Was haben Horscaningun, Holzhusun, Erilingu und Reistingun gemein – außer dass sie recht eigentümlich klingen? Alle vier Namen tauchen erstmals in einer Schenkungsurkunde von 776 auf. Damit ist verbürgt, dass Herrsching, Holzhausen, Erling und Raisting schon zu Zeiten Karls des Großen existierten. Diese 1249 Jahre alte Urkunde, in der Edelherr Isanhart aus dem Geschlecht der Huosi seinen Besitz rund um den Ammersee ans Kloster Schlehdorf verschenkt, zählt zu den äußerst seltenen Schriftzeugnissen jener Zeit, dem Frühmittelalter, das Historiker genau aus diesem Grund das „Dunkle Mittelalter“ nennen. Außer in den Klöstern war kaum jemand des Lesen und Schreibens mächtig.
Während die „Traditio Isanharti“ Anlass ist für die 1250-Jahr-Feiern, die die Orte für 2026 planen, betont Friedrike Hellerer, Starnbergs Landkreisarchivarin: „Wir wissen dank der frühchristlichen und römischen Fundstücke, dass die Gegend schon viel früher besiedelt war. Das keltische Grab aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert, das kürzlich in Herrsching gefunden wurde, belegt, dass hier schon ein Jahrtausend zuvor Menschen lebten.“ In Holzhausen hat es noch frühere Zeugnisse gegeben: vier Grabhügel aus der Hallstattzeit (750 bis 450 vor Christus). Diese sind im Zuge der Flurbereinigung jedoch eingeebnet worden. Dennoch: Die erste urkundliche Erwähnung eines Ortes gilt unter Historikern als „seine Geburtsstunde“, hält Hellerer fest.
Der Fund von vier Grabhügeln in Holzhausen zeugen davon, dass in der Region schon in der Hallstattzeit Menschen lebten
Das Original der Schenkungsurkunde, die der Schlehdorfer Abt Atto in Latein verfasst hat und die Isanhart, sein Sohn Kaganhart und weitere Adlige bezeugten, ist nicht überliefert. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befindet sich aber eine frühe Abschrift der „Traditio“. Sie stammt von Mönch Cozroh (von 824 bis 848 in der Freisinger Schreibschule tätig) und nennt die Details der Schenkung: So hat Isanhart in Herrsching „alles, was er dort hatte ganz und gar, nichts ausgenommen, was dazugehört an bebautem und unbebautem Land, an Wiesen, Weiden, Waldungen, stehenden und fließenden Gewässern, an Gesinde im Haus und auf den Villen“ dem Kloster am Kochelsee gestiftet – sowie seinen sämtlichen Grundbesitz in Holzhausen und in Raisting „die Hälfte von allem, was ich dort besitze“ sowie auch einen Großteil seines Eigentums in Erling.
Zu jener Zeit habe der Andechser Ortsteil aus zwei großen Höfen sowie einer Eigenkirche bestanden, wie Karl Strauß, Vorsitzender des Heimatvereins, zu berichten weiß. Diese Urhöfe, die man im Ort unter den Hausnamen „Huber“ und „Wolfbauer“, beziehungsweise „Kramer“ kennt, stehen noch immer in der Andechser Straße 10 und 11.

Im „Huberhof“, der bis ins Jahr 1978 Viehzucht betrieb, lebt heute nur noch Rita Frey. 1950 geboren in dem geschichtsträchtigen Haus, das viele Jahrhunderte dem Kloster Polling gehörte. Auch gegenüber im Kramerhof (hier hat’s mal einen Kramerladen gegeben) wird keine Landwirtschaft mehr betrieben und das Haus ist auch nicht mehr das, das Isanhart einst verschenkte, sondern ein neueres von 1845, in dem heute die Nachkommen leben.
