Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Literatur und Malerei: Ein Bild von Rugendas und tausend Anekdoten

Literatur und Malerei

Ein Bild von Rugendas und tausend Anekdoten

    • |
    • |
    • |
    Marie Gaté-Stallforth daheim in Gersthofen mit dem vergrößerten Cover ihres neuen Romans. Es zeigt die Hacienda Mirador inmitten der zum Vulkankegel des „Pico der Orizaba“ ansteigenden Landschaft, wie sie Johann Moritz Rugendas 1833 bei seiner Mexiko-Expedition gemalt hat.
    Marie Gaté-Stallforth daheim in Gersthofen mit dem vergrößerten Cover ihres neuen Romans. Es zeigt die Hacienda Mirador inmitten der zum Vulkankegel des „Pico der Orizaba“ ansteigenden Landschaft, wie sie Johann Moritz Rugendas 1833 bei seiner Mexiko-Expedition gemalt hat. Foto: Marie Gaté, privat

    Der Roman beginnt mit einem Bild. Und er endet mit einem Bild. Und zwar mit dem Bild, das ein Augsburger Maler 1833 als Gastgeschenk von der Hacienda Mirador geschaffen hat, als er dort während seiner Mexiko-Expedition pausierte. Sein Name ist Johann Moritz Rugendas, letzter Spross einer Augsburger Künstlerdynastie, Günstling des Naturforschers Alexander von Humboldt und als „pintor viajero“ (Reisemaler) in Mittel- und Südamerika eine Berühmtheit.

    Seine Gastgeber in Mirador sind aus Deutschland eingewandert, als Mexiko sich nach Ende der spanischen Kolonialherrschaft öffnete. Wie aus dem Personal dieser Einwanderer von Mirador ein Zweig hervorging, der etliche Länder bewohnte, bevor er schließlich in Augsburg landete – mitsamt dem Mirador-Gemälde, das so in die Heimat seines Schöpfers Rugendas gelangte – das ist fürwahr eine frappierende Geschichte.

    Die Autorin ist Teil des Mirador-Stammbaums

    Marie Gaté, Französin aus den Ardennen, hat sie aufgeschrieben. Sie selbst wurde Teil des Mirador-Stammbaums, als sie 1981 den Mediziner Uwe (Ubaldo) Stallforth heiratete. Sie hatte ihn beim Studium in Valencia lieben gelernt und nach Augsburg begleitet. Leser ihres ersten, ebenfalls autobiografisch gefärbten Romans kennen Ubaldo schon, war er es doch, den die junge Marie zu Hause einführte. Dieses Buch breiter Selbstreflexion und einer Liebe (der Großtante Adrienne) in Zeiten des Krieges trägt den elegischen Titel „Der Klang des Bleistifts, der zu Boden fällt“. Er zitiert die Dorflehrerin Adrienne, die damit für ihre Großnichte Marie eine Art Bildungsauftrag verband. Der Satz wiederholt sich ähnlich in Marie Gatés neuem Roman. Da spricht ihn der Maler und Stecher Johann Lorenz Rugendas zu seinem nacheifernden Sohn Johann Moritz: „Ein Bleistift darf nie auf den Boden fallen, sonst bricht die Mine.“

    Es bleibt nicht die einzige Verschränkung dieser beiden Romane. Der neue heißt „Mirador“ und zeigt auf dem Cover das Mirador-Ölbild von Johann Moritz (Mauricio) Rugendas. Es ist beispielhaft für dessen Entwicklung vom Zeichner zum Maler, der im Sinne Humboldts künstlerische und naturwissenschaftliche Aspekte vereinte. Marie Gaté verlängert den Buchtitel auch gerne zu „Mirador, so weit die Farbe reicht“.

    Jedem kapitel ist ein Bildvermerk vorangestellt

    Weiter als die Farbe reichen die Zeit- und Perspektivwechsel dieser Erzählung. Die Autorin bringt sie dennoch auf eine Reihe, indem sie jedem Kapitel einen realen oder fiktiven Bildvermerk voranstellt. Zum Beispiel : „Zeichnender Knabe. Johann Moritz Rugendas. Augsburg 1814. Bleistiftzeichnung auf Papier.“ Oder: „Studentenbude. Ubaldo. Valencia 1976-1981. Tempera, Aquarell und Bleistift.“ Oder: „Herrenporträt. Wilhelm Stallforth. Mexiko 1831. Öl auf Holz.“ Oder: „Beamte. Ubaldo und Marie. Augsburg 1981. Feder in Braun über fast verwischter Kreidevorzeichnung.“

    Das gleicht einer Bildergalerie, die man lesend abschreitet, und erinnert an Mussorgskis musikalische Promenade entlang der „Bilder einer Ausstellung“ seines Freundes Viktor Hartmann. Ungeheuerlichkeiten melden sich bei Marie Gatés Promenade zu Wort. So die Erinnerung von Albrecht Adam, dem künstlerischen Ziehvater von Moritz Rugendas, an den desaströsen Russland-Feldzug Napoleons von 1812. So die Exekution des jungen Kaisers Maximilian, einst begeisterter Mirador-Besucher, 1867 in Querétaro. So die Erlebnisse von Uwes Vater Bernhard Stallforth als Arzt an der russischen Weltkriegsfront.

    Als in der Hitze das kostbare Penicillin gekühlt werden musste

    Derselbe Bernhard (Bernardo) steht aber auch für Kuriositäten, etwa wie er nach dem Krieg in der Hitze einer Mennoniten-Kolonie in Paraguay das kostbare Penicillin kühlte. Oder derselbe Kaiser Maximilian, wie er nach Ankunft aus seiner habsburgischen Heimat in Mexiko mit seiner Frau Charlotte auf einem Billardtisch nächtigte. Oder auch, wie Marie und Ubaldo 1981 die Vertracktheiten im Augsburger Standesamt erduldeten.

    In diesem verzahnten Zeit-, Raum- und Geschichtspanorama erscheinen der Mexiko-Eroberer Cortés oder die als Demagogen Verfolgten (wie Carl Satorius) zur Zeit der nachnapoleonischen Restauration ebenso wie die spanischen Turbulenzen nach Francos Tod und die deutschen beim Bau der Berliner Mauer. Marie Gatés Grundton ist human und pazifistisch. Ihr Schreiben schöpft auch aus ihren Erfahrungen als Dolmetscherin, Lehrerin, Filmkommentatorin. Ihre Literatur bündelt Sachbuch, Essay, Dichtung – und das in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist. Alle Achtung.

    Marie Gaté: Mirador. Mit farbigen Abbildungen. Stroux edition, 204 Seiten, 26 €. Der Roman erscheint am 26. Februar. Marie Gaté stellt ihn am 30. März auch auf der Leipziger Buchmesse vor.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden