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Foto: Annette Riedl, dpa
Foto: Annette Riedl, dpa

Ein leicht ratloser SPD-Chef Lars Klingbeil versuchte am Tag eins nach der Wahl in Schleswig-Holstein, das Debakel für seine Partei in Worte zu kleiden.

Wahl in Schleswig-Holstein
09.05.2022

CDU gewinnt, SPD verliert – und schon geht der Blick nach Nordrhein-Westfalen

Von Stefan Lange, Christian Grimm

Einen Tag nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein versuchen sich die Vorsitzenden der großen Parteien in Erklärungen. Es sind auch nachdenkliche Töne zu hören.

Es war eine Wahlnachlese mit vertauschten Rollen. Im Willy-Brandt-Haus wähnten sich Beobachter bei der Opposition. Die SPD-Zentrale im Stadtteil Kreuzberg stand am Montag noch unter dem Schock der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Die Sozialdemokraten hatten dort übel verloren, rutschten um 11,3 Punkte auf 16 Prozent ab. Im Konrad-Adenauer-Haus hingegen fühlte es sich bei der CDU ein wenig so an wie zu den glorreichen Tagen, als Angela Merkel noch Kanzlerin, CDU-Chefin und Stimmgarantin war. Mehr als 43 Prozent konnte ihr Spitzenkandidat Daniel Günther in Kiel auf sich vereinen. Er bleibt Ministerpräsident und die Christdemokraten hoffen nun, dass sein Sieg der Partei Flügel verleiht und sie auch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am nächsten Sonntag einen Höhenflug erlebt.

SPD-Chef Lars Klingbeil nutzte bei seiner Betrachtung der herben Wahlschlappe an der Küste das in solchen Fällen beliebte Niederlagenschema „Haken dran und nach vorne schauen“. Ministerpräsident Günther sei unschlagbar gewesen, die Sozialdemokraten seien mit ihren guten Anliegen nicht durchgekommen, obwohl alle bravourös gekämpft hätten. Was man eben so sagt, wenn es nichts zu beschönigen gibt.

„Zur SPD dazu gehört auch, dass wir uns von solchen Rückschlägen nicht aus dem Konzept bringen lassen“, sagte Klingbeil im Willy-Brandt-Haus. Der Vorsitzende richtete seinen Blick rasch auf die Wahl am Sonntag im ungleich größeren und bedeutungsvolleren Bundesland Nordrhein-Westfalen. Früher war NRW mit der Herzkammer Ruhrgebiet das Stammland der Genossen. Vor fünf Jahren verloren sie es an die CDU unter Armin Laschet, der später Kanzler werden wollte und scheiterte. Die Macht in Düsseldorf gab er im Herbst an seinen Parteifreund Hendrik Wüst weiter. Diesen Wüst hält die SPD für schlagbar. „Wir haben einen Zweikampf zwischen Herrn Wüst und Herrn Kutschaty“, meinte Klingbeil.

Wüst blickt dem Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen selbstbewusst entgegen

Wüst stand in der CDU-Zentrale bei der üblichen Pressekonferenz mit auf dem Podium und überstrahlte den Wahlsieger Günther um einiges. Ihm hat dessen Sieg weiteres Selbstbewusstsein gegeben, er könnte nach dem Kieler das nächste CDU-Nachwuchstalent sein, das sich für höhere Aufgaben in der Bundespolitik empfiehlt. Dort hat zwar Friedrich Merz das Sagen, sein Machtanspruch ist ungebrochen. Wer dem Sauerländer jedoch genau zuhörte, konnte merken, dass die CDU bei der nächsten Bundestagswahl nicht zwingend mit einem Spitzenkandidaten Merz losmarschiert.

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Foto: Friso Gentsch, dpa
Foto: Friso Gentsch, dpa

So sehen Sieger aus: Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU

Merz lobte auffallend oft, dass die SH-CDU „eine sehr breite Aufstellung“ ihrer Kandidatinnen und Kandidaten hinbekommen habe. Mehr Frauen zum Beispiel, mehr jüngere Bewerberinnen und Bewerber. Bei der Sitzung der Parteispitze habe das breiten Raum eingenommen. „Wir haben das Thema Diversität in der personellen Darstellung in der CDU diskutiert“, erklärte Merz. Er selbst ist 66 Jahre alt, ob da eine Kanzlerkandidatur überhaupt noch infrage käme, wollte der Sauerländer am Montag zwar nicht direkt beantworten. Ins Grübeln dürfte er gleichwohl schon gekommen sein.

Bei der SPD ist viel Druck auf dem Kessel

Merz wertete die Wahl in Schleswig-Holstein zwar auch als Rückenwind für die Bundespartei. Übertreiben wollte es der Parteivorsitzende jedoch nicht. „Wir sind hier nicht in der Regierung, sondern in der Opposition“, betonte Merz, der sich mit Angriffen auf Olaf Scholz auffallend zurückhielt. Er würde sich „nicht verschließen“, wenn der Kanzler ihn zu Gesprächen an den Kabinettstisch bitten würde, sagte Merz und ergänzte: „Aber das läuft hier in Berlin erkennbar anders, als es in Schleswig-Holstein gelaufen ist.“

Der CDU-Vorsitzende Merz weiß, dass er nicht noch Öl ins Feuer der SPD gießen muss. Der Druck auf dem Kessel ist bei den Sozialdemokraten ohnehin schon hoch genug. Schließlich hat der Kanzler die nahe Zukunft bereits zum „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ erklärt, was sich nach dem Wahlausgang in Schleswig-Holstein jetzt als ein wenig verfrüht erweist. Scholz wird sich auch fragen, ob es wirklich richtig war, die Parteiführung anderen zu überlassen.

Der Ausgang in NRW bleibt spannend

„Thomas Kutschaty wird der Ministerpräsident in NRW sein, der den Zugang zum Kanzleramt hat“, prophezeite Parteichef Klingbeil mit Blick auf den SPD-Spitzenkandidaten und wirkte schon fast ein wenig verzweifelt. Denn genau das hat sich nach Einschätzung vieler Beobachter beim Wahlkampf im Norden als Problem erwiesen. Scholz kann eben immer nur als Regierungschef auftreten. Er muss Rücksicht auf die Ampel-Partner nehmen, das schränkt seinen Spielraum deutlich ein.

Ändern kann die SPD diesen Zustand bis zum Wahlsonntag nicht mehr. Die entscheidende Frage für Scholz und die Sozialdemokraten lautet daher, wie viele der ehemaligen SPD-Wähler zu ihrer angestammten Partei zurückkehren – trotz eines wenig glanzvollen Spitzenkandidaten Kutschaty und eines Kanzlers, der zuletzt in der Rangfolge hinter seine Minister von den Grünen zurückgefallen ist.

Noch ist NRW für die SPD aber nicht verloren. Zwei Prozentpunkte notierte sie in den letzten Umfragen hinter der CDU, die auf etwa 30 Prozent kommt. Das ist wenig eindeutig und es besteht durchaus die Chance, dass bei der nächsten Wahlnachlese die Rollen wieder richtig verteilt sind.