Vorhang auf? Das Publikum sitzt schon, Scheinwerfer bestrahlen die Bühne und ein softer Popsong klingelt aus den Boxen. Und dann – fällt das Licht aus. Die Platte springt. Die Musik geht aus und vorne am Bühnenrand eine Tür auf. „Sorry!“, sagt der junge Mann, der herein stolpert und jetzt ins Publikum blickt wie ein Reh ins Autoscheinwerferlicht: „Sie sind ja alle schon da ...“ Entschuldigende Gesten, schüchterne Erklärung: Er sei gekommen, um die Show hier zu retten. Die Solistin des Abends sei erkrankt. Der Chor des hiesigen Theaters streike. Und das ist sein Einsatz: Theater bundesweit buchen diesen Mann als Einspringer, wenn das Chaos im Ensemble einschlägt. Stolze 100 Stücke hat er im Repertoire, darunter 50 Klassiker auswendig im Kopf. So weit, so chaotisch ... aber erleben die Zuschauer hier eine Vollkatastrophe? Ja, aber eine geplante.
Ist natürlich alles nur Show. Genauer gesagt: „Showtime“, so heißt das Solo-Stück um einen Schauspieler, das jetzt am Staatstheater Augsburg seine Premiere erlebt hat. Dieser Monolog von Autor Felix Krakau erzählt vom Drama im Theater und vom Drama im wahren Leben. Großer Auftritt: Schauspieler Jannis Roth. Er spielt den Monolog mutterseelenallein, als Held auf der Bühne – im schummrigen Keller der Soho Stage. In einem Club, wo die Show sonst im Glitzerlicht der Discokugel schimmert.
Jannis Roth spielt den Universalschauspieler auf der Soho Stage
Der junge Mann erklärt seine Rolle im Theaterbetrieb: „Ich bin der Notnagel.“ Oder auch: „der Ersatzreifen“. Das Rettungsboot, „wenn die Titanic schon untergegangen ist“. Und wie er seine Berufsbeschreibung so in Metaphern verpackt, spürt man schon die Lust am Sprachspiel mit dem Spiel, die in diesem Monolog steckt. Etwas nüchterner stellt er sich dann auch noch vor: David aus Kassel. Von Beruf: Universalschauspieler. Über alle Autobahnen jagt der junge, blonde, schlanke Mann, jetzt hier Augsburg, später am Abend noch Rüsselsheim. In seiner Zwei-Zimmerwohnung wartet er auf den nächsten Anruf und draußen schon das Taxi.
Davon erzählt dieser David auch gerne mal in Heldenpose wie ein Feuerwehrmann: Kurze Kostprobe? Er spielt Kleist‘ „Zerbrochenen Krug“ an und rekelt sich quer auf einem Stuhl über die Bühne. Dann aber blitzt die blanke Unsicherheit aus seinen Augen, wenn er zum Publikum spricht: „Bestimmt seid ihr jetzt enttäuscht“, sagt er. „Ich weiß, ich bin nicht das, was ihr erwartet habt.“ Denn was ist das für ein Leben, wenn man immer dann glänzen muss, sobald alles andere scheitert? Wenn die eigentliche Hoffnung schon geplatzt ist? Dementsprechend die Kulissen im Club: Staubdecken verhüllen Blumen, Säulen, Sesseln, Requisite.
Der Autor Felix Krakau – ein junger Dramatiker, geboren 1990 in Hamburg – will in seinem Monolog damit bezaubern, dass er den Theaterzauber entzaubert. „Life imitates art“, alte Weisheit nach Oscar Wilde: Schauspiel und wahrhaftiges Leben imitieren einander wechselweise. David erinnert sich an seine Leiden in den Lehrjahren als Schauspielstudent.Aber auch an den glücklichen Moment, als das Telefon klingelte, er könne für ein Engagement an einem großen, bedeutenden Theater vorsprechen. Und wie er dann wie die Maus vor der Katze stand. Herrlich, wie Jannis Roth – schwups, angedeuteter Rollenwechsel – plötzlich den schmierigen, selbstbesoffenen Intendanten beim Casting nachäfft. Breitbeinig im Sessel, zynisch verzogen die Mundwinkel: „Ja können Sie denn überhaupt einen geraden Satz sprechen? Haha.“
Felix Krakaus Monolog schriebt über das menschliche Scheitern
In der Schauspielschule bekam David schnell einen Stempel ab: Sein Rollenfach sei ja eher so der ... „Betrügertyp“. Und an dieser Stelle darf das Publikum lächeln, denn dieser Schauspieler in seiner Doppelidentität – Jannis Roth selbst genauso wie David Universalschauspieler, den er darstellt – wirkt grundsympathisch menschlich. Er schweigt für Sekunden, schaut melancholisch in die Weite und hält das aus vor den Augen des Publikums. Dann, jugendlicher Energieschub, spielt er den Romeo an, springt über den Bartresen und sucht nach Julia.
Mit dem Charme eines Schauspielschulabsolventen, der zum ersten Mal auf ein abgehaktes, absolviertes Lebenskapitel zurückblicken kann, teilt David seine Gedanken mit: Nie sei doch die Welt so schön wie als Kind mit acht Jahren, weil noch alles möglich war ... oder? Blick ins Publikum, jeder versteht. Heute werde ich Meeresbiologe, morgen vielleicht Bundeskanzler. Auch noch toll waren: die Schulzeit, das Abitur in der Tasche, der Führerschein in der Hand, der erste Kuss, es war ein Fest des Lebens. Wobei, war das erste Mal Sex nicht schon eine Enttäuschung? Der erste Liebeskummer eine nicht mehr heilen wollende Wunde. Meistens zwingt das Leben einen dann doch in die Rolle des Verlierers. Und auch deshalb ist David wohl ins Schauspiel geflüchtet, wo er sich hinter Bühnenrollen versteckt: „Ich will ... unsichtbar sein!“
David Ortmann inszeniert „Showtime“ in der Soho Stage
Mit der Zeit wird die Inszenierung etwas abstrakter, überirdischer, bis das Stück abhebt. Kosmische Astronautenperspektive: dort unten der kleine Planet Erde mit seiner ameisenwinzigen, unvollkommenen Menschheit. Über eine Leinwand flimmern dazu drollige Filme vom menschlichen Missgeschick. Kind fällt vom Rad. Kind plumpst mit dem Gesicht in eine Pfütze. Scheitern, scheitern, nochmals scheitern, bühnenreif. Und die Sprache des Monologs zurrt ein immer engeres Band um Leben und Show: „Wie schön es wäre, sein Leben proben zu können, bevor man es lebt.“ Doch das Leben bleibt Improtheater.
Regisseur David Ortmann inszeniert diesen Monolog in einer warmherzigen, nahbaren, aber nicht kitschigen Stunde. Am Ende spricht Schauspieler David, der die Show gerettet hat, einen selbstlosen, heroischen Satz zum Publikum – der aber wahr ist, fürs Theater stets gilt. Ohne Publikum keine Showtime, keine Rührung, kein Applaus, kein siebter Nachgedanke zum Stück, kein Theater. „Es geht hier nicht um mich“, sagt David. „Es geht hier um euch.“
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