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Ein fatales Signal

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Ein fatales Signal

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    Die Bühne leer bis auf die Hintergrundleinwand mit Wirtshausambiente im Stil des vorletzten Jahrhunderts. Davor ein Tisch und ein Stuhl. Von hinten aus dem Zuschauerraum peitschen Schläge. Mit rauer Stimme verkündet einer, er leide am „Schmerz in der Seele, am Hunger“. Er sieht Abgründe und Unheil über die Menschen in seinem Dorf Unterbergen kommen. Neun Geschwister habe er, Martin Brunnhuber. Für ihn, den Kleinsten, blieben beim Essen nie mehr als Krümel übrig. Den Hunger spürt er heut noch. Nach Brot, Bier und Berührung. Im Dorf-Ranking stand die Familie am unteren Ende der sozialen Skala, deswegen der Hass. Er hasste vor allem den Reichert, der mit Juden Geschäfte machte. Schließlich bestätigten auch die Dorfgespräche immer wieder, dass Juden mit dem Blut von Christen handelten.

    Abgang. Zurück kommt Ludwig Bach, ein gut gelaunter Juwelier im Frack aus Kriegshaber. Gebildet und gut riechend. Er will im Wirtshaus seine Waren anbieten und erzählt fröhlich von seiner Kindheit in der Jeschiwa, auch vom Vater, der ein Mädchen vergewaltigt haben soll, und plötzlich aus seinem Leben verschwunden war. Nicht nur von Brunnhuber im Wirtshaus – auch aus Kriegshaber kennt er Beschimpfungen, er sei doch eh „ein Jud“. Bach träumt von Jerusalem und spart für die Reise dorthin.

    Die beiden sind das Duo aus „Bluatlech“, dem Einakter von Martina Drexler, der am Sonntag im Abraxas Premiere hatte. Wie im richtigen Leben, 1862 in Unterbergen bei Mering, hat Brunnhuber den Juwelier bereits erstochen. Das Stück ist eine Rückblende, der Mord ist längst passiert, der Mörder überführt und nach Jahren im Kaisheimer Gefängnis an Typhus gestorben. Drexler schrieb die Tragödie nach den Recherchen des Augsburger Historikers Yehuda Shenef und konzipierte es als Ein-Mann-Stück. Ein Darsteller also für Opfer und Täter. Der Schauspieler Simon Nagy performte über 70 Minuten auf höchstem Niveau. Beide Figuren waren in seinem Spiel scharf getrennt: der Täter mit brutaler, tiefer Stimme auf eine pubertäre Art aggressiv, selbstmitleidig und egozentrisch. Der andere – schon im Skript etwas flacher ausgearbeitet – fröhlich, den Menschen zugewandt, mit Zielen für die Zukunft.

    Mörder und Opfer in einem. Die beiden verschmelzen. Darf man das oder relativiert dieser Kunstgriff Schuld und Verantwortlichkeit des Mörders für seine Taten? Das Stöhnen Brunnhubers über seine schwere Kindheit, Missernten und Hunger im Dorf verdrängen das Opfer, das ja schon sein Leben verloren hat, ein weiteres Mal. Die Zeit und der Platz für den Mörder gehen auf Kosten Bachs. Das entwertet sogar posthum seine Identität.

    Die Autorin erklärt: „Fremdenhass und Antisemitismus entstehen immer aus Selbsthass. Die Geschichten beider Protagonisten gehören zusammen.“ Dass das Opfer aber selbst keine Geschichte mehr haben wird, macht diesen Ansatz nicht nur unlogisch. Das Stück wird durch diesen Fehlgriff auch seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, nämlich auf die lange Tradition des Antisemitismus in der Region hinzuweisen. Dass der Täter hier zum Opfer wird, erlöst ihn von seiner Verantwortung. Das ist ein fatales Signal an aktuelle Strömungen, die immer noch und wieder auf Juden projizieren, was die Welt an Schlechtem hergibt.

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