücken der Weltliteratur, was wird insgesamt aus Stücken, die mehrere Schauspieler erfordern? Das Coronavirus wird nicht mehr verschwinden, davon ist das Paar überzeugt.

Was wird aus Schauspielern, Sängern und Tänzern werden, wenn große Ensembles sehr lange nicht zusammen auf die Bühne dürfen? Was wird aus Musikstudenten, die auf eine Zukunft in einem Orchester gehofft hatten, wenn große Orchester nicht spielen dürfen? Und was wird aus einer Gesellschaft, wenn Publikum das gemeinsame Lachen oder auch die Betroffenheit über ein Stück nicht mehr erleben kann, das gemeinsame Applaudieren, die Diskussionen nach einem Stück? Wie verändert sich eine solche Gesellschaft ohne den Katalysator Theater, der immer Anlass ist zu diskutieren? Fragen über Fragen stellen sich ihnen, berichtet Claudia Riese. Und Heinz Koch, der auch ein paar Semester Philosophiestudium hinter sich hat, beklagt, dass der Liberalismus in der Gegenwart verschrien ist, der die Autonomie des einzelnen Menschen fordert. Sein Thema der Studentenzeit, sagt er, war die Freiheit in der Gesellschaft.

Kaum jemand steckt sich freiwillig mit Corona an

Verschwörungstheoretiker sind sie beide gewiss nicht, betonen sie, und an die Regeln der Pandemiebekämpfung halten sich die beiden - 75 und knapp 60 Jahre alt - sorgfältig wie der Großteil der Menschen. "Es gibt doch kaum jemanden, der sich freiwillig anstecken wollte oder der andere anstecken will", bemerkt Claudia Riese. Was beide aber nicht verstehen können: "Dass von den entscheidenden Stellen so wenig Kreativität kommt."

In seiner Arbeit als Regisseur und Theatermacher lese er derzeit viel und suche Ein-Personen-Stücke in der Hoffnung auf eine Öffnung der Theater mit reduzierter Besucherzahl. "Aber dass ich nicht darf, was ich am liebsten tue und am besten kann, nämlich Personen authentisch verkörpern, das macht mir sehr viel aus." Auch Claudia Riese geht es so. "Wie wird es sich eines Tages anfühlen? Traue ich mich nach der langen Zeit überhaupt auf die Bühne?", fragt sie sich. "Entzugserscheinungen habe ich schon!"

Die Politik kommt so bräsig daher in der Corona-Bekämpfung

Vier Jahrzehnte Bühnenerfahrung hat Claudia Riese, und da war stets viel Kreativität gefordert. "Warum kommt die Politik so bräsig daher, warum sucht man nicht nach kreativen Lösungen, die ein Stück Normalität zulassen könnten?" Alles sei so bürokratisch-eingefahren, beklagt sie. "Man soll schlafen, essen, aufs Klo gehen und arbeiten. Das darf man - außer man arbeitet in einem Beruf, der vom Lockdown betroffen ist. Aber was macht es mit den Menschen, wenn etwas so Existenzielles wie die Kultur wegfällt?"

Sie hoffe sehr auf die Schnelltests, auf die Zulassung von Selbsttests, die eine Öffnung der Kultur mit beschränktem Publikum ermöglichen könnten. Die TU Berlin habe dieser Tage festgestellt, dass Theater - wenn nur etwa 30 Prozent der Plätze besetzt sind - ein sehr geringes Risiko einer Ansteckung über Aerosole haben. "Genau das haben wir gemacht, nur 30 Prozent der Plätze besetzt." Bis die Menschen sich vielleicht irgendwann wieder nebeneinander zu setzen wagen, werde sowieso noch viel Zeit vergehen, prognostiziert Claudia Riese. Fragen hat sie viele. Das Wichtigste aber wäre Planungssicherheit, sagt sie. Das vor allem anderen.

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