Familie, ein raues Klima, Strukturen: Eine Studie legt offen, warum Frauen schwer an die Macht kommen. Vier Politikerinnen über Grenzen, Herausforderungen und Erfolg.
„Ursula, Politik ist unweiblich.“ Mit diesem Satz nervte eine Lehrerin Ursula Männle, wenn sie „zu politische“ Aufsätze schrieb. Um die Lehrerin zu ärgern, trat Männle noch als Schülerin in die CSU ein. 1964 war das – und der Beginn einer großen Politikerinnenkarriere. Seitdem hat sich in der Gesellschaft einiges verändert - anderes nicht. Manche Menschen tun sich immer noch mit „zu politischen“ Frauen schwer, Politikerinnen bekommen oft mehr Gegenwind als ihre männlichen Kollegen. Woran das liegt? Vier Frauen erzählen von ihren Erfahrungen.
Ursula Männle, CSU
Während ihres Studiums war sie im Ring Christlich-Demokratischer Studenten, einem politischen Studentenverband, stieg dort innerhalb von zwei Jahren zur Landesvorsitzenden auf. „Am Anfang war es wahnsinnig einfach, weil ich eine Exotin war“, erzählt sie heute. Der Frauenanteil in der Union lag bei acht Prozent. „Man ist eher als schmückendes Beiwerk gesehen worden, nicht als jemand, der tatsächlich mitmacht.“ In dem Moment, in dem sie gegen Männer kandidiert habe, sei der Ton ihr gegenüber härter geworden. Trotzdem machte Männle weiter. 1973 bis 1977 war sie als erste Frau stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union. Sie kam in den Bundestag, später arbeitete sie im Bayerischen Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, dann als Landtagsabgeordnete.
Männle litt darunter, von männlichen Kollegen nicht ernstgenommen zu werden
Bewusst entschied sich Männle, nicht zu heiraten. „Damals war es so, dass man Familie und Beruf schwer verbinden konnte und ich wollte ja auch noch Politik“, erklärt sie. Sie konzentrierte sich auf die Familienpolitik. Dort erschwerte ihr das veraltete Frauenbild in der männerdominierten Politik die Arbeit. Wenn es um Vergewaltigung in der Ehe ging, sagten manche Kollegen „Wofür habe ich denn sonst geheiratet?“. Wenn sie Finanzierung für Frauenhäuser wollte, hieß es, die Frau werde es schon verdient haben. Bei einem Stammtisch sagte ihr einer, sie werde schon noch einen Mann finden, dann müsse sie nicht mehr zu solchen Veranstaltungen kommen. „Ich habe darunter gelitten, nicht ernst genommen zu werden“, sagt sie heute. Viele ihrer Vorhaben brachte sie am Ende trotz allen Widerstands durch. Männle sagt, es habe sich gelohnt zu kämpfen. Aber sie ist besorgt, dass junge Frauen die Errungenschaften nicht genug verteidigen. „Man kann die Politik doch nicht den Männern überlassen.“
Bettina Stief, Stadträtin in Aichach (Freie Wählergemeinschaft)
Tatsächlich ist der Kampf für Gleichberechtigung in der Politik noch nicht vorbei. Im neuen Bundestag sind nur 35 Prozent Frauen, im bayerischen Landtag sind es 27 Prozent. Auf neun Bürgermeister kommt eine Bürgermeisterin. In Gemeinde- und Stadträten sitzen nur wenige Frauen. Eine von ihnen ist Bettina Stief. In den ersten drei Monaten dachte sie ans Aufgeben. „Ich war total blauäugig.“
Die 48-Jährige ist seit den Kommunalwahlen 2020 Stadträtin der Freien Wählergemeinschaft (FWG) in Aichach. Harsche Kritik, Gegenwind: Das Klima war anders, als sie es erwartet hatte. „Aber nicht, weil ich eine Frau bin. Das geht jedem so, denke ich.“ Sie habe sich schon immer für Politik interessiert, doch ihre Familie hatte zunächst Vorrang gehabt. Immer wieder besuchte Stief öffentliche Fraktionssitzungen der FWG. In den Diskussionen merkte sie: „Das ist voll meins.“
Warum Frauen vor Politik zurückschrecken: Diese Gründe nennt eine Studie
Und doch: „Als ich das Ergebnis nach der Wahl erfahren habe, konnte ich erst einmal eine Nacht nicht schlafen.“ Ihre Mutter hatte ihr abgeraten, sich für den Stadtrat aufstellen zu lassen. „Sie sagte, was ist mit deinem Kind, deinem Mann, deinem Haushalt?“. Viele Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Ortschaft hätten Stief gedrängt, sich zu engagieren – und sie hatte Lust. Dazu brauche es Frauen in den Gremien, wie sie findet. „Sie tun der Gruppe gut, sehen Dinge anders, gerade bei Sozialthemen – und sie haben öfters als Männer einen Plan B.“ Was sich ändern müsse, damit mehr Frauen in die Politik gingen? Stief fällt nichts ein. Eine Frauenquote sei nicht nötig, als Frau habe sie es nicht automatisch schwerer: „Entscheidend sind Interesse und Zeit.“ Manchmal nähmen die Sitzungen bis zu sieben Stunden wöchentlich in Anspruch. Stief, die als Standortleiterin bei der Deutschen Post tätig ist, sagt: „Vielen Frauen ist ihre Zeit zu kostbar, andere interessieren sich nicht. Aber wenn’s keiner macht, schauen wir auch blöd.“
Die Europäische Akademie für Frauen hat in einer Studie nach Gründen gesucht, weswegen Frauen bis heute in der Politik so wenig vertreten sind. Sie befragte 800 Politikerinnen und Politiker. Die gaben viele Gründe an: Die Art der politischen Diskussion schrecke Frauen ab. Themen, für die sich Frauen einsetzen, würden weniger ernst genommen. Am häufigsten nannten die Befragen als Grund, dass viele politische Termine abends oder am Wochenende stattfinden. Frauen übernehmen meist die Erziehung der Kinder, was die politische Arbeit erschwert. Kinder und Politik, geht das?
Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag
Im Telefonat mit Katharina Schulze ist ihr Baby im Hintergrund zu hören, es brabbelt leise. Die Fraktionschefin der Grünen war in den vergangenen Wochen viel mit Kind im Landtag unterwegs. „Viele finden es super. Aber ich musste mir auch schon einiges anhören, wie schlimm das für mein Kind sei, dass ich es mitnehme“, sagt die 36-Jährige. „Das ist natürlich Quatsch.“ Gerade in der Spitzenpolitik ließen sich Familie und Beruf nur schwer vereinen. Abgeordnete üben ein freies Mandat aus, deshalb gebe es keine Elternzeit. Pausieren kommt für Schulze aber nicht in Frage.
Viele Frauen ließen sich aber von Anfeindungen abschrecken. Gerade jüngeren Frauen werde schnell die Kompetenz abgesprochen. „Für manche Männer ist es immer noch krass, wenn eine Frau Macht beansprucht – und sie lassen es dann auch an ihr aus.“ Frauen würden anders als Männer angegangen – viel sexualisierter. Dass sich das manche nicht antun wollen würden, versteht Schulze. „Aber es kann doch nicht sein, dass sich wegen der Hetze Frauen aus der Politik zurückziehen.“ Sie habe ihren eigenen Umgang mit Hass entwickelt.
„Am Anfang hat es mich oft getroffen. Aber ich habe jedes Recht der Welt wie andere auch, Politik zu machen und meine Meinung zu sagen.“ Strafrechtlich Relevantes zeige sie an. „Ansonsten gilt: Ihr kriegt mich nicht klein.“ Frauen sollten sich den Raum nehmen und Macht beanspruchen, sagt Schulze. „Wenn ich dabei festgefahrene und veraltete männliche Strukturen durcheinander wirble, mache ich wohl etwas richtig.“
Anna Kassautzki (SPD), Bundestagsabgeordnete
Bei der EAF-Studie geben 77 Prozent der Politikerinnen an, Parteiarbeit müsse familienfreundlicher gestaltet werden, um mehr Frauen in die Politik zu bekommen. 72 Prozent sprachen sich für eine Frauenquote aus. Zu den Befürwortern gehört auch Anna Kassautzki. „Eine Frauenquote heißt ja nicht, dass inkompetente Frauen hinkommen und kompetente Männer wegkommen“, sagt sie. Stattdessen gebe man kompetenten Frauen eine Chance. Kassautzki ist 27 Jahre alt und seit ein paar Wochen Bundestagsabgeordnete. Die SPD-Politikerin sorgte bundesweit für Schlagzeilen, weil sie jetzt den Wahlkreis vertritt, der zuvor 30 Jahre lang Angela Merkel gewählt hatte.
Kassautzki vertritt den Wahlkreis, der 30 Jahre lang Angela Merkel gewählt hatte
Das erste Mal wurde Merkel also drei Jahre vor Kassautzkis Geburt gewählt. Mit der SPD-Politikerin kommt eine neue Generation an die Macht. Sie war bereits mit 13 politisch aktiv, setzte sich gegen Neonazis ein. 2014 trat sie in die SPD ein, ist seitdem in deren Jugendorganisation, den Jusos, aktiv. Sie war stellvertretende Landesvorsitzende, Juso-Kreisvorsitzende und jetzt auch noch Bundestagsabgeordnete. Für Frauen sei es heute leichter als früher, sagt sie. „Aber wir haben einen weiten Weg vor uns.“ Oft hat Kassautzki erlebt, dass sie nicht ernst genommen wurde. Weil sie jung und weiblich ist. Sie sei belächelt worden, habe die Welt erklärt bekommen. Dem setzte sie Inhalte entgegen, vernetzte sich – vor allem mit anderen Frauen. „Es ist wichtig, dass man sich gegenseitig pusht und stärkt“, sagt sie.
Damit mehr Frauen in die Politik gehen, müsse sich gesamtgesellschaftlich etwas ändern – Frauen müssten sich genauso viel zutrauen wie Männer. „Ich kann allen Frauen nur dazu raten, dass sie sich einbringen, engagieren, nicht klein kriegen lassen“, sagt sie.