Dass Adlige ihren Besitz an Klöster verschenkten, war im Mittelalter im Übrigen nichts Unübliches. Denn diese Besitztümer konnten später wieder als Lehen an einen Nachkommen rückübertragen werden – und zwar ungeteilt. Damit vermied man die sonst fällige Erbteilung und den allmählichen Verlust des adligen Vermögens. Ob dieser Deal auch im Falle Isanharts glückte, ist nicht überliefert. „Ein weiterer Beweggrund für die Stiftung könnte sein, dass der Edelherr auf diese Weise versucht hat, sein eigenes Seelenheil zu befördern und ein Stückchen näher an den Himmel heranzurücken“, vermutet Friedrike Hellerer.
Die Landschaft in der Region war imFrühmittelalter nur spärlich besiedelt
Was aber bedeutete eine solche Stiftung für die Menschen selbst, die immerhin gleich mit verschenkt wurden? An ihrem mühevollen Leben wird sich nicht viel geändert haben, auch wenn der Spruch aus dem Barock „Unterm Krummstab ist gut leben“ vermuten lässt, dass geistlichen Herren zu dienen angenehmer gewesen sein dürfte als Vertretern des Adels. Joachim Heberlein, Stadtarchivar Weilheim, sagt: „Diese waren in ihrer Herrschaftsausübung und Abgabeneintreibung oft moderater als die weltlichen. Inwieweit dies für die Mitte des 8. Jahrhunderts gelte, ließe sich aufgrund der Quellenlage nicht sagen.

Glaubt man hingegen den Schilderungen Bischofs Arbeo von Freising, muss das Leben der Bajuwaren nachgerade paradiesisch gewesen sein: Bayern sei ein großartiges Land, lieblich anzusehen, reich an Wald und Wein, Eisen, Gold, Silber und Purpur. Die Erde sei fruchtbar und reich an Getreide, der Boden bedeckt mit Rinder- und Schafherden. Fische, Honig und Salz – alles in Hülle und Fülle vorhanden. Klingt wie eine neuzeitliche Marketingbroschüre eines Tourismusverbands? Die Realität der meisten Ammersee-Anrainer wird unromantischer ausgesehen haben. Wie die Mehrheit der bayerischen Bevölkerung zu der Zeit lebten sie als Selbstversorger und als Bauern. Ein Großteil davon als Unfreie, also tatsächlich als Eigentum ihrer Herren. Doch auch, wer als „Freier“ für sein Auskommen sorgen konnte, tat dies oft in Abhängigkeit von einem Grundherrn, dessen Ländereien er bestellen durfte. Dies jedoch nur gegen Dienstleistungen und die Zahlung von Abgaben. Womit klar ist, die Steuerlast ist keine Geißel der Neuzeit, sondern drückte schon unsere Urahnen zu Zeiten Isanharts.
Viele Menschen leiden im Frühmittelalter unter Vitamin-C-Mangel
Die Lebenswirklichkeit im Frühmittelalter: Die Bevölkerung, die in der Spätantike durch Barbarenüberfälle, Pest, Hunger und Klimaverschlechterung deutlich zurückgegangen war, wuchs in unseren Gefilden zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert zwar wieder an, wie Roman Deutinger in „Abseits der großen Bühnen“ schreibt, was für eine relativ gute Versorgungslage im Frühmittelalter spreche. Dennoch war die Landschaft, in der noch Wälder und Moore dominierten, nur spärlich mit Dörfern besiedelt, kaum eins mit mehr als einem Dutzend Höfen. Städte gab es so gut wie keine. Die römischen Gründungen Augsburg und Salzburg lagen in weiter Ferne. Handel fand auch deswegen fast nicht statt, weil kaum mehr erzeugt wurde, als die Bauern für sich und die Abgaben an den Klerus und den Adel brauchten.
„Dennoch sind die Menschen mit bis zu 1,80 Metern größer und mit einem Durchschnittsalter von 40 bis 60 Jahren älter geworden, als man gemeinhin annimmt“, erklärt Friedrike Hellerer, „die Ausgrabungsfunde aus jener Zeit zeigen, dass viele unter Vitamin-C-Mangel litten und rachitisch waren, häufig hatten sie schlechte Zähne. Doch überlebten sie so manche Verletzung an Gliedern und Kopf, was für medizinisches Wissen spricht sowie für einen guten Zusammenhalt in der Gruppe.“
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