
Der Augsburger Plärrer diente Bertolt Brecht als Vorbild

Plus Schon früh schwebte Berthold Brecht ein Theater vor, das mit den Konventionen brach. Sein Publikum sollte zuschauen wie bei einem Sportfest - seine Inspiration war Augsburg.
Bertolt Brecht war erst Anfang zwanzig, als er in der sozialistischen Augsburger Zeitung Volkswille zwischen Oktober 1919 und Januar 1921 eine Reihe von Beiträgen veröffentlichte. Es waren vornehmlich Kritiken, bezogen auf Aufführungen des Augsburger Stadttheaters, in denen er bereits seine Unzufriedenheit mit dem traditionellen Theater skizzierte und Gedanken andeutete, wie es modernisiert werden könnte.
Manche dieser frühen Ideen entwickelte er später in seiner Theorie eines Epischen Theaters weiter. Mit den Zeitungsartikeln wollte sich der noch unbekannte Brecht als Autor profilieren: Sie waren exzellent geschrieben, witzig und oft polemisch. In einem griff er eine Augsburger Schauspielerin so heftig an, dass gegen ihn Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt wurde.
Bertold Brecht: „ins Theater gehen wie zu einem Sportfest“.
Einer der bekanntesten Beiträge ist die Rezension einer Inszenierung von Schillers „Don Carlos“. Sie erschien am 15. April 1920 im Volkswillen, dessen weltweit einzig komplett erhaltenes Exemplar im Besitz der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg ist. Er habe, schrieb Brecht, Schillers Stück immer geliebt, doch lese er zurzeit den Roman „Der Sumpf“ des Amerikaners Upton Sinclair – und vor dieser Geschichte eines Arbeiters, „der in den Schlachthöfen Chicagos zu Tode gehungert wird“, nimmt sich Schillers idealistischer Kampf um „Gedankenfreiheit“ im „Don Carlos“ seltsam weltfremd aus. Die Kunst eines Upton Sinclair mit ihrem sozialen Impetus erscheine ihm da zeitgemäßer.
Der Beitrag entstand in etwa zeitgleich mit zwei Essays Brechts: „Das Theater als Sport“ und „Das Theater als sportliche Veranstaltung“. In diesen Texten, die bis heute kaum zur Kenntnis genommen wurden, kritisiert Brecht die viel zu ehrfürchtige Haltung, mit der das Publikum das Theater besuche: „Wenn man ins Theater geht wie in die Kirche oder den Gerichtssaal oder in die Schule“, sei das falsch. Man müsse vielmehr „ins Theater gehen wie zu einem Sportfest“.
Augsburger Plärrer diente Bertolt Brecht als Vorbild
Letztlich seien, schreibt Brecht, Dramen nichts anderes als „feinere Raufereien. Sie gehen mit Worten vor sich.“ Der Gedanke des grundsätzlich Dynamischen in Brechts Theaterarbeit klingt hier an, des Veränderbaren, des „Work in Progress“. Hatte Brecht in seinem frühen Stück „Trommeln in der Nacht“ (1919) bereits – wie der Brechtforscher Jan Knopf schon 1984 nachwies – wichtige Elemente des Epischen Theaters zur Anwendung gebracht, so handelt es sich bei den Essays um zwei der frühesten Texte Brechts mit theatertheoretischen Überlegungen.
Aus welchen Quellen aber stammt Brechts merkwürdige und seinerzeit höchst befremdlich wirkende Idee, das gutbürgerliche Theater in Analogie zu sportlichen Wettkämpfen zu betrachten, die damals eher als billige Volksbelustigungen betrachtet wurden? War das ein origineller Einfall? Gab es Anregungen, auf die er zurückgriff?
Brechts Inspiration in Augsburg: das Sporttheater
Zurück zum Volkswillen und Brechts Besprechung von „Don Carlos“: Gleich über seiner Theaterkritik, deren Abdruck der junge Autor sicher sehr genau studiert hat, wurde am 15. April 1920 eine Meldung publiziert, die „Original-Sport-Theater auf dem Plärrer!“ anpreist.
Die Meldung wirbt für „das Sporttheater“, das von Angehörigen der „Augsburger Kraftsportvereine“ präsentiert wird. Sie fordert zum Besuch des von Brecht so geliebten Augsburger Volksfests auf. In dem kleinen Text ist zudem ausdrücklich von Boxkämpfen die Rede, die Brecht später in seinen dramaturgischen Überlegungen zu einer Vergleichsgröße seiner Theaterarbeit macht.
Brecht sah die Chance für ein Theater mit "aktiven Publikum"
Brecht nimmt diese Werbung für das „Sporttheater“ zum Vorbild und erklärt sie zur Basis seiner Vorstellung von Theater: Solche offenen, in direkter Brutalität ausgefochtenen Wettkämpfe sollen auch seine Stücke vorführen, begleitet von einem „aktiven Publikum“. So kündigt er den Zuschauern später sein Stück „Im Dickicht der Städte“ mit den Worten an: „Sie betrachten den unerklärlichen Ringkampf zweier Menschen (...) Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie ihr Interesse auf das Finish.“
Die „Materialverwertung“ war immer ein Grundprinzip des Schaffens von Bertolt Brecht. Er war nie zimperlich, Anregungen selbst aus seltsamsten Quellen aufzugreifen und in seine Arbeit zu integrieren. So war ihm der Plärrer weit mehr als ein Schiffschaukelvergnügen, sondern zugleich eine Art von „Beobachtungsstation“, ein Labor, in dem er etwas über die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Miteinanders zu lernen versuchte. Die zu erkennen ist die Voraussetzung jeglicher Veränderbarkeit. Später beschrieb er seine Forderung nach einem aktiven, am Bühnengeschehen partizipierenden Zuschauer und nach einem dynamisierten neuen Theater in zahlreichen Abhandlungen bis ins Kleinste – und veränderte so die Vorstellungen von den Möglichkeiten des Theaters weltweit.
